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Rundbrief
  Rundbrief Nummer 80  
San Francisco, den 29.05.2009
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Abbildung [1]: Huch, steck mich nicht an!

Angelika Zum Glück hat sich die Hysterie um die sogenannte Schweinegrippe etwas gelegt, und wir mussten nicht alle in Quarantäne. In San Francisco sah ich vereinzelt Leute mit Masken, wenn ich mit der BART (U-Bahn) fuhr und beim Cinco-de-Mayo Festival im Dolores Park in San Francisco gab es ein Zelt, indem man sich untersuchen lassen konnte. Auch appellierten verzweifelte Angestellte der Gesundheitsbehörde von San Francisco, dass doch nicht jeder mit Grippesymptomen in den Notfallaufmahmen der Krankenhäuser auftauchen sollte, denn die wurden dem Andrang zeitweise nicht mehr Herr.

Auch unser Präsident hielt mit schlichten Ratschlägen nicht hinter dem Berg: Bleibt zu Hause, wenn ihr krank seid, und schickt kranke Kinder nicht in die Schule. Hört sich ja vernünftig an, bloß ist das leichter gesagt als getan in einen Land, in dem fast 50% der Ganztagsbeschäftigten im privaten Sektor keine bezahlten Krankheitstage erhalten oder zu Hause bleiben können, um ihre kranken Kinder zu pflegen (Rundbrief 06/2007).

Bei den Halbtagskräften schnellt die Zahl gleich auf fast 80% hoch. Und nur 14% der Beschäftigten, die mit Essen hantieren, erhalten Geld, wenn sie sich krank melden. Auch verdienen die meist so wenig, dass sie sich nicht leisten können, bezahlte Arbeitstage zu verlieren. Eine ganz reizende Vorstellung, dass der Koch hoch fiebrig am Herd steht und der Kellner beherzt auf Essensteller hustet. Ich habe dann auch die Augen gerollt, wenn es etwas arrogant hieß, dass es in Mexiko mehr Todesfälle gibt, weil die Gesundheitsversorgung schlechter ist, und Mexikaner grundsätzlich erst, wenn es gar nicht mehr geht, zum Arzt gehen und sich viele die notwendigen Medikamente nicht leisten können. Hmm, in den USA gibt es mittlerweile 50 Millionen Bürger ohne Krankenkasse, denen auch nichts anderes übrigbleibt als sich in die Notfallaufnahmen ("Emergency Rooms") der Krankenhäuser zu begeben, wenn sie ernsthaft krank sind. Das Krankenhaus wird anschließend zwar versuchen, das Geld einzutreiben, aber wer nichts hat, bei dem ist auch nichts zu holen.

Aber Obama werkelt ja schon an seinem Krankenkassenplan, und vielleicht erhalten wir auch bald gesetzlich vorgeschriebene bezahlte Krankheitstage. Der "Healthy Families Act", der schon im Repräsentantenhaus herumschwirrt, würde bis zu sieben bezahlte Krankheitstage gewähren. Unter Bush wurde er bereits abgeschmettert, aber jetzt besteht Hoffnung, dass er im Repräsentantenhaus und Senat Zustimmung findet, gerade auch weil die Schweinegrippe noch in den Köpfen der Politiker präsent ist. Würden bezahlte Krankheitstage in den USA zum Gesetz, dann gehörten wir endlich zu den mindestens 145 Ländern, die eine Form von Bezahlung im Krankheitsfall garantieren.

Tagelöhner auf der Cesar Chavez Street

Abbildung [2]: Geduldig warten vier Tagelöhner an der Cesar-Chavez-Straße auf einen Pickup-Truck, der sie zu einer Baustelle bringt.

Michael Nicht alle Einwanderer in den USA haben eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Es wird geschätzt, dass etwa 12 Millionen Illegale im Land sind, davon etwa 5-6 Millionen Mexikaner (Stand 2007). Oft haben sie irgendein Dorf in einem südamerikanischen Land verlassen, einem Schleuser (genannt "Coyote", amerikanisch "Ka-i-ote" ausgesprochen) etwa $1500 bezahlt und sind dann bis zu 40 Stunden durch die Wüste marschiert, um irgendwo in den USA Arbeit zu finden und den amerikanischen Traum auszuprobieren. Oft arbeiten sie dann in einem Restaurant, arbeiten sich vom Spüler zum Geschirrabträger (Bus Boy), zum Salatzubereiter, und vielleicht zum Grillmann hoch.

