Angelika/Mike Schilli |
Michael In Deutschland denken sich die Leute: Mei oh mei, wie umständlich und genau es die Deutschen nehmen, der Amtsschimmel wiehert! Derlei Gedankengut stammt freilich nur von Leuten, die noch nie längere Zeit in Amerika verbracht haben. Deshalb stellen wir in diesem Rundbrief Vorschriften vor, die wahrscheinlich gar nicht so recht eurer Vorstellung vom freien Amerika entsprechen -- auch wir waren überrascht, was es alles gibt!
Nehmt nur mal die Steuererklärung, die jetzt wieder Ende April fällig ist. Unsere war letztes Mal genau 27 Seiten lang. Ein Arbeitskollege, der ein paar Wohnungen sein eigen nennt, hat hingegen 132 Seiten abgeliefert! Aber mit derart öden Themen wollen wir euch nicht langweilen, hier sind hingegen einige, die durchaus zu eurer Erheiterung beitragen können:
Michael In San Francisco gibt es zum Beispiel die Regel, dass man sein Auto nur 72 Stunden an einem Fleck stehen lassen darf, auch wenn sonst keine Verkehrsschilder, Parkuhren oder öffentliche Straßenreinungszeiten die Parkdauer beschränken. Nach Ablauf der 3 Tage reicht es auch nicht, das Auto ein paar Meter zu verstellen, sondern man muss es mindestens einen Straßenblock weiter fahren.
Da ein derart langer Parkzeitraum nicht ganz einfach zu kontrollieren ist, wird das Ganze selten eingefordert, aber neulich habe ich ein offensichtlich länger auf einem Parkplatz verharrendes Auto mit einem Warnzettel (Abbildung 2) gesehen und fotografiert.
Überhaupt, wenn man die Strafgebührenordnung der Stadt San Francisco im Detail studiert und herausfindet, was allein beim Parken eines Autos alles verboten ist, könnte man einen Lachanfall kriegen: Klebt man ein "For Sale"-Schild an die Scheibe, um kundzutun, dass man den Wagen verkaufen möchte, hagelt's einen Strafzettel über 50 Dollar. Warum? Im "Police Code", Paragraph 710.2, steht, dass es verboten ist. Warum diese Regel erlassen wurde, weiß wahrscheinlich keiner mehr, aber sie existiert, und im Stadtsäckel fehlen haufenweise Dollars, also wird sie vorsichtshalber beihalten. Das ist neulich einem Bekannten passiert, der sein Auto verkaufen wollte und der anschließend nicht genau wusste, ob das nun ein Scherz oder ein echter Strafzettel war.
Oder in falscher Richtung parken? Dafür habe ich in Deutschland mal einen Strafzettel bekommen und mich tierisch über diese Kleinkariertheit aufgeregt -- allerdings kostet es laut Sektion VC22502B der Straßenverkehrsordnung in San Francisco ebenfalls 45 Dollar, wenn man den Wagen entgegen der Fahrtrichtung abstellt.
Die Gebührenordnung beschränkt sich nicht nur auf Parksünder, sie regelt auch das Verhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln: Und unter TC128.5 steht, dass man angeblich 50 Dollar Strafe zahlen muss, wenn man in der Straßenbahn oder im Bus mit dem Fahrer quatscht ("Conversing with Operator")! Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass das jemals eingefordert wird, da würde sich jeder Amerikaner zurecht an den Kopf fassen.
Michael Wer ein Restaurant betreibt, erlebt den Paragraphen-Dschungel mit brutaler Härte. So ist es keineswegs selbstverständlich, dass ein Restaurant Alkohol ausschenken darf. Hierzu ist eine sogenannte Liquor-License erforderlich, die im Falle einer Neueröffnung erst ausgestellt wird, wenn niemand in der näheren Umgebung Einspruch erhebt. Das können hunderte von Leuten sein! In dem Buch Suppenküche Inc. beschreibt der Gründer des deutschen Restaurants "Suppenküche" in San Francisco, was für Abenteuer er diesbezüglich erlebt hat. Ein Restaurant braucht die Lizenz Nummer 41, die "On-sale beer and wine - eating place" des "California Department of Alcoholic Beverage Control". Auf sf.everyblock.com seht ihr, dass im Monat Februar 2009 zum Beispiel stadtweit ganze 50 Lizenzen ihren Status verändert haben -- denn sie werden nicht nur ausgegeben, sondern bei Verstößen auch entzogen. Ein Thai-Restaurant auf der Valencia-Street musste zum Beispiel neulich eine riesige Tafel aushängen, auf der stand, dass ihm "auf unbestimmte Zeit" die Alkohollizenz entzogen wurde (Abbildung 4). Wird Alkohol an Leute unter 21 Jahren verkauft oder nach zwei Uhr nachts (Sperrstunde in San Francisco), passiert so etwas schon mal. Einige Tage später war das Schild jedoch wieder weg, und auf dem Internet steht nichts über den Vorgang, also wird man sich wohl mit den Behörden überworfen und dann geeinigt haben.
