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  Rundbrief Nummer 38  
San Francisco, den 23.07.2002


Der Zuschlag und ein Stempel im Pass

Wer glaubt, dass uns die Einwanderungsbehörde gleich die eigentliche Greencard zusandte, täuscht sich schwer. Das wäre ja viel zu einfach. Zunächst flattert einem ein Bescheid ins Haus, dass der Antrag genehmigt wurde. Im April 2002 beglückte uns unser Briefträger mit dem besagten Bescheid. Neben der freudigen Nachricht forderte uns der Brief auf, uns bei der Einwanderungsbehörde in San Francisco mit zwei brandneuen Passbildern, unserem Pass etc. einzufinden. Ziel war es, einen Stempel in den Pass zu bekommen, der als vorläufige Greencard gilt und zum Arbeiten und Reisen berechtigt:

An einem Dienstag im April machen wir uns also mit dicken Jacken, allen notwendigen Papieren und Lektüre bewaffnet frümorgens auf, um uns in die Schlange der Einwanderungsbehörde in San Francisco einzureihen. Wir hatten bereits gehört, dass es in San Francisco zwei Schlangen gibt: eine für Leute mit einem Termin (z.B. zum Interview) und die andere für die armen Tröpfe ohne einen solchen (erfahrungsgemäß superlang). Leider herrschte Unklarheit darüber, in welcher Schlange wir uns einzufinden hätten. Die Einwanderungsbehörde liegt in San Franciscos "Financial District", genauer gesagt an der Ecke Sansome und Washington Street -- ein riesiges Gebaüde. Um gleich in der Frühe dranzukommen, kreuzen wir um 6:10 Uhr am INS-Gebäude auf. Die Schlange, in der sich alle ohne Termin anstellen müssen, windet sich schon um den Häuserblock herum. Kein Mensch steht an dem anderen Eingang, durch den die Leute mit Termin geschleust werden. Brav reihen wir uns hinter etwa 80 Leuten ein, froh um unsere warmen Jacken, denn der Wind pfeift ziemlich um die Ecke. Natürlich befragen wir die vor und hinter uns in der Schlange Stehenden sofort. Vor uns steht ein verheiratetes Paärchen. Er ist Amerikaner und sie Ausländerin, im Prozess, die Greencard durch die Eheschließung zu erhalten. Beide erscheinen uns wie Profis, denn sie stehen nicht das erste Mal an. Sie versichern uns, dass wir in der richtigen Schlange stehen. Hinter uns steht ein Software-Ingenieur aus Indien, der genau wie Michael den Zuschlag für die Greencard durch den amerikanischen Arbeitgeber bekam, also im gleichen Boot sitzt wie wir. Er ist sich genauso unsicher wie wir, was das Schlangenproblem betrifft.

Abbildung [1]: Die Schlange am INS-Gebäude in San Francisco

Nach 10 Minuten beschließe ich, zu dem anderen Eingang hinüberzuwandern, in der Hoffnung jemanden Kompetenten zu finden, der das Schlangenrätsel für uns löst, obwohl die Türen für das Fußvolk noch geschlossen sind (Erwähnte ich schon, dass nirgendwo Schilder stehen, die Hinweise geben?). Ich treffe auf Sicherheitspersonal, das am Eingang steht. Geduldig erkläre ich, dass die Einwanderungsbehörde unser I-485 (man wirft immer mit den Abkürzungen der Formulare um sich; es sieht dann so aus, als wüsste man wovon man spricht) genehmigt hätte und dass wir hier wären, um unseren Stempel in unseren Pass zu bekommen. Prompte Rückfrage: "Haben Sie einen Termin?" Etwas verzweifelte Antwort: "Nein, nicht wirklich", denn auf dem Schreiben, das wir in den Händen halten, ist kein konkretes Datum und keine spezifische Uhrzeit für unser Erscheinen angegeben. Zu erwartende Antwort: "Dann müssen Sie sich mit allen anderen anstellen!" Schwupps, und ich stehe wieder in der Schlange neben Michael, die stetig wächst. Während wir geduldig warten, frage ich mich, warum noch keiner auf die Idee kam, Kaffee und Bagels (so etwas Ähnliches wie ein Brötchen mit Loch) an die Wartenden zu verkaufen. Eine echte Marktlücke. Hinter unserem indischen Mitstreiter steht ein weiterer indischer Landsmann mit seiner Familie und seinem Kind -- jeder muss persönlich beim INS aufkreuzen. Erneut kommt das Schlangenproblem auf, wieder wandert jemand zum anderen Eingang, fragt die Fragen, die schon ich stellte, und kommt mit der gleichen Antwort zurück. Langsam weicht unsere Skepsis und wir beginnen zu glauben, dass wir tatsächlich in der richtigen Schlange stehen.