Abbildung [3]: Hier lungern nicht etwa zwielichtige Gestalten herum, sondern Tagelöhner, die auf Arbeit warten.

Auf der Cesar-Chavez-Street bei uns um die Ecke stehen schon früh morgens hunderte junger Südamerikaner in kleinen Grüppchen und winken den vorbeibrausenden Pickups zu, in der Hoffnung, dass sie einer zu einer Baustelle mitnimmt, wo sie zu einem frei verhandelbaren Lohn für einige Stunden schwere Arbeit verrichten. Man nennt sie "Esquineros", von dem spanischen Wort für Straßenecke, "Esquina". Weitere Auflesestellen mit massenhaft Arbeitswilligen finden sich in den Parkplätzen großer Baumärkte wie Home Depot oder Lowe's. Dort kann man auch die Spezialisierung der Arbeiter erkennen: Wer weiße Kleidung trägt, führt Malerarbeiten durch, der Rest ist für Handlangertätigkeiten zuständig. Es gibt zwar Konkurrenz unter den Arbeitern, die, wenn ein Baumarktkunde Interesse am Anheuern einer Hilfskraft zeigt, sofort hinrennen und wild herumfuchteln, doch läuft alles im allgemeinen auffallend friedfertig ab. Viele Illegale wollen unter keinen Umständen mit dem Gesetz in Konflikt kommen oder auch nur unangenehm auffallen, da ihnen sonst die Deportation droht.

Abbildung [4]: Mit modernster Handy-Technik ausgerüstet warten die Arbeitswilligen auf der Cesar-Chavez-Straße auf Gelegenheitsjobs.

Weitere Aufsammelpunkte befinden sich vor den Garagen von Umzugsautoverleihfirmen wie U-Haul. Wenn ich mit dem Fahrrad morgens um halb acht durch die Alameda-Street brause, stehen vor dem U-Haul-Zentrum immer einige Dutzend Arbeiter und quatschen jeden, der ein Umzugsauto zu mieten scheint, in gebrochenen Englisch mit "Do you need any help?" oder "Want someone to do the work for you?" an.

Der Stundensatz beträgt so um die 5-10 Dollar, an einem guten Tag kann ein Esquinero also bis zu $100 verdienen, an einem schlechten Tag geht er allerdings mit leeren Händen nach Hause. Übrigens sind nicht alle Gelegenheitsarbeiter illegale Einwanderer, aber laut Studien etwa drei Viertel. Das Verfahren ist zwar nicht legal, wird aber von der Polizei nicht verfolgt, da sie für Einwanderungsfragen nicht zuständig ist. Außerdem weiß jeder, dass auf jeder Baustelle und in jeder Restaurantküche einige Illegale arbeiten -- das gehört zum Alltag in Amerika. Und es ist nicht so, dass sich "undokumentierte Einwanderer" in einem völlig rechtsfreien Raum bewegen. Es kommt durchaus vor, dass die amtliche, bundesstaatliche Stelle für Arbeit, das "Department of Labor", sich für Illegale einsetzt, die über's Ohr gehauen wurden oder unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten mussten. Das ist natürlich ein Balanceakt, denn die Illegalen fürchten, ausgewiesen zu werden und schweigen im Zweifelsfall.

Frauen sieht man auf der Cesar-Chavez-Street keine, denn meist kommen nur die Männer über die Grenze, verdienen in ein paar Jahren genug Geld für ein ordentliches Haus in Mexiko, und kehren dann zurück zu ihren alleingelassenen Frauen und Kindern. Außerdem ist die Rollenverteilung bei Südamerikanern eher "klassisch". An U-Bahnstationen sieht man aber öfter mal Frauen, die Blumen oder das mexikanische Gericht "Tamales" (aufwendig zu kochendes Fleisch in Maisblättern) feilbieten (Abbildung 5).

Abbildung [5]: Tamales- und Blumenverkäufer an der U-Bahn-Station.

