Angelika/Mike Schilli |
Weihnachten ist hier übrigens auch ein ziemlich großes Ding, obwohl doch viele Menschen aus anderen Kulturen und mit anderen Religionen in San Francisco leben. Die meisten Familien feiern Weihnachten, auch wenn ihre Religion ein anderes Fest in den Mittelpunkt stellt. In der Tagesstätte, in der ich arbeite, bemüht man sich, die wichtigsten Feste der verschiedenen Religionen den Kindern nahezubringen. So wird momentan nicht nur über Weihnachten gesprochen, sondern über das jüdische Fest Hanukah (Fest des Lichtes), was auch im Dezember gefeiert wird, und über Kwanzaa, was einige afro-amerikanische Familien sozusagen als ihr Weihnachtsfest feiern. Für mich ist das alles hochspannend und ich bin schon etwas beschämt, wie wenig ich von den einzelnen Religionen und Traditionen bisher wusste.
Ansonsten ist Weihnachten natürlich der Kommerz pur. Alles glitzert und funkelt und die Geschäfte überbieten sich mit ihren Schaufensterdekorationen. Vor dem Spielzeuggeschäft FAO Schwarz sind z.B. Absperrungen aufgebaut, damit sich Kunden brav in die Schlange anstellen können. Wenn der "Run" auf die Spielsachen zu groß ist, sorgt der Sicherheitsmensch dafür, dass Kunden nur noch dann Einlass gewährt wird, wenn andere Kunden das Geschäft verlassen. Vor diesem eben erwähnten Geschäft hat sich am Samstag, als wir in der Stadt waren, übrigens eine groteske Szene abgespielt. Ein Straßenhändler, der bunte Plastikrentiergeweihe (Viecher, die den Schlitten von Santa Claus, dem amerikanischen Weihnachtsmann, ziehen) verkaufte und auch eines aufgesetzt hatte, bekam von einem Polizisten Handschellen angelegt (wir wissen auch nicht warum). Nachdem der Polizist dies erledigt hatte, hielt er einen netten Plausch mit dem Straßenhändler, man hätte glauben können, sie wären die dicksten Freunde. Und ich schwöre, dass dort kein Film für Hollywood gedreht wurde.
Im Tenderloin, wo ich arbeite, werden die Kinder gerade mit Geschenken überschüttet, weil irgendwelche Firmen Sachspenden machen. Leider konzentriert sich alles um die Weihnachtszeit und danach denkt keiner mehr so recht an die Kinder. Überhaupt wäre es meiner Meinung nach sinnvoller, Geld zu spenden, aber so haben die Kinder mittlerweile eine ganze Stofftiersammlung beisamen, mit der sie nicht viel anzufangen wissen. Auch müssen wir mit den Kindern andauernd zu irgendwelchen Weihnachtsparties. Das ist einerseits ganz nett. So waren die Kinder z.B. zu einem Kinderballet eingeladen und danach gab es für alle Kinder Lunch. Das war echt super-professionell aufgezogen. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass die Sponsoren natürlich sichergehen wollen, dass die Bevölkerung auch von ihrer großzügigen Spende erfährt. Also müssen die Kinder vor Fernsehkameras und Fotoapparaten posieren. Bei der einen Party kam zum guten Schluss noch der Bürgermeister und ließ sich mit einigen Kindern fotografieren, woraufhin er gleich wieder verschwand. That's life!
Michaels AOL-Weihnachtsfeier hat auch schon stattgefunden und selbst ich hatte von meiner Einrichtung aus eine Weihnachtsfeier. Meine Weihnachtsfeier war extra für die diversen Volunteers (freiwilligen Helfer) der Einrichtung als Dankesfeier organisiert. Die festen Mitarbeiter haben für uns das Essen zubereitet und es gab sogar Geschenke für uns. Das ist etwas, was ich sehr schätze an der Einrichtung: Man hat als Volunteer dort wirklich das Gefühl, dass das Engagement, was man einbringt, sehr geschätzt wird und eben nicht selbstverständlich ist. Menschlich gesehen fühle ich mich dort immer wohler, obwohl ich den pädagogischen Ansatz auch weiterhin nicht in vollen Zügen teilen kann, aber ich lerne viel und kann für mich selbst viel mitnehmen.