Um 6:45 Uhr kommt Bewegung in den Pulk der Menschen. Die Türen öffnen sich. Etwa 10 Leute erhalten jeweils Eingang ins Gebäude. Jeder muss sich ausweisen, Taschen werden durchleuchtet und man geht durch den Metalldetektor. Die Schlange bewegt sich eher im Schneckentempo, denn es gibt nur einen Metalldetektor und eine Durchleuchtungsmaschine. Hurra, um 7:30 Uhr betreten wir die heiligen Hallen. Die Sicherheitsleute kassieren Michaels digitale Kamera ein (keine Sorge, er bekam sie zurück, als wir das Gebäude wieder verließen) und wir gehen durch ein Labyrinth von Absperrungen, stoßen schließlich auf drei Schalter. Wir reichen dem Mann hinter dem Schalter unsere Papiere. Der schaut uns zunächst etwas verstört an, will uns aber dann zum nächsten Schalter schleusen, an dem es scheinbar Wartenummern gibt. Plötzlich schaltet sich ein anderer INS-Beamter (scheinbar ein Vorgesetzter) neben ihm ein und belehrt ihn, dass wir gleich zum Büro 200-B gehen könnten, denn unser positiver Bescheid käme einem Termin gleich. Ihr ahnt, was das bedeutet: Wir hatten in der falschen Schlange angestanden. Nach einigen leisen Stoßseufzern bahnen wir uns den Weg durch das Labyrinth von Gängen und stehen vor der Bürotür 200-B. Es ist mittlerweile 7:50 Uhr. An der Bürotür hängt ein Schild, das uns auffordert, den Brief, der unseren Termin anzeigt, durch den vorgesehenen Schlitz in der Tür zu schmeißen. Einziges Problem: Wir haben keinen festgesetzten Termin. Viele Leute sitzen mittlerweile im Vorraum - einige mit Termin, einige ohne - und die Diskussion beginnt, was die Leute ohne festen Termin in den Schlitz werfen sollen, denn wie wissen die zuständigen Beamten sonst, dass wir vor der Tür warten? Es bleibt nur die Möglichkeit, das Original (!) des positiven Bescheids, den wir in den Händen halten, einzuwerfen. Viele verzweifeln darüber allerdings, denn der Bescheid ist der einzige Beweis, dass die Einwanderungsbehörde dem Greencard-Antrag zustimmte. Michael macht natürlich dumme Witze, dass sich hinter dem Schlitz ein Reißwolf befindet, der alle Papiere vernichtet.

Kurz vor 8 Uhr schlüpft eine Beamtin aus einer der hinteren Türen und obwohl überall Schilder hängen mit der Aufschrift "NO QUESTIONS, NO INFORMATION" (KEINE FRAGEN, KEINE INFORMATION), spreche ich sie mutig an, um herauszufinden, was wir in den Schlitz einwerfen sollen. Zunächst schweigt sie beharrlich, aber nachdem ich sie verzweifelt anschaue, zeigt sie sich von ihrer großzügigen Seite -- der offizielle Bescheid ist einzuwerfen. Um 8 Uhr öffnet sich die Bürotür und INS-Beamte rufen die ersten Leute ins Interview, ganz so wie in dem Film "Green Card". Die Wartenden halten nicht nur Familien-Fotoalben bereit, um zum Beispiel zu beweisen, dass die Ehe mit einem amerikanischen Staatsbürger wirklich existiert, sondern haben in der Regel auch einen Rechtsanwalt im Schlepptau. Beantragt man eine Greencard mit Hilfe des Arbeitgebers, entfällt in der Regel das Interview, so wie auch in unserem Fall.

Um 8:05 beordert ein weiterer Beamter alle Personen, die bereits über einen positiven Greencard-Bescheid verfügen (also auch uns), in den Wartebereich eines anderen Schalters und beginnt seine Arbeit. Um 8:30 Uhr ruft er uns auf. Wir geben unsere Pässe und Lichtbilder ab, von einem einzelnem Finger wird zweimal ein Fingerabdruck genommen (diesmal mit Tinte) und wir unterschreiben ein dafür vorgesehenes Formblatt zweimal. Fingerabdruck, Unterschrift und Lichtbild befinden sich später auf der eigentlichen Greencard. Der Beamte bestätigt noch unsere Adresse, an die die Greencard geschickt werden soll, dann nehmen wir wieder im Warteraum Platz. Bis die Greencard dann im Briefkasten liegt, zieht man übrigens besser nicht um, denn Greencards darf die Post nicht nachsenden. Es besteht zwar die Möglichkeit, eine Adressenänderung der Einwanderungsbehörde mitzuteilen, aber das Risiko würden wir nach unseren Erfahrungen nicht im Traum eingehen, wer weiß, wo die Mitteilungen landen.

Um 9:30 Uhr ruft uns eine andere Beamtin auf. Sie hält unsere Pässe in den Händen, zeigt uns den Stempel, der als vorläufige Greencard gilt und ein Jahr (mit der Möglichkeit auf Verlängerung nach Ablauf des Jahres) gültig ist. Sie informiert uns noch, dass die eigentliche Greencard in sechs bis zwölf Monaten bei uns eintrudeln wird. Michael behauptet später, dass der rote Stempel wie Kartoffeldruck aussieht, was stimmt. Unsere Namen sind dabei handschriftlich unter den Stempel gesetzt, fast ein wenig enttäuschend nach all der Wartezeit. Um 9:40 Uhr verlassen wir das Gebäude glückstrahlend und gehen zur Feier des Tages fürstlich frühstücken, bevor Michael ins Büro fährt.

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Letzte Änderung: 26-Nov-2012