Wir in San Francisco sehen die illegalen Einwanderer eher mit einem zwinkernden Auge, aber es gibt durchaus Leute, die das nicht so witzig finden und Initiativen gründen, damit die Politik dem Spuk ein Ende bereite. Im Jahre 1994 gab es zum Beispiel in Kalifornien die Proposition (Volksabstimmung) 187, die den illegalen Einwanderern den Zugang zum öffentlichen Schulsystem oder Krankenhäusern verwehrte und mit 59% eine deutliche Mehrheit in der Bevölkerung erzielte. Der Federal Appeals Court, ein Bundesgericht, beendete den Unfug allerdings schnell wieder.

Die Damen und Herren Politiker zerreißen sich nicht gerade, das Problem anzugehen: Zu genau wissen sie, dass die amerikanische Wirtschaft die illegalen Arbeiter dringend braucht. So erließ Rudolph Giuliani ebenfalls im Jahr 1994 als Bürgermeister von New York die Anweisung, dass keine städtische Behörde irgendwelche Informationen über illegale Einwanderer an die Einwanderungsbehörde durchsickern lassen durfte. Und auch sein Nachfolger Bloomberg erließ 2003 eine Order, die Stadtangestellte stark in ihren Möglichkeiten einschränkte, neugierige Fragen nach dem Immigrationsstatus zu stellen -- und das zu einer Zeit, in der viele wegen dem 11. September 2001 nach einem Polizeistaat riefen. In San Francisco gilt, das überrascht euch sicher nicht, seit jeher die Regel "Don't ask, don't tell". Es werden keine Fragen gestellt, und niemand muss verlegene Antworten geben.

Abbildung [6]: Meist sind es Mexikaner, die frühmorgens auf der Cesar Chavez Street auf Arbeit warten.

In Mexiko führt das zu verlassenen Dörfern, in denen irgendwann nicht mehr genug Kinder weilen, wegen denen es sich lohnte, eine Schule zu betreiben. Eltern wollen zwar nicht, dass ihre Kinder nach Norden in die USA immigrieren, aber bekommen üblicherweise von dort dann monatliche Zahlungen (remittances), die sie im Heimatdorf finanziell gutstellen, also drücken sie oft beide Augen zu.

Übrigens immigrieren Mexikaner nicht nur in die südlichen USA, sondern sind vor allem auch in New York City präsent. Warum zieht es illegale Einwanderer in den hohen Norden, in eine Stadt, die mit ihren strengen Wintern für viele sicher klimatisch ungewohnt ist? Erstmal muss in New York wegen der guten Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel niemand mit dem Auto fahren, was ohne Führerschein oder Versicherung für Illegale ein unkalkulierbares Risiko bedeutet. Und natürlich fühlen sie sich dort gut aufgehoben, wo bereits hohe Einwandererpräsenz aus Mexiko herrscht, wo die Bevölkerung Illegale akzeptiert, wo man gut Kontakte knüpfen und über soziale Netzwerke schnell und zuverlässig Arbeit finden kann.

Abbildung [7]: Gute Lektüre zum Thema illegale Einwanderer: "The World of Mexican Migrants" von Judith Hellman.

Interessiert euch das Thema? In dem schön geschriebenen Buch "The World of Mexican Migrants" von Judith Hellman steht alles genau beschrieben, all die kleinen Details des Alltags und die Lebensgeschichten der Mexikaner, die ihre Dörfer verließen, um auf "al otro lado" (der anderen Seite), wie die USA in Mexiko heißen, die Chance zu etwas Wohlstand zu suchen.

Drogen auf Rezept

Abbildung [8]: Hinter der farbenfrohen Verpackung ...

Michael Drogen sind in San Francisco zwar genau wie in Deutschland verboten, aber der Konsum von Marihuana wird derart unverhalten praktiziert, dass man meinen könnte, er wäre legal. Zum Beispiel traf ich neulich unseren ehemaligen Nachbarn auf der Straße, schwatzte ein wenig mit ihm, bis mir auffiel, dass er eine Marihuana-Zigarette rauchte! Oder machen wir eines unserer Fenster auf, ist es durchaus nicht ungewöhnlich, dass verdächtig riechende Rauchschwaden hereinziehen. Oder neulich, als ich mit unserem Auto auf der Divisadero-Street fuhr und an einer Ampel anhalten musste, zogen gar die Nebelschwaden aus dem Seitenfenster des neben mir haltenden Autos zu mir herein! Unerhört!

Abbildung [9]: ... verbirgt sich eine bewusstseinserweiternde Glimmtüte.