Aber es geht auch ohne Lizenz: An der Ecke Church und Market Street war zum Beispiel bis vor einigen Jahren ein Sushi-Restaurant, das keine Lizenz zum Alkoholausschank besaß. Es war sehr billig, fuhr gutes Sushi auf und war bei jungen Leuten sehr beliebt. Wollte man Alkohol, ging man in den Tante-Emma-Laden nebenan, kaufte Bier oder Wein in einer braunen Papiertüte und stellte dieselbe dann auf den Tisch im Restaurent. Die Bedienung achtete penibel darauf, dass niemand die braune Tüte von seinem Getränk entfernte. Man musste aus den eingepackten Flaschen nibbeln, sonst wäre das Restaurant dran gewesen!
Michael Touristen zögern bei uns oft, etwas heruntergekommene Restaurants aufzusuchen, aber wenn ein Laden rappelvoll ist, kann man ruhig reingehen. Über die Restaurants der Stadt wacht die Gesundheitsbehörde mit Adleraugen und eiserner Hand. Alle paar Monate kommt ein gestrenger Inspektor vorbei, nimmt den Laden unter die Lupe und schreibt einen Bericht.
Bei uns auf der 24. Straße ist zum Beispiel ein kleines chinesisches Restaurant namens "Tung Sing", aus dem wir oft Wonton-Suppe zum Mitnehmen bestellen und abholen. Der Laden ist immer rappelvoll mit Chinesen, die Bedienung spricht fast kein Englisch, und die Suppe ist wirklich gut. Neben dem Eingang hängt vorschriftsgemäß gut sichtbar der bis ins kleinste Detail handschriftlich ausgefüllte Bericht der Gesundheitsbehörde. Dort steht, dass der Laden nur 92 von 100 Punkten erreicht hat. Bei 100 Punkten gibt's ein "Certificate of Excellence", aber dafür muss "Tung Sing" wohl noch etwas zulegen. Auf der Webseite des Department of Public Health könnt ihr nachlesen, was der Inspektor dort auszusetzen hatte: Fleisch wurde nach dem Auftauen nicht ordnungsgemäß abgewaschen, die Wände des Restaurants waren schmutzig und das Essen wurde in der Küche nicht ordnungsgemäß in Behältern verstaut. Na, da wollen wir nochmal ein Auge zudrücken, wie gesagt, die Suppe ist gut.
Auf obiger Webseite könnt ihr auch die von der Behörde geprüften Vorschriften studieren. So ist es zum Beispiel Pflicht, dass jeder Kühlschrank ein Thermometer hat, das auf 2 Fahrenheit genau geht. Wird Fleisch zubereitet, muss dafür ebenfalls ein Thermometer vorhanden sein, damit man die Fleischinnentemperatur messen kann. Das macht natürlich kein Koch der Welt (oder vielleicht nur, wenn der Inspektor gerade zusieht), aber Vorschrift ist Vorschrift.
In Los Angeles werden für die Gesundheitsamtsinspektion keine Punkte sondern Buchstaben vergeben, ähnlich wie amerikanische Schulnoten. Das circa 30cm hohes Schild mit der Note "A" oder "B" oder "C" muss das Restaurant dann ins Frontfenster stellen (Abbildung 5), damit es potentielle Gäste es von weitem sehen und bei Bedenken den Laden meiden können. Das ist anscheinend ein enormer Ansporn, denn als wir neulich in L.A. waren, konnten wir ausschließlich die beste Note "A" sehen, kein einziges "B" oder gar "C" weit und breit.
Angelika Durch die Rezession steigt auch in Amerika das Heer der Arbeitslosen stetig an. Im Februar betrug die Arbeitslosenquote für die USA 8%, in Kalifornien sind wir mittlerweile bei 10% angekommen. Viele Arbeitnehmer sind auf Arbeitslosenunterstützung angewiesen, und da dachte ich mir, ich erkläre einmal, wie das mit der Arbeitslosenversicherung funktioniert in diesem Land, das ja nicht gerade als Spitzenreiter der sozialen Absicherung gilt.
Präsident Roosevelt führte die Arbeitslosenversicherung (hier "Unemployment Insurance" genannt) im Rahmen des Social Security Acts anno 1935 ein. Die Versicherung beruht also auf einem nationalen Gesetz, das die generellen Rahmenbedingungen schafft. Die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung erfolgt übrigens in fast allen Bundesstaaten ausschließlich durch Arbeitgeberbeiträge. Und jeder Bundesstaat verfügt über sein eigenes Arbeitslosenversicherungsprogramm, was zu unterschiedlichen Leistungen in den Einzelstaaten führt, weil es u.a. unterschiedliche Kriterien gibt, wann Arbeitslosengeld gezahlt wird.
