24.11.2007   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 71  
San Francisco, den 24.11.2007


Abbildung [1]: Party abgesagt: Kein Umzug im Castro

Angelika Am 31. Oktober ziehen in San Francisco nicht nur die Kinder von Haus zu Haus, um Süßigkeiten zu ergattern, sondern es findet traditionell auch die mehr für Erwachsene geeignete Halloween-Party im Schwulenviertel Castro statt. In Rundbrief 11/2001 haben wir schon einmal über diese seit 30 Jahren gepflegte Tradition berichtet. Bei der Party geht es zugegebener Maßen immer ziemlich hoch her, vor allen Dingen je weiter die Nacht fortschreitet. Die Stadt hatte deswegen letztes Jahr die Sperrstunde aus Sicherheitsgründen auf 23 Uhr vorgezogen.

Bei der Castro-Party drängen sich die Menschenmassen üblicherweise in den verrücktesten Kostümen (viele nur ganz spärlich bekleidet) durch die nicht gerade breite Castro Street und tanzen auf der Straße. Ursprünglich war das Treiben eine reine Nachbarschaftsangelegenheit, sozusagen ein verrücktes Faschingsstraßenfest, durchaus auch um die eigene Homosexualität farbenfroh zu feiern und kreativ zum Ausdruck zu bringen. Über die Jahrzehnte erfreute sich die Castro-Halloween-Party immer größerer Beliebtheit und Schätzungen zufolge kamen in den letzten Jahren zwischen 200.000 und 300.000 Leute ins Castro-Viertel. Das reizte die Kapazitäten schon bis an die Grenzen aus.

Abbildung [2]: Die Polizei im temporären Quartier über einem Halloween-Laden.

Leider gab es unter den Teilnehmern letztes Jahr auch ein paar Vollidioten, die fanden, es wäre angebracht, mit Schusswaffen herumzuballern. Ein paar junge Spunde gerieten in einen Streit und meinten, dieser wäre mit Waffengewalt zu lösen. Warum jemand mit einer Waffe im Gepäck auf eine Halloween-Party geht, ist natürlich eine gute Frage.

Neun Leute erlitten letztes Jahr Schusswunden. Die Stadtväter, denen die ausschweifende Party schon lange ein Dorn im Auge war (2002 gab es eine Messerstecherei), machten dieses Jahr kurzen Prozess und sagten die Party einfach ab. Nun hatte in San Francisco niemand damit gerechnet, dass sie damit durchkommen würden. Viele befürchteten, dass das Verbot zu Trotzreaktionen und zivilem Ungehorsam führen würde.

Abbildung [3]: Die Absperrgitter für den Fall der Fälle

Aber der Stadtrat zog alle Register. So überredete er viele Bar- und Restaurantbesitzer, ihre Tore früh zu schließen, sodass Partygeher keine Möglichkeit hatten, sich in ummittelbarer Nähe des Castro-Viertels zu betrinken. Bei der ersten Halloween-Party, an der wir nach unserem Umzug nach San Francisco teilnahmen, gab es übrigens noch Alkohol öffentlich auf der Straße zu kaufen!

Dann beschlossen unser Bürgermeister Gavin Newsom und seine Mannen, die Muni- und Bartstationen (öffentliches Verkehrssystem in San Francisco) rund um das Castro am frühen Abend einfach abzuriegeln und gleichzeitig das Parken im Viertel extrem einzuschränken, sodass man nur unter erschwerten Bedingungen zur nicht stattfindenden Party gelangen konnte. Uns schreckte das natürlich keineswegs ab, denn wir wohnen praktisch nebenan, nur einen Hügel weiter östlich.

In der Castro Street offenbarte sich uns allerdings ein trauriges Bild, denn nur eine Handvoll Unerschrockener kamen. Es wimmelte überall von Polizisten, die sich darin überboten, furchterregend zu schauen und einen bei der kleinsten Regelverletzung unfreundlich zusammen zu stauchen. So überquerte ich zum Beispiel eine Straßenkreuzung und trat dabei etwas über die weiße Linie, die, wie in Amerika üblich, den Fußgängerüberweg anzeigte. Gleich pfiff mich ein Polizist zurück. Die Polizei hatte auch strengste Anweisungen, jeden zu verhaften, der sich betrunken in der Öffentlichkeit danebenbenahm.

Abbildung [4]: Einige Hartgesottene feierten trotzdem.