Dabei müssen die Leute die Drogen nicht mal illegal auf der Straße kaufen, wer chronische Schmerzen hat (oder sie gut simuliert) und einen Doktor dazu überreden kann, ein entsprechendes Rezept auszustellen, darf im öffentlich-rechtlichen Drogenshop einkaufen. Dort gibt es nicht nur fertig gebaute Tüten wie in Abbildung 9 sondern auch allerlei sonst illegale Kräuter und entsprechendes Konsumzubehör.

Der Wikipedia-Eintrag zu Medical Marihuana erläutert genau die Bestimmungen zu dieser legalen Form des Drogenkonsums. Wie aber jeder aus der TV-Serie "Weeds" weiß, landen die Antragsteller in einer staatlichen Datenbank. Kandidiert man dann später als Präsident, zieht sicher einer die Akte raus und wedelt damit herum, also Vorsicht!

Straßenreinigung, zweiwöchentlich

Abbildung [10]: Vor der Änderung: Wöchentliche Straßenreinigung.

Angelika Wir trauten unseren Augen nicht: Letztes Jahr im Herbst überklebten fleißige Heinzelmännchen die Straßenreinigungsschilder mit einem Aufkleber in unserem Viertel, die plötzlich anzeigten, dass die Straßenreinigung nur noch zweimal im Monat stattfindet. Es handelte sich dabei nicht um einen Scherz von entnervten Parkern, die keine Lust mehr hatten, wöchentlich ihr Auto vor dem Straßenreinigungsautos in Sicherheit zu bringen oder ein mittlerweile 50 Dollar hohes Bußgeld zu berappen. Nein, die Stadt hatte beschlossen, Geld zu sparen und das Kehrauto nur noch zweimal im Monat durch bestimmte Straßenzüge in 20 ausgesuchten Stadtvierteln zu jagen (Rundbrief 05/2008).

Die Viertel, in denen nicht so viel herumgemüllt wird, kamen auf die Auswahlliste. Unser Viertel "Noe Valley" gehörte dazu. Wir rieben uns erfreut die Hände, denn mit geschickter Planung können wir unser altes Auto, den "PERLMAN", jetzt theoretisch zwei Wochen am selben Fleck stehen lassen. Die neue Regel erfordert allerdings mehr Rechenkunst, denn in unserem Viertel wird nun immer am zweiten und vierten Wochentag X des Monats die Straße gereinigt. Je nach Straßenzug ist X Montag, Dienstag, Mittwoch, oder Freitag. Michael schuf gleich Abhilfe und hing einen Kalender mit den spezifischen Daten an unsere Haustür, gleich unter den Stadtplan mit den farblich markierten Straßenreinigungswochentagen in unserem Viertel.

Abbildung [11]: Das Kehrauto kommt jetzt nur noch jede zweite Woche und die Stadt fährt Riesenverluste ein!

Jaja, ich höre schon den Aufschrei der aufmerksamen Leserschar: "Aber was ist mit der 72-Stunden-Regel (Rundbrief 03/2009), die besagt, dass das Auto nach dieser Zeitspanne umgeparkt werden muss?" Nun, mittlerweile haben wir herausgefunden, in welcher Straße die Spione sitzen, die den ganzen Tag nichts Besseres zu tun haben, als zu beobachten, wer wann wie lange parkt und Leute anzuschwärzen. Diese Straßen meiden wir einfach und parken dort, wo Leute mit gesundem Menschenverstand wohnen, die sich darum nicht scheren.

Leider verkalkulierte sich die Stadt aber etwas. Denn die Einsparungen durch das reduzierte Straßenkehren wiegen die durch weniger ausgestellte Strafzettel verlorenen Einnahmen nicht auf! Die Strafzettelwespen können nun nur noch halb so oft aufschreiben, und das reißt ein Riesenloch ins Stadtsäckel.

Der "San Francisco Chronicle", die bekannteste Tageszeitung der Stadt, berichtete dann auch im April, dass in den 20 Vierteln zwischen Oktober und Dezember 26% weniger Strafzettel wegen Parkens während der Straßenreinigung geschrieben wurden. Geht das so weiter, verliert die Stadt dadurch schlappe 3.8 Millionen Dollar pro Jahr, spart aber im Gegenzug nur 1 Millionen Dollar an Kehrkosten ein. Aua, das tut weh!