Viele Bundesstaaten schließen zum Beispiel von vornherein Teilzeitkräfte aus. Allgemein gibt es nur dann Arbeitslosengeld, wenn der Verlust der Arbeit unverschuldet ist, d.h. zum Beispiel Entlassungen stattfanden, und man arbeitswillig und -suchend ist. Die einzelnen Bundesstaaten setzen dabei fest, was als unverschuldet gilt.
Die meisten Bundesstaaten zahlen Leistungen bis zu 26 Wochen. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit gibt es die Möglichkeit über die 26 Wochen hinaus, Leistungen zu beziehen (im Schnitt bis zu 13 zusätzliche Wochen). Obama hat in seinem Konjunkturprogramm gleich noch eins draufgesetzt, sodass in Bundesstaaten mit hoher Arbeitslosigkeit sich die 13 Wochen kurzfristig auf maximal 33 erhöhen. Wir in Kalifornien fallen unter diese Kategorie.
Auch erhalten Bundesstaaten momentan Finanzspritzen aus Washington, wenn sie bereit sind, ihre Kriterien zu lockern und somit mehr Arbeitslosen Leistungen zu zahlen (z.B. durch Einbeziehen von Teilzeitkräften). Die Leistungen entsprechen ungefähr 50% des Gehalts bis zu einer vom einzelnen Bundesstaat festgesetzten Höchstgrenze. Kalifornien zahlt maximal $450 pro Woche, in Texas liegt der wöchentliche Höchstbetrag bei $392, in Michigan bei $300. Wir könnten davon übrigens nicht einmal unsere Miete begleichen.
Das Finanzamt hält auch noch die Hand auf, denn die erhaltenen Leistungen sind bei der Steuererklärung anzugeben. Für das Steuerjahr 2009 gibt es dank Obamas Konjunkturprogramm aber einen Freibetrag von $2.400.
Krankenkassenzahlungen deckt die Arbeitslosenversicherung nicht ab. Unter dem Cobra-Gesetz darf der Arbeitnehmer in der Krankenkasse seines Arbeitgebers für 18 Monate bleiben, vorausgesetzt er hatte überhaupt eine. Er muss aber die Beiträge selbst bezahlen (Rundbrief 11/2004), und das sind für eine Familie leicht mal $800 pro Monat.
Um Arbeitslosenunterstützung zu erhalten, muss man in der Regel einen bestimmten Mindestbetrag innerhalb eines Quartals im festgesetzten Berechnungszeitraum, der sogenannten "base period" (meistens 12 Monate), verdient haben. In Kalifornien sind das entweder $1.300 in einem Quartal des Berechnungszeitraums, oder mindestens $900 im Quartal mit dem höchsten Verdienst, wenn insgesamt innerhalb des gesamten Berechnungszeitraums mindestens das 1.25-fache von $900, also $1.125, verdient wurden. Na, raucht euch schon der Kopf?
Angelika Und noch ein Beispiel zum Thema amerikanischer Bürokratismus. Seit Januar diesen Jahres dürfen Touristen nur noch dann visumsfrei in die USA einreisen, wenn sie sich vor der Einreise elektronisch registrieren lassen (ESTA = Electronic System for Travel Authorization).
Diese neue Regelung ergänzt das sogenannte Visa Waiver Program, das Touristen und Geschäftsleuten aus bestimmten Ländern, u.a. auch Deutschland, eine visumsfreie Einreise erlaubt, wenn der Aufenthalt nicht länger als 90 Tage beträgt. Um die Genehmigung zu erhalten, muss der Reisefreudige (einschließlich Kinder) online Daten auf der ESTA-Webseite zur seiner Person beantworten, ähnlich wie auf dem grünen Formular I-94W, das der ein oder andere von euch sicherlich schon vor der Einreise in die USA im Flugzeug ausgefüllt hat.
Die Fragen klopfen ab, ob etwas vorliegt, was die visumsfreie Einreise ausschließt, zum Beispiel Vorstrafen, Drogenabhängigkeit, oder das Antreten einer Arbeitsstelle in den USA. Auszufüllen ist das Ganze in englischer Sprache, die Instruktionen sind aber in vielen Sprachen erhältlich. Zur Zeit fällt keine Gebühr für die Registrierung an. Reisebüros können die Registrierung ebenfalls für den Reisenden vornehmen. Man schickt die Daten ab und die US-Behörde erteilt entweder die Reisegenehmigung oder auch nicht, d.h. der Abgelehnte muss sich in diesem Fall um ein Visum bemühen.
