03.06.1999   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 15  
San Francisco, den 03.06.1999


Amerikanische Ketten

(Angelika) Schon lange wollte ich mich einmal über amerikanische Städte auslassen. Wir haben ja schon ziemlich häufig berichtet, dass San Francisco in vieler Hinsicht eben nicht die typische amerikanische Großstadt ist und diejenigen von euch, die noch nie in Amerika waren, wird das vielleicht etwas verwundert haben. Um es auf den Punkt zu bringen: Amerikanische Großstädte (ausgenommen San Francisco, New York, New Orleans, Boston -- es sei mir verziehen, wenn ich eine Stadt vergessen habe) sehen alle gleich aus, sprich, sie sind ziemlich langweilig und eintönig. Dies liegt einmal daran, dass sie alle wie ein Schachbrett aufgebaut sind, kilometerlange parallele Straßen, die