Der San-Francisco-Stammtisch

Abbildung [12]: Die Homepage des San Francisco Stammtischs auf Yahoo Groups

Michael Deutsche, die im Ausland unterwegs sind, gehen anderen reisenden Deutschen ja bekanntlich aus dem Weg. "Schau nicht hin, dort drüben sind Deutsche!" hört man oft oder "Mein Gott, der Akzent dieses Einfaltspinsels ist ja peinlich!". Aber nach einigen Jahren im Ausland sucht selbst der hartgesottenste Auswanderer den Kontakt mit Gleichgesinnten.

Deutschen, die in San Francisco wohnen, steht hierzu der sogenannte San Francisco Stammtisch zur Verfügung, eine Yahoo-Gruppe, bei der man sich per Email anmelden kann. Auf der Mailing-Liste trudeln dann die typischen Fragen der Neuankömmlinge ein, die die weisen Graubärte unter den Auswanderern gutmütig beantworten. Allerdings reglementieren die Listeneigner die Kommunikation mit eiserner Hand, und lassen Leute keinesfalls alten Krempel verkaufen oder extreme politische Standpunkte vertreten. Vor ein paar Jahren war es mal ganz schlimm, da wurden die Postings von einem autoritären Zensor ausgesiebt, der sich in der Rolle des unfehlbaren Herrschers gefiel. Zum Glück ist der mittlerweile weg vom Fenster.

Ein weiteres Kuriosum sind die vom Betreiber ermunterten Kurzvorstellungen der Neuankömmlinge, die sich immer lesen wie "Hallo, also, ich bin der Martin aus Buxtehude und wohne jetzt in Palo Alto. Meine Hobbies sind Schwimmen, Wandern und mal ein gepflegtes Bier trinken. Würde mich freuen, mal Gleichgesinnte zu treffen!". Aber, hey, ich will mich nicht über die Leute lustig machen, die Mailingliste des San Francisco Stammtisch ist gigantisch groß und der Zuwachs ist enorm, ich habe mal irgendwas von 100 im Monat gehört! Irgendwas müssen die Betreiber richtig machen. Und das ist sicher nicht das Webdesign der Homepage, das muss man deutlich sagen, man kommt sich vor wie auf einer Zeitreise ins Jahr 1990!

Abbildung [13]: Im "Wish" treffen sich die Deutschen in San Francisco einmal im Monat.

Einmal im Monat kommt eine Email, in der steht, dass man sich am ersten Montag des Monats zum Stammtisch zusammenfindet. Dann marschieren die Auslandsdeutschen in San Francisco und Umgebung ab 19 Uhr ins Lokal "Wish", das an der Adresse 1539 Folsom Street (im SoMa) residiert und für diesen Zweck reserviert wird. Das Glas Bier kostet während der "Happy Hour" nur $3 (bis vor kurzem noch $2, aber die Krise, die Krise!), und das ist schon recht zivil, üblicherweise zahlt man für eine Pint (ungefähr 0.5l) in den Bars der Stadt schon so um die $5.

Der Andrang ist enorm! Wir waren ein paarmal da und da waren jeweils geschätzte 100 Leute zugange! Die meisten sind Deutsche, die die Gelegenheit nutzen, mal tüchtig Dampf über das katastrophale amerikanische Krankenkassensystem abzulassen. Manchmal verirren sich einige Amerikaner dorthin, die ihre Deutschkenntnisse aufpolieren wollen. Das ist naturgemäß aussichtslos, aber man will die Leute ja nicht entmutigen. Doch, Spaß beiseite, die Veranstaltung ist recht gut gemacht, und wir haben dort tatsächlich schon echt nette Leute kennen gelernt, mit denen wir mittlerweile befreundet sind.

Toppprodukt: Apfelschnitzer

Abbildung [14]: Einen geschälten Apfel ...

Michael Ich esse gerne mal ein paar Apfelschnitze, aber leider bin ich meist zu faul, ganze Äpfel zu zerlegen. Neulich stöberte ich in der Küchengeräteabteilung des Supermarktes Target herum und fand den Apfelschnitzer von der Firma Kitchenaid. Ein Supergerät, das schnitzt Äpfel wie der Teufel! Natürlich ist er, wie fast alle Küchenutensilien und Werkzeuge in den USA heutzutage, aus China, aber die Qualität ist berauschend und spülmaschinenfest ist er auch.