Erhält der Tourist die Genehmigung, ist sie bis zu zwei Jahren gültig oder bis zum Ablauf des Reisepasses, je nach dem was zuerst eintritt. Die erteilte Genehmigung bedeutet nur, dass ihr ohne Visum ins Flugzeug steigen dürft. Ob sie euch reinlassen ins Land, liegt nach wie vor im Ermessen des amerikanischen Beamten der Einwanderungsbehörde am Flughafen. Auch ist nicht garantiert, dass ihr das grüne Formular I-94 W nicht nochmal im Flugzeug ausfüllen müsst.
Und dann bescherte uns Bush noch ein kleines bürokratisches Bonbon, kurz bevor er abtrat. Im Januar trat ein Gesetz in Kraft, nach dem alle Greencard-Besitzer bei der Wiedereinreise am Flughafen ihre Fingerabdrücke und ein Foto abzuliefern haben. Bisher galt das nur für Touristen und Leute mit Visum. Etwas merkwürdig ist das schon, denn für die Greencard mussten wir eh schon Fingerabdrücke abliefern und FBI Checks über uns ergehen lassen, und ein Foto und ein Fingerabdruck sind auf der Greencard eingespeichert. Das Ganze läuft natürlich unter dem Deckmantel des Sicherheitsrisikos, obwohl nicht immer klar ist, ob die Maßnahmen auch wirklich die Landessicherheit erhöhen. Auch heißt es offiziell, dass die neuen Bestimmungen verhindern, dass jemand mit gefälschter Greencard einreist. Aber dann wäre es auch logisch, von allen Fingerabdrücke bei der Einreise abzunehmen, also auch von Amerikanern, denn wer sagt denn, dass der Pass echt ist! Nur würde es dann zu Protesten im großen Stil kommen, deswegen hat Bush sich das nicht getraut. Leider ist es gang und gäbe, dass der Präsident, kurz bevor er den Sessel räumt, noch versucht, alle möglichen Verordnungen durchzudrücken. Seufz. Wir hoffen, dass Obama diesen Unsinn wieder rückgängig macht.
Michael Kauft man heutzutage ein Haus in einem Vorort, steht dies meist in einer kleinen Siedlung mit identischen Häusern. Es muss nicht gleich eine sogenannte Gated Community sein, ein Verbund von Häusern, die durch ein Tor von der Außenwelt abgetrennt sind. Dort hinein gelangt man ja bekanntlich nur, wenn man sich über die Sprechanlage anmeldet und dann jemand von innen das schwere Eisentor öffnet.
Nein, auch ganz normale Siedlungen werden meist vom gleichen Bauherrn erstellt und die Häuser gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Die Leute wollen das so! Damit das auch nach der Bauphase so bleibt, trifft sich die sogenannte "Home Owners Association" (HOA) einmal im Monat und diskutiert die hirnrissigsten Dinge. Die Teilnahme an den Vereinsversammlungen ist freiwillig, die Entscheidungen der HOA sind allerdings für alle Hausbesitzer bindend. Freunde, die im Silicon Valley ein Haus gekauft haben, erzählten uns, dass ihre HOA von einem Gschaftlhuber sondergleichen geleitet wird, der allen Ernstes vorschlug, dass alle Hausbesitzer per Sammelbestellung die gleichen Blumentröge bestellen sollten, damit die schöne Uniformität der Siedlung weiter bestehe, wo käme man denn hin, wenn jeder andersfarbige Blumentöpfe hätte! Und dass es ja wohl nicht anginge, dass die Leute ihre Autos vor ihren (eigenen!) Häusern parkten, sondern dass diese in der Garage zu verschwinden hätten.
Auch wenn man eine Wohnung in einem Appartmentkomplex kauft, ist diese einer HOA unterworfen. In Belmont, einer kleinen Stadt im Silicon Valley, hat eine HOA sogar beschlossen, dass niemand in seiner Wohnung rauchen darf. Das muss man sich mal vorstellen, da kauft man sich für teures Geld eine Wohnung und darf diese dann nicht mal mit Zigarettenqualm vollstinken! Als Kalifornier finden wir zwar rauchfreie Zonen in Restaurants und Bars sehr angenehm, und fühlen uns in Orten wie Las Vegas, wo man noch überall raucht, wie in Absurdistan, doch was man in der eigenen Wohnung macht, sollte doch jedem selbst überlassen bleiben, finde ich.
Angelika Präsident Obama erreichte zeitweise Kultstatus in bestimmten Kreisen in diesem Land und ganze Pilgerströme machten sich auf nach Washington, um seine Amtseinführung live mitzuerleben. Langsam kehren wir zum Alltag zurück und obwohl Obama immer noch großen Zuspruch in der Bevölkerung findet (63% nach den neusten Umfragen), musste er sich auch bereits mit einigen politischen Rückschlägen auseinandersetzen.