Meine Kurse (Fotografiekurs, Kurs über afro-amerikanische Familien) waren ein voller Erfolg und haben mich sehr bereichert und mir viel Freude gemacht. Beide Kurse waren auf einem hohen Niveau und von sehr interessanten Leuten besucht. Ich musste auch ordentlich für die Kurse arbeiten (Literaturstudium, abschließendes Fotoprojekt, Abschlussarbeit über das Arbeiten mit afro-amerikanischen Familien), was mir bei Michael den Titel "Streberin" eingebracht hat. Der Fotokurs war so aufgebaut, dass wir zu jeder Stunde eine andere Aufgabe angehen mussten, die zuvor im Kurs besprochen wurde (z.B. Portraitaufnahmen, Nachtfotografie). In der nächsten Woche hat man sich dann die Fotos gemeinsam angeschaut und besprochen. So bin ich also viel mit meiner Kamera in San Francisco unterwegs gewesen. Michael musste mich oft begleiten, was er eigentlich ohne viel Murren gemacht hat. Nur als er dann mein Objekt für die Portraitaufnahmen werden sollte, hat er doch gestreikt. Ich habe daraufhin die Kinder aus meiner Einrichtung fotografiert. Um dem Fotografiekurs alle Ehre zu machen, haben wir das Foto auf unserer Weihnachtskarte natürlich selbst gemacht.
Der Kurs über afro-amerikanische Familien hat sich viel mit dem Thema Rassismus in Amerika und den Lebensbedingungen von schwarzen Familien beschäftigt. Was mir sehr gut gefallen hat, war der Praxisbezug, z.B. was ich als weißer Lehrer beachten sollte, wenn ich mit schwarzen Familien zusammenarbeite, wie kann ich Misstrauen abbauen, wie gehe ich mit meinen eigenen Vorurteilen um usw. Man muss dabei bedenken, dass die Thematik schwarz versus weiß sehr emotional besetzt ist in den USA und dass Rassismus tief verwurzelt ist in der amerikanischen Gesellschaft (wie in anderen Ländern auch). In meiner Abschlussarbeit habe ich mich dann damit beschäftigt, was man beachten sollte, wenn man mit afro-amerikanischen Kindern in einer Vorschuleinrichtung arbeitet. Zunächst habe ich ganz schön geschwitzt, weil ich die Arbeit ja auf Englisch schreiben musste. Gott sei Dank hat Sylvia sie korrigiert. Und die Mühe hat sich gelohnt, ich habe nämlich ein A (was der deutschen Note 1 entspricht) bekommen und muss sagen, dass ich schon sehr stolz darauf bin. Im Januar fangen dann die neuen Kurse an. Ich habe vor, drei zu belegen (einen über Entwicklung im Kindesalter; einen über sogenannte Patchwork-Familien, das heißt Familien, in denen Kinder aus verschiedenen Ehen oder Beziehungen zusammenleben; einen über multikulturelle Familien).Kurse an der UC Berkeley Extension
Zweitens haben wir neue Internet-Adressen. Ich habe jetzt eine ganz eigene. Sie lauten:
Mschilli1@aol.com Angekala@aol.com
Meine Adresse klingt vielleicht etwas ungewöhnlich, aber es war sehr schwierig einen Namen zu finden, den es unter 10.000.000 AOL-Benutzern noch nicht gibt. Und da habe ich darauf zurückgegriffen, wie mich mein Neffe Julian früher immer genannt hat (DANKE, JULE!).
Und der beste Witz zum Schluss: Ich habe meinen amerikanischen Führerschein immer noch nicht erhalten. Ich warte jetzt fast ein Jahr auf ihn. Nachdem ich noch zweimal zur Führerscheinstelle in San Francisco musste, um meine Papiere zu zeigen und endlich klar war, dass alles in bester Ordnung ist, d.h. dass ich völlig legal im Land bin, bekam ich wiederum ein Schreiben aus Sacramento, diesmal mit dem Hinweis, dass mein Foto nicht auffindbar wäre. Also bin ich das dritte Mal zur Führerscheinstelle getrottelt, habe das Foto machen lassen und warte wiederum geduldig. Ich weiß jetzt aber sicher, dass ich den Führerschein nicht noch einmal machen muss, weil ich ja nichts für die Schlamperei kann. Der Manager der Führerscheinstelle, mit dem ich schließlich gesprochen habe, offenbarte mir übrigens, dass er einen Fall hat, da wartet der Betreffende schon seit 1995 auf seinen Führerschein. Wahrscheinlich erhalte ich ihn kurz vor unserem Umzug nach Deutschland. Sei's drum.
So, ihr Lieben, wir wünschen euch allen schöne Weihnachten. Denkt mal an uns! Neues vom Führerschein
Rauf auf eine kleine Anhöhe, keuch, vorbei am UPS-Gebäude, wo morgens um halb acht die Paketboten schon in ihren braunen Uniformen rumgschafteln, den Berg runter, unter der 101er-Autobahn durch und vorsicht! Am Kreisverkehr zur Townsend-Straße steht neuerdings ein Polizist mit einem Fahrrad und passt auf, dass auch jeder brav am Stoppschild stehen bleibt. Keiner da? Rauf aufs Gas in die lange Gerade durch das SoMa-Viertel (South of Market), wo Lagerhallen und Kunstgalerien sich abwechseln - da kommt gerne mal der 21te Gang rein!