Abbildung [15]: ... zerlegt der Apfelschnitzer elegant in acht gleiche Schnitze!

Man schält zunächst den Apfel mit einem Schäler, dreht ihn herum, so dass die Blüte (nicht der Stil) nach oben zeigt, setzt den Schnitzer an, drückt runter und - zack! hat man acht gleiche Schnitze. Ich glaube, ich habe schon bestimmt 20 Äpfel damit geschält und immer war das Kerngehäuse sauber ausgestampft! Angelika behauptet zwar, so etwas gäbe es auch in Deutschland, aber, hey, deswegen ist es für mich trotzdem das Toppprodukt des Monats. Die zugehörigen Äpfel bietet übrigens der Costco an, die Fuji-Äpfel mit dem Biostempel schmecken hervorragend.

Mount Shasta

Abbildung [16]: Im Örtchen "Mount Shasta" ist der Berg allgegenwärtig.

Angelika Wir haben ja schon einiges in Kalifornien abgeklappert, seit dem wir hier leben, aber einige weiße Flecken gibt es noch auf unserer Landkarte. An dem gigantischen Berg Mount Shasta an der Nordgrenze Kaliforniens sind wir zwar schon so manches Mal mit dem Auto vorbeigezischt, oder haben einen Blick auf ihn aus dem Flugzeug heraus erhascht, doch so richtig dort waren wir bis dato nicht.

Der Feiertag Memorial Day bescherte uns diesen Monat ein langes Wochenende, und so brausten wir auf dem I-5, einer der langweiligsten aber auch schnellsten kalifornischen Autobahnen gen Norden zum fünfthöchsten Berg Kaliforniens. 455km sind kein Zuckerschlecken, wenn man offiziell nur 70mph (112km/h) fahren darf, und gerade an Feiertagen wimmelt es von Blitzern, sodass maximal 85mph gehen. Auf der Strecke gibt es absolut nichts, aber in Red Bluff kann man anhalten und sich im "Riverside Bar&Grill" an Bier und deftigen Gerichten wie Steak oder Schweinerippen laben.

Abbildung [17]: "Riverside Bar and Grill": Eine lohnende Rast vom langweiligen Highway I-5.

Der Berg ist eigentlich ein inaktiver Vulkan und hat eine stattliche Höhe von etwa 4322 m (14179 Fuß). Er strahlt schon deshalb etwas Majestätisches aus, weil er praktisch auf weiter Flur allein dasteht und nicht in einer Gebirgskette versinkt.

Abbildung [18]: Am Rande des Ortes "Mccloud", einem kleinen Nest am Mount Shasta.

Der Mount Shasta liegt ganz nahe an der Grenze zu Oregon. Die bewaldete Gegend da oben ist relativ dünn besiedelt und boomte um 1850 zu den Zeiten der Goldgräber und lebte lange Zeit gut von der Holzverarbeitung. Verschiedene indianische Stämme siedelten sich schon früh um den Berg herum an und sehen ihn auch heute noch als heilig an. Auch diverse esoterisch angehauchte Menschen fühlen sich magisch von dem Berg angezogen.

Abbildung [19]: Rundbriefreporter im Schnee

Wir genossen allerdings nur die Idylle und das Wandern im T-Shirt im Schnee. Der Berg ist sehr beliebt bei Möchtegern-Bergsteigern, da er technisch nicht allzu schwierig ist. Wir trafen recht viele Gipfelstürmer auf fragten uns, ob es wohl alle davon bis ganz an den Gipfel schaffen würden. Wir begnügten uns mit den leichteren Pfaden.

Um den Mount Shasta herum gibt es ein paar nette kleine Orte, die teilweise sogar noch ein historisches Flair ausstrahlen. Wir kamen im Dorf McCloud unter, das sich bis in die 60er Jahre hinein fest in den Händen der Holzverarbeitungsfirma McCloud River Company befand. Der Firma gehörte praktisch der Ort. Seit dem Niedergang der Holzindustrie lebt der kleine Ort vom Tourismus.

Abbildung [20]: Das beste Hotel am Platze, in Mccloud.