Denn trotzdem er sein Konjunkturpaket mit Höchstgeschwindigkeit durch das Repräsentantenhaus und den Senat jagte, blieb doch ein bitterer Beigeschmack, denn nur drei Republikaner stimmten für das Paket im Senat. Im Repräsentantenhaus gab es nicht einmal eine einzige republikanische Ja-Stimme. Obamas Traum einer überparteilichen Zusammenarbeit, um die anstehenden enormen Probleme zu lösen, ist bereits nach sechswöchiger Amtszeit etwas verblichen.
In unserem Viertel "Noe Valley" steht Obama aber weiterhin hoch im Kurs. Kurz vor Weihnachten tauchten sogar Gebetskerzen mit Obama als Heiligem in den Geschäften auf. Der Krims-Krams-Laden "Just for Fun" fing damit an, aber mittlerweile gibt es die Kerzen auch in anderen Geschäften, denn sie verkaufen sich gut. "Just for Fun" platzierte eine Riesenausgabe der Kerze, die schlappe $395 kostet, in ihrem Schaufenster (die kleinere Modelle kosten übrigens nur um die $15). Das erregte wiederum die Aufmerksamkeit des Priesters Tony LaTorre der um die Ecke ansässigen katholischen Gemeinde St. Philip. Er sieht die Obama-Kerze als Beleidigung des katholischen Glaubens und der Heiligenverehrung in der katholischen Kirche. Er rief seine Gemeindemitglieder auf, nicht mehr bei "Just for Fun" zu kaufen und die Geschäftsinhaber wissen zu lassen warum.
Nur hörten nicht alle seine Schäflein auf ihn, denn einige marschierten prompt in den Laden und bekundeten, dass sie kein Problem mit der Obama-Kerze hätten. Dann setzte sich der Pfarrer auch noch in die Brennnesseln, indem er die Ladenbesitzer als dem jüdischen Glauben angehörig identifizierte. Und das stimmte nicht einmal! Nur einer der Inhaber hatte einen jüdischen Vater. Das ganze Hin und Her brachte gleich die Erzdiözese San Franciscos auf den Plan, die veranlasste, dass der Pfarrer sich von seiner Bemerkung distanzierte.
Das Kerzendesign ist übrigens tatsächlich "Made in San Francisco", denn Johnny Oliver, im Hauptberuf Wohnungsmarkler, suchte sich wegen des desolaten Häusermarktes ein zweites Standbein. Mit "Photoshop" beamte er einfach Obamas Kopf auf ein Bild des Heiligen Martin de Porres, einem peruanischer Dominikanerbruder, der sich für die Armen und Kranken einsetzte und passenderweise einen spanischen Vater und eine schwarze Mutter hatte. Natürlich kurbelte die ganze Kontroverse das Kerzengeschäft an und die Obama-Kerze schmückt immer noch das "Just for Fun" Schaufenster. Ich denke, dass - Spaßartikel hin oder her - gar nicht genug Gebetskerzen für Obama brennen können, denn der Mann braucht alle erdenkliche Hilfe, um uns aus dem Schlamassel, in dem wir uns befinden, wieder herauszuholen.
Angelika In unserem Viertel "Noe Valley" gehört es zur Tagesordung, dass Geschäfte kommen und gehen, denn die Mieten sind trotz Krise immer noch astronomisch hoch und die Konkurrenz durch Onlineanbieter und große Discounter am Stadtrand ist groß. Natürlich brechen schlechte wirtschaftliche Zeiten vielen kleineren Geschäften schneller das Genick, und so stehen mehr und mehr Geschäfte in Noe Valley leer.
Neulich wurde ich dann aber doch besonders sentimental, denn der Supermarkt "Bell Market" in unserem Viertel schloss Mitte Februar für immer seine Tore. Schließlich habe ich hier an meinem ersten Tag in San Francisco, anno 1996, eine Flasche Sekt für den Silversterabend eingekauft! Man munkelte schon seit ungefähr zwei Jahren, dass der Bell schließen würde, schon weit vor dem jetzigen Wirtschaftsdrama.
Nun gibt es keinen richtigen Supermarkt mehr in unserem Viertel sondern nur noch kleine Tante-Emma-Läden, sogenannte "Corner Stores", die aber kein großes Warensortiment führen. Es kommt zwar wieder ein neuer Supermarkt in das Bell-Gebäude, aber zunächst wird umgebaut und modernisiert. Obwohl es heißt, dass der Umbau bis September über die Bühne gehen wird, glaubt im Viertel keiner so richtig daran. Der neue Supermarkt gehört zu der Kette "Whole Foods". "Whole Foods" kommt ursprünglich aus Texas und verkauft hauptsächlich Produkte aus biologischen Anbau in seinen Regalen. Der Laden passt, wie Michael immer so schön sagt, wie kein anderer ins "Neureich" Valley, denn viele Bewohner in unserem Viertel verdienen nicht nur gut sondern sind umweltbewusst. Der "Whole Foods" gilt mehr als Nobelsupermarkt und wird lustigerweise von vielen auch "Whole Paycheck" genannt, da man dort locker sein ganzes Gehalt lassen kann. Aber ich muss sagen, dass die Qualität der Produkte wirklich gut ist.