Dann: Rein in den Bahnhof, das Rad in den speziell dafür vorgesehenen Bike-Wagon gestellt, der Schaffner hat ein Auge drauf! Man kennt sich. Dann geht's noch schnell zur Kaffeeverkäuferin einen "Small Coffee" und eine mexikanische Zimtrolle geholt, rein in den Zug und ab geht die Post!
Laptop raus, rumgeklimpert oder die Zeitschriften weggelesen! Natürlich nur meine eigenen Artikel, die anderen schreiben eh nur Blödsinn, giggle! Neuerdings höre ich übrigens Cassetten von Antony Robbins im Walkman. "Personal Power II", das ist so eine amerikanische Motivationsserie, wie werde ich Millionär in 14 Tagen oder so. Superlustig!
Wuuuuuups, nächste Station Hillsdale! Schnell raus mit dem Rad - ich krieg die Krise! Hat mich wieder ein Depp zugeparkt! Es ist nämlich so, dass jeder an seinem Rad ein Schild hat, auf dem steht, wohin er fährt. Bayshore, Palo Alto, San Jose, was weiß ich. In einem Radständer im Zug parken nämlich vier Räder. Damit der, der zuerst raus muss, nicht den ganzen Wagon auf den Kopf stellen muss, um an sein Radl zu kommen, parken die Leute die Räder so, dass der, der zuerst raus muss, sein Fahrrad vorne dran hat. Sagte ich, alle haben ein Schild an ihrem Rad? Nicht alle! M.S. z.B. hat einen total unauffälligen Aufkleber "San Francisco - Hillsdale" auf seinem, den sieht keiner! Aber andere Leute haben z.B. ueberhaupts keine Aufkleber nicht. Kommt jetzt jemand Neues in den Wagon, will sein Fahrrad abstellen und hat die Qual der Wahl zwischen mehreren Fahrradständern, in denen das vorderste Rad jeweils keinerlei Beschriftung aufweist, schreit er laut in den Wagon "Where's the red Specialized goin'??" und meint damit, dass er wissen will, wohin das rote Rennrad der Marke 'Specialized' mitsamt seinem Eigentümer denn fährt. Wenn der Eigentümer aufpasst, schreit der z.B. zurück "It's goin' to Belmont!" und jeder weiss Bescheid. Kommt keine Antwort, muss das Rad Herrn Schilli gehören, der gerade Walkman hört oder sonstigerweise geistig abwesend ist. Gnadenlos wird das Rad zugeparkt ... Ja, raus, raus, raus, aus dem Zug, gerade noch geschafft! Puh! Jetzt geht's durch das Hillsdale-Einkaufszentrum, das ist eine riesige Shopping-Mall mit so Giga-Kaufhäusern wie Mervyn's oder Macy's oder Sears. Die ersten Verkäuferinnen gehen zur Arbeit.
Die Gegend wird ruhiger, es geht durch durch die Einfamilienhaus-Kolonie in San Mateo. Das ist typisches Mittelklasse-Amerika: Bungalows mit 10 Quadratmeter Rasen vornedran, sauber vom mexikanischen Schwarzarbeiter gemäht. Doppelgarage Minimum. So sehen ungefähr 80% aller amerikanischen Häuser außerhalb der großen Städte aus. In der Frühe macht der Ami gerne die Garagentür auf und lässt das Auto schon mal warmlaufen, während er noch frühstückt, Benzin kost' ja nix.
Rauf auf die Anhöhe, wo das AOL-Gebäude steht! Der Berg ist ungefähr so hoch wie die Zugspitze, und so steil, dass der erste Gang rein muss (das heißt was bei einem Mountain-Bike!) und ich frage mich jeden Tag, wie lange ich gesundheitlich das noch machen kann. Aber oben ist es still wie auf dem Mount Everest, die Aussicht ist phantastisch und ich werfe ich noch einen kurzen Blick auf die Bay, summe leise "I lost my heart ... in San Francisco". Und auf geht's! Rein ins Büro, wo schon ein paar Jungs und Mädels in ihren Cubicles sitzen und es geht "Man, how are you?", "Hey buddy, how's it goin'?", "Man, I tell ya ...".
Rechner an! Die "Silicon Graphics Challenge S", auf der ich arbeite, hab' ich noch nie gesehen - sie steht in Virginia, an der Ostküste! Und die Arbeit beginnt ... hacking away ... yippieh!
So, liebe German Brothers & Sisters, ich hoffe, ihr hattet Euren Spaß an der Geschichte. Bis nächstes Jahr!
Gehabt's euch wohl, ois Guade, take it easy!
Angelika & Michael
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