Wir nächtigten im McCloud Mercantile Hotel. Das Gebäude wurde von der McCloud River Company 1897 errichtet und diente lange Zeit als Lebensmittel- und Haushaltswarenladen, Apotheke, Hotel sowie Fleischer- und Bekleidungsladen -- alles unter einem Dach. Die jetzigen Besitzer, die das Gebäude im Jahr 2000 erwarben, renovierten das alte ehrwürdige Haus liebevoll und wer ein Fan von Wild-West-Romantik ist, sollte sich hier unbedingt einmieten. Michael und ich saßen auf jeden Fall beglückt auf der Veranda des Gebäudes an einem Glas Wein nippend und fühlten uns in die Zeit der Waltons versetzt.

Von Putzlappen und Pitchmen

Abbildung [21]: Der überteuerte Wunderputzlappen "Shamwow"

Michael Ich bin ja nun wirklich aufgeschlossen, was neue Produkte angeht, und kaufe eigentlich alles, was auch nur im entferntesten interessant klingt. Auch gerne mal ein revolutionäres neues Putzprodukt, aber zum maßlos überteuerten Putzlappen "Shamwow", einem angeblich aus Deutschland stammenden Produkt, konnte ich mich bislang nicht durchringen.

Die erstaunlichen Fähigkeiten des Shamwow-Putzlappens kann man sogar in einem Youtube-Video bestaunen, und ich muss sagen, dass die Präsentation dieses "Pitchman" (Anpreiser) genannten Marktschreiers wirklich überzeugend ist. Das Hauptproblem des Wunderputzlappens ist der Preis. Beim Costco kostet eine Sammelpackung knapp unter dreißig Dollar. Das ist für einen Putzlappen doch etwas übertrieben, finde ich. Andere Costco-Kunden scheinen der gleichen Meinung zu sein, denn die Shamwow-Kartons liegen wie Blei in den Regalen.

Abbildung [22]: Die beiden Pitchmen Billy Mays und Anthony Sullivan.

Übrigens läuft im Fernsehen derzeit eine neue Serie "Pitchmen", die zwei der bekanntesten Infomercial-Präsentatoren, Billy Mays und Anthony Sullivan, bei ihrer Arbeit verfolgt. Billy Mays ist der Typ mit dem schwarzen Bart, der immer herumschreit, als hätte er einen Hörschaden. Eines seiner aktuell beworbenen Produkte ist zum Beispiel die Slider Station. In der Sendung "Pitchmen", die als unterhaltende Dokumentation daherkommt, sieht man die beiden Pitchmänner mit dem mächtigen Chef des Infomercial-Imperiums, der die Anpreisungsspots mit den Pitchmen dreht, stundenweise en bloc Werbezeit einkauft, und die Fernsehmillionen damit berieselt. Der Trick ist immer der gleiche, das Produkt kostet so um die $20, aber heute nur $14.99, und nicht etwa nur für ein Exemplar, sondern, wenn man in den nächsten fünf Minuten anruft, gleich für zwei, und zusätzlich gibt's noch einen Schlüsselanhänger dazu. "But that's not all!" ruft der Pitchman dann und legt noch was drauf.

In der Sendung kommen Erfinder mit Bauchladen zum Werbeboss und den Pitchmännern, die dann darüber debattieren, ob man den Krempel gewinnbringend an den Mann bringen kann. Die ersten paar Episoden haben mir gut gefallen, vom Konzept her ist das so eine Art The Deadliest Catch, eine Reality-Dokuserie, die ja auch schon eine Weile erfolgreich läuft. Hoffen wir mal, dass das Pitchmen-Team es schafft, noch interessante Folgen zu produzieren bevor die Serie auf dem gnadenlosen amerikanischen Fernsehmarkt wegen Quotenmangel eingestampft wird.

Nachtrag der Redaktion: Am 28.6.2009, etwa vier Wochen nach dem Erscheinen des Beitrags, verstarb Billy Mays überraschend an einem Herzinfarkt und das Fortbestehen der Serie ist fraglich.

Amerikanische Zeichensetzung

Abbildung [23]: Typisch amerikanisch: Ein Komma an einer ungewohnten Stelle.

Michael Ihr wisst wahrscheinlich schon, dass man in Amerika statt einem Dezimalkomma einen Punkt schreibt. Kostet etwas einen Dollar und 99 Cent, steht $1.99 auf dem Etikett. Übrigens schreibt man niemals 1.99 $, der Dollar steht immer vor dem Preis. Umgekehrt steht in langen Zahlen zum Trennen der Tausender ein Komma: Eine Million schreibt der Amerikaner 1,000,000 und nicht wie im Deutschen üblich 1.000.000.