Den Managern von "Whole Foods" liegt scheinbar viel daran, sich mit den Leuten im Viertel gut zu stellen. So versuchten sie, die Sorgen der kleineren Geschäfte zu zerstreuen, die ähnliche Produkte verkaufen, und versichern, dass "Whole Foods" nicht gnadenlose Konkurrenz sondern Bereichung fürs Viertel ist. Auch gibt es jetzt jeden Dienstag einen von "Whole Foods" gestellten Bus, der willige Kunden in den "Whole Foods" Supermarkt im Viertel Protero Hill karrt, während die Umbauarbeiten stattfinden.
Der Service richtet sich vor allen Dingen an ältere Leute im Viertel, die nicht mehr selbst Auto fahren, er kann aber natürlich von jedem genutzt werden. Seit der "Bell" zu ist, jammert Michael jeden zweiten Tag, dass er dort jetzt nicht mehr sein geliebtes Brot kaufen kann. Obwohl wir einen hervorragenden Bäcker auf der 24te Straße haben, kaufte Michael immer eine bestimmte Sorte italienisches Baguette beim "Bell" wegen der dickeren Stangen und der härteren Kruste. Auf jeden Fall hoffen wir, dass die Eröffnung des "Whole Foods" nicht Herrscharen von Ökoleuten zum Einkaufen in unserer Viertel bringt, die dann mit ihren Autos die 24te Straße verstopfen.
Angelika In Kalifornien gibt es in den meisten Ecken bekanntlich nur zwei Jahreszeiten: Die Hügel sind entweder braun oder grün. In den letzten drei Jahren blieben die Hügel ein bisschen zulange braun, denn es hat im Winter nicht genug geregnet und von April bis September regnet es bekanntlich keinen Tropfen. Nun beeinträchtigt das nicht nur die Farbe der Hügel, sondern auch den Wasserstand der Wasserreservoire, die uns mit Wasser versorgen.
Die Stadtveranwortlichen bauten schon vor vielen Jahren eine Pipeline vom 225 km östlich gelegenen Yosemite-Nationalpark nach San Francisco. So kommen die Städter und auch die umliegende Landwirtschaft in den Genuss eines stetig verfügbaren Wasserangebots, auch wenn es monatelang nicht regnet. Schlappe 86% des Trinkwassers in San Francisco kommen aus dieser Leitung!
Obwohl es im Februar doch hin und wieder sogar heftig regnete, ist die Niederschlagsmenge ein Tropfen auf den heißen Stein, denn die Pegel der Reservoire werden nur dann auf die normalen Stände kommen, wenn uns der März sinflutartige Regenfälle und in der Sierra Nevada astronomische Schneefälle beschert.
Gouverneur Schwarzenegger erklärte Ende Februar dann auch den Notstand wegen der anhaltenden Trockenperiode in Kalifornien. Städte und Kommunen müssen 20% Wasser einsparen, sonst droht Arnie, das Wasser zwangsweise zu rationieren. Wie das genau gehen soll, wissen wir leider noch nicht. Dürfen wir dann zum Beispiel nur noch jeden zweiten Tag duschen und wer kontrolliert das? Michaels größte Sorge ist, dass der Vermieter bald wassersparende Duschköpfe einbaut, denn schließlich berappt dieser die Wasserrechnung für die Mietparteien im Haus. Das wäre das Aus für unseren Elefantenduschkopf, den Michael gerade erst eingebaut hat, obwohl der wahrscheinlich auch nicht mehr Wasser verbraucht, der verteilt den Wasserstrahl nur besser.
Aber zur Zeit geht es noch um typisch freiwillige Maßnahmen wie die Spülmaschine nur anzustellen, wenn sie voll ist, das Auto nicht per Hand zu waschen, tropfende Wasserhähne zu reparieren. Private Haushalte sind natürlich nur ein Teil des Problems. Die Bewässerung der landwirtschaftlichen Felder im kalifornischen Central Valley schluckt enorme Wassermengen.
Dabei wird Wasser fleißig vom Sacramento River Delta im Norden nach Süden durch die Gegend gepumpt, denn das Obst und Gemüse braucht Wasser, um zu gedeihen. Kalifornien produziert nämlich die Hälfte des Obsts, Gemüses und der Nüsse der USA. Nun erhalten die Farmer das Wasser zum Bewässern ihrer Felder oft aus Reservoiren, die staatlicher oder bundesstaatlicher Kontrolle unterliegen.