Die Holzhammermethode führte zum gewünschten Erfolg, die meisten blieben der Halloween-Party im Castro fern und die für alle Fälle bereit gestellten Straßensperren versauerten am Straßenrand. Ich war richtig enttäuscht von unserem sonst so progressiven San Francisco. Nicht nur, dass sich der Stadtrat von aggressiven jugendlichen Spinnern knebeln lässt und eine sonst überwiegend friedliche Festivität einfach einstampft, sondern auch dass die Schwulenbewegung in San Francisco mittlerweile ein wenig in die Jahre gekommen ist und Halloween scheinbar lieber auf der häuslichen Couch im ruhigen Viertel verbringt. Denn Gerüchten zufolge wollen vor allen Dingen die Anwohner im Castro-Viertel, dass die Party in Zukunft woanders stattfindet.

Alle werden alt nur wir nicht!

Angelika und Michael

PDF Drucken
RSS Feed
Mailing Liste
Impressum
Mike Schilli Monologues


Auf die Email-Liste setzen

Der Rundbrief erscheint in unregelmäßigen Abständen. Wer möchte, kann sich hier eintragen und erhält dann alle zwei Monate eine kurze Ankündigung per Email. Sonst werden keine Emails verschickt.

Ihre Email-Adresse


Ihre Email-Adresse ist hier sicher. Die Rundbrief-Redaktion garantiert, die angegebene Email-Adresse nicht zu veröffentlichen und zu keinem anderen Zweck zu verwenden. Die Mailingliste läuft auf dem Google-Groups-Service, der sich ebenfalls an diese Richtlinien hält. Details können hier eingesehen werden.
Alle Rundbriefe:
2024 153 154 155
2023 148 149 150 151 152
2022 143 144 145 146 147
2021 138 139 140 141 142
2020 133 134 135 136 137
2019 129 130 131 132
2018 125 126 127 128
2017 120 121 122 123 124
2016 115 116 117 118 119
2015 111 112 113 114
2014 106 107 108 109 110
2013 101 102 103 104 105
2012 96 97 98 99 100
2011 91 92 93 94 95
2010 85 86 87 88 89 90
2009 79 80 81 82 83 84
2008 73 74 75 76 77 78
2007 66 67 68 69 70 71 72
2006 59 60 61 62 63 64 65
2005 54 55 56 57 58
2004 49 50 51 52 53
2003 43 44 45 46 47 48
2002 36 37 38 39 40 41 42
2001 28 29 30 31 32 33 34 35
2000 20 21 22 23 24 25 26 27
1999 13 14 15 16 17 18 19
1998 7 8 9 10 11 12
1997 1 2 3 4 5 6
1996 0

Rundbriefe 1996-2016 als PDF:
Jetzt als kostenloses PDF zum Download.

Spezialthemen:
USA: Schulsystem-1, Schulsystem-2, Redefreiheit, Waffenrecht-1, Waffenrecht-2, Krankenkasse-1, Krankenkasse-2, Medicare, Rente, Steuern, Jury-System, Baseball, Judentum
Immigration: Visa/USA, Warten auf die Greencard, Wie kriegt man die Greencard, Endlich die Greencard, Arbeitserlaubnis
Touren: Alaska, Vancouver/Kanada, Tijuana/Mexiko, Tokio/Japan, Las Vegas-1, Las Vegas-2, Kauai/Hawaii, Shelter Cove, Molokai/Hawaii, Joshua Nationalpark, Tahiti, Lassen Nationalpark, Big Island/Hawaii-1, Big Island/Hawaii-2, Death Valley, Vichy Springs, Lanai/Hawaii, Oahu/Hawaii-1, Oahu/Hawaii-2, Zion Nationalpark, Lost Coast
Tips/Tricks: Im Restaurant bezahlen, Telefonieren, Führerschein, Nummernschild, Wohnung mieten, Konto/Schecks/Geldautomaten, Auto mieten, Goodwill, Autounfall, Credit Report, Umziehen, Jobwechsel, Smog Check
Fernsehen: Survivor, The Shield, Curb your Enthusiasm, Hogan's Heroes, Queer Eye for the Straigth Guy, Mythbusters, The Apprentice, The Daily Show, Seinfeld
Silicon Valley: Netscape-1, Netscape-2, Netscape-3, Yahoo!
San Francisco: SoMa, Mission, Japantown, Chinatown, Noe Valley, Bernal Heights
Privates: Rundbrief-Redaktion
 

Kommentar an usarundbrief.com senden
Lob, Kritik oder Anregungen? Über ein paar Zeilen freuen wir uns immer.

In der Textbox können Sie uns eine Nachricht hinterlassen. Wir beantworten jede Frage und jeden Kommentar, wenn Sie ihre Email-Adresse in das Email-Feld eintragen.

Falls Sie anonym bleiben möchten, füllen Sie das Email-Feld bitte mit dem Wort anonym aus, dann wird die Nachricht dennoch an uns abgeschickt.

Ihre Email-Adresse


Nachricht

 
Impressum
Letzte Änderung: 26-Nov-2012