Es klingt verrückt, aber wenn der Amerikaner etwas in Anführungszeichen setzt, zieht er eventuell nachfolgende Satzzeichen mit hinein. Im Deutschen schreibt man Auf dem Schild stand "Willkommen", aber wir gingen nicht rein, während es auf Amerikanisch tatsächlich The sign said "Welcome," but we didn't go in heißt. Schaut, wo das Komma steht! Wahnsinn! In britischem Englisch folgt das Komma hingegen wie im Deutschen nach dem schließenen Anführungszeichen. Wer's nicht glaubt, kann es auf grammarbook.com nachlesen.

Rechtschreibhelden sind die Amis übrigens nicht. Es kommt total häufig vor, dass jemand "it's" und "its" nicht auseinanderhalten kann, und das ist fatal, denn das erste ist die Abkürzung für "it is", das zweite ein sogenanntes "possessive pronoun", also ein besitzanzeigendes Fürwort, wie sein, oder ihr. Es heißt also "it's raining" aber "The horse turned its head". Das gleiche gilt für "they're" und "their", die man beide genau gleich ausspricht.

Scrap San Francisco

Abbildung [24]: SCRAP, der "Scrounger's Center for Reusable Art Parts"

Angelika San Francisco nimmt bekanntlich in punkto Umweltschutz oft eine Vorreiterstellung ein, denn wir recyclen fleißig (Rundbrief 02/2006) und sogar Plastiktüten hat die Stadt verbannt (Rundbrief 04/2007). Heute will ich euch eine geniale gemeinnützige Institution in San Francisco vorstellen, die nicht nur der Umwelt zugute kommt sondern auch finanzgebeutelten Lehrern, Erziehern, Künstlern und anderen Kreativen hilft: SCRAP, das "Scrounger's Center for Reusable Art Parts", was salopp übersetzt etwa das "Schnorrercenter für wiederverwendbare Kunstmaterialien" bedeutet.

Abbildung [25]: Auswahl an Stoffen bei SCRAP.

Die Institution existiert schon seit 30 Jahren. "Scrap" kann übrigens auch Schrott oder Müll heißen. In einer großen Lagerhalle befinden sich in Regalen wahre Schätze: Stoffe, Wandkalender, Papier, Wachsmalstifte, Stempel, Metallteile, Postkarten, Fliesen, Knöpfe, Rahmen, Holz und vieles mehr. SCRAP erhält nämlich Materialspenden, in der Regel von Firmen, die ihre Restposten loswerden wollen oder auch von Firmenauflösungen, die in der derzeitigen Wirtschaftsflaute ja reichlich stattfinden. Die Regale sind dann auch, je nach aktueller Spendenlage, unterschiedlich bestückt. Man geht also jedes Mal auf eine Schatzsuche im SCRAP.

Abbildung [26]: Die Leute freuen sich über die bei SCRAP gemachten Schnäppchen.

Die Sachen kosten einen kleinen Obulus von durchschnittlich 10 Cents bis $1.50 pro Teil. Allerdings nimmt das keiner so genau. Ich habe neulich eine Tüte voller Sachen für $3 erstanden und die Kassiererin schaute nur einmal flüchtig in meine Tüte, um den Preis zu kalkulieren. SCRAP befindet sich übrigens in einer etwas verhauten Gegend im Stadtteil "Bayview", eingeklemmt zwischen zwei Autobahnen und umgeben von Lagerhallen. Es liegt halt viel Müll herum und Glas am Boden deutet auf eingeschlagene Autofenster hin, aber tagsüber ist alles paletti. SCRAP ist natürlich auch kein super aufgeräumter und sortierter Laden, aber die ehrenamtlichen Helfer bemühen sich, die gespendeten Sachen liebevoll zu verstauen. Als ich neulich mit meiner Freundin Conny SCRAP unsicher machte, schienen gerade Stoffe der Renner bei den Kunden zu sein. Nett finde ich auch, dass SCRAP diverse Kurse anbietet, die einem beibringen, die zur Verfügung stehenden Materialien kreativ zu verwenden.

Grüße aus San Francisco:

Angelika & Michael

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