Die Behörden kündigten nun an, dass es dieses Jahr kein Wasser aus diesen Quellen geben wird, wenn sich die Lage nicht dramatisch verbessert. Das bedeutet dann brachliegende Felder und weniger Arbeit. Die Arbeitslosenquote in einigen Städten im Central Valley ist durch die anhaltende Rezession und die Konsequenzen der Trockenperiode dramatisch in die Höhe geschnellt. Im Städtchen Mendota betrug die Arbeitslosenquote im Februar 35 Prozent. Wir fuhren übrigens neulich auf unseren Weg nach Los Angeles durch diese Gegend mit ihren Obstplantagen und Feldern, soweit das Auge reicht. Wir sahen deutlich, dass einige Städte schon bessere Zeiten erlebt haben.
Michael Rundbriefleserin Marlene N. hat uns vor kurzem darauf aufmerksam gemacht, dass es doch ganz interessant wäre, den US-Warenkorb auf den neuesten Stand zu bringen, den wir anno 2000 im Rundbrief 08/2000 veröffentlicht haben, um euch mit den horrenden Käsepreisen in San Francisco zu schocken. Erstaunlicherweise sind die meisten Preise in etwa gleich geblieben, nur die Wohnungsmiete hat deutlich angezogen.
Ware/Dienstleistung | Dollar | Euro |
---|---|---|
1 Liter Milch | 1.80 | 1.39 |
1 Liter gutes (Microbrew) Bier (Supermarkt) | 4.00 | 3.09 |
250g Gouda "Old Amsterdam" | 7.50 | 5.80 |
1 Hamburger bei McDonalds im Angebot | 0.49 | 0.38 |
1 Mietauto für 1 Tag mit Versicherung | 50.00 | 38.66 |
1 Burrito beim Mexikaner | 6.00 | 4.64 |
1 belegtes Sandwich im Supermarkt | 5.00 | 3.87 |
1 Schachtel Zigaretten | 6.50 | 5.03 |
1 Flasche halbwegs trinkbarer Wein | 7.00 | 5.41 |
30er Packung 'Twix' im Supermarkt | 14.00 | 10.82 |
1 Liter Normalbenzin | 0.58 | 0.45 |
1 Hand-Autowäsche innen/außen | 19.95 | 15.43 |
Gut und billig chinesisch Mittag essen (pro Person) | 8.00 | 6.19 |
Gut und billig Abend essen (pro Person) | 20.00 | 15.46 |
Sehr gut und teuer essen gehen (pro Person) | 100.00 | 77.32 |
Monatsmiete 3-Zimmer Wohnung in unserem Viertel | 2800.00 | 2164.96 |
Billiges Motel (DZ) in San Francisco | 85.00 | 65.72 |
Wie ihr seht, kann man, wenn man Angebote nutzt, auch von sehr wenig Geld leben. Allerdings müssten wir dann in eine preisgünstigere Gegend ziehen.
Michael Zur Zeit ist ja in Amerika wegen der Finanzkrise Sauregurkenzeit und die Leute knausern mit dem Geld herum, anstatt es wie üblich mit beiden Händen auszugeben. Tägliche Vergnügungen wie den Starbucks-Kaffee entsagt man sich deswegen (Starbucks hat letztes Jahr satte 100% Gewinnrückgang eingefahren) und so einfach übers Wochenende nach Las Vegas zu düsen ist für Otto Normalverbraucher auch nicht mehr drin. Aber die Casinobosse in Las Vegas sind natürlich auch nicht auf den Kopf gefallen und locken deswegen mit Schlagerangeboten.
So habe ich alter Schnäppchenjäger vor ein paar Monaten im Internet eine Luxussuite im "Venetian" zu einem relativ humanen Preis gebucht und im Januar sind wir übers Wochenende hingefahren.
Dramatischerweise wurde Angelika kurz vor der Abreise von einer gerade kursierenden Grippe befallen und konnte sich nur mit Müh' und Not in das Spielerparadies schleppen. Das Bombenangebot konnten wir natürlich nicht verfallen lassen. Wir mussten sogar eine Decke mit an den Flughafen nehmen, damit sie sich im Wartesaal einkuscheln konnte!
Angekommen, mieteten wir uns für $8 pro Tag ein Auto (ja, auch die Autovermieter müssen runter mit den Preisen), fuhren ins Casino, wo Angelika sich sofort ins Bett der Luxussuite schlafen legte und ich mich um 2 Uhr nachts noch nach unten ins Casino begab.
