Beschönigende Begriffe
(Angelika) Fasziniert stehe ich immer vor dem Einfallsreichtum der Amerikaner, wenn es darum geht, Dinge sprachlich auf den Punkt zu bringen oder Sachverhalte, die sich im Deutschen nur umständlich beschreiben lassen, griffig und plastisch darzustellen. Auch hier sei nochmal an den Irakkrieg erinnert, währenddessen so mancher Euphemismus Verwendung fand. Die militärische Strategie des Bombenhagels auf Baghdad umschrieb man z.B. mit "shock and awe" (Schock und Ehrfurcht) und die Länder, die sich kritiklos hinter Bush formierten, wurden als "coalition of the willing" (Koalition der Willigen) bezeichnet.
Zur absoluten Höchstform läuft der Amerikaner allerdings auf, wenn es darum geht Abkürzungen zu erfinden, die für sich wieder einen Sinn ergeben, sodass sich das Ganze besser zu merken und vorzustellen ist. Äußerst beliebtes Anwendungsgebiet: Gesetze oder andere bürokratische Abhandlungen. So wird Ende dieses Jahres an Flughäfen und Häfen ein neues System namens USVISIT (US Visitor and Immigration Status Indication Technology System) erprobt. Dahinter verbirgt sich, dass die Grenzbehörden von Touristen, Geschäftsleuten und Studenten (USVISIT = US-Besuch) bei der Einreise in die USA biometrische Daten erfassen und später auch den Zeitpunkt ihrer Ausreise registrieren.
Auch die Abkürzung TIPS (Terrorism Information and Prevention System) für das heftigst kritisierte und deshalb schließlich auf Eis gelegte stasimäßige Bespitzelungssystem (der Briefträger, der Gasableser, der Nachbar sollte im Auftrag der Regierung herumschnüffeln) zur Terrorismusbekämpfung in Amerika ist nicht zu verachten.
Und da ich gerade dabei bin, von sprachlichen Kuriositäten zu berichten, darf ich nicht vergessen, die Faszination des Amerikaners fürs Buchstabieren von Wörtern hervorzuheben. Das mag vielleicht zunächst daran liegen, dass es in der Schule ein Fach "Spelling" (Buchstabieren) gibt. Aber auch die auf lokaler und nationaler Ebene ausgetragenen Buchstabierwettbewerbe tragen sicherlich zur Beliebtheit bei.
"Spelling Bees" (Buchstabier-Bienen) heißen hier diese Wettbewerbe, in denen Schüler aller Altersstufen gegeneinander antreten und die verrücktesten Wörter buchstabieren müssen. Dazu gibt ein Juror ein Wort vor und der Schüler buchstabiert es daraufhin aus dem Kopf. Das Aufschreiben des Wortes ist natürlich tabu. Den armen Kindern werden dabei Wörter um die Ohren geschleudert, die selbst erwachsene Englischsprecher nicht kennen. Letztes Jahr gewann jemand im nationalen Wettbewerb, der das Wort "prospicience", das ich nicht einmal in meinem allerbesten Wörterbuch fand, richtig in die Einzelbuchstaben zerlegte. 2001 war es "succedaneum", was immer das heißen mag.
Lustigerweise dient das Buchstabieren manchmal auch als Geheimsprache zwischen Eltern, Erziehern und Lehrern, wenn anwesende Kinder, die noch nicht lesen können, nicht mitkriegen sollen, um was es geht: S-E-X wird im prüden Amerika immer zerlegt aber auch B-U-L-L-S-H-I-T (großer Mist/Schwachsinn). Dabei legen einige Leute allerdings so eine Affengeschwindigkeit an den Tag, dass auch ich, die ich nie durch das harte Buchstabiertraining ging, manchmal ins Schleudern komme!