Ein Arbeitskollege hatte mir vorher ein Buch mit dem Titel "Video Poker Optimum Play" zugesteckt, das eine relativ einfach zu merkende Strategie beschreibt, mit der man 99.53% seiner Einsätze zurückbekommt. Interessanterweise ist das Buch sogar mathematisch korrekt, hantiert also nicht mit hanebüchenen Behauptungen wie so viele Bücher dieser Art, sondern mit fundierter Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Ich spiele ja äußerst knauserig, und suche mir meist die Video-Poker-Maschinen mit 25-Cent Einsatz. Viel Geld gewinnt man damit freilich nicht, aber man kann stundenlang spielen, ohne nennenswerte Beträge einzusetzen. Hin und wieder kommen die Casinobedienungen vorbei, bei denen man kostenlos Bier oder Cocktails bestellen kann, und wenn der Drink dann Minuten später gebracht wird, gibt man einen Dollar Trinkgeld. Mehr nicht, denn schließlich sind die Leute, die 25-Cent-Maschinen spielen, keine Rockefellers!
Video-Poker hat mit richtigem Poker fast gar nichts zu tun. Man bekommt nach dem Setzen des zu wettenden Geldbetrags fünf Karten auf den Bildschirm und muss mittels eingebauter Automatenknöpfe festlegen, welche Karten man behalten und welche man tauschen möchte. In der zweiten und zugleich letzten Runde bekommt man dann Ersatz für die getauschten Karten, und das war's, das Spiel ist zu Ende. Karten zählen bringt nichts, weil der Computer jedes Mal ein neues Packerl virtueller Karten hernimmt. Aber wählt man die zu haltenden und die zu tauschenden Karten geschickt und mit konstantem Kalkül, schneidet man gut ab.
Ein Tipp aus dem Buch lautet zum Beispiel: Zeigt die erste Hand ein hohes Paar (zum Beispiel zwei Asse oder zwei Buben), behält man es auf jeden Fall und wirft den Rest weg. Außer man hat 4 Karten zu einem Royal Flush (zum Beispiel Pik 10, Dame, König, As), dann tauscht man die Karten, die einem Royal Flush (10, Bube, Dame, König, As von einer Farbe) im Wege stehen. Kommt der Royal Flush dann, sahnt man richtig ab, da kommen bei einer 25-Cent-Maschine dann gut und gerne 1000 Dollar herausgeprasselt. Allerdings ist die Chance relativ gering, 1:650.000, man muss also wochenlang jeden Tag spielen, damit der Gewinn mit anzunehmender Wahrscheinlichkeit eintritt.
Insgesamt muss man sich für die "Optimum Play"-Strategie elf Regeln merken, die teilweise ganz schön kompliziert sind. Angelika ging es am nächsten Tag gesundheitlich gleich viel besser und nachdem ich ihr die wichtigsten Video-Poker-Regeln erklärt hatte, war sie auf einmal $50 im Plus, während ich immer noch um den Nullpunkt herumdümpelte ... Anfängerglück, ohne Zweifel!
Das Land mag in der Krise stecken, wir machen das Beste draus!
Angelika & Michael
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Spezialthemen:
USA: | Schulsystem-1, Schulsystem-2, Redefreiheit, Waffenrecht-1, Waffenrecht-2, Krankenkasse-1, Krankenkasse-2, Medicare, Rente, Steuern, Jury-System, Baseball, Judentum |
Immigration: | Visa/USA, Warten auf die Greencard, Wie kriegt man die Greencard, Endlich die Greencard, Arbeitserlaubnis |
Touren: | Alaska, Vancouver/Kanada, Tijuana/Mexiko, Tokio/Japan, Las Vegas-1, Las Vegas-2, Kauai/Hawaii, Shelter Cove, Molokai/Hawaii, Joshua Nationalpark, Tahiti, Lassen Nationalpark, Big Island/Hawaii-1, Big Island/Hawaii-2, Death Valley, Vichy Springs, Lanai/Hawaii, Oahu/Hawaii-1, Oahu/Hawaii-2, Zion Nationalpark, Lost Coast |
Tips/Tricks: | Im Restaurant bezahlen, Telefonieren, Führerschein, Nummernschild, Wohnung mieten, Konto/Schecks/Geldautomaten, Auto mieten, Goodwill, Autounfall, Credit Report, Umziehen, Jobwechsel, Smog Check |
Fernsehen: | Survivor, The Shield, Curb your Enthusiasm, Hogan's Heroes, Queer Eye for the Straigth Guy, Mythbusters, The Apprentice, The Daily Show, Seinfeld |
Silicon Valley: | Netscape-1, Netscape-2, Netscape-3, Yahoo! |
San Francisco: | SoMa, Mission, Japantown, Chinatown, Noe Valley, Bernal Heights |
Privates: | Rundbrief-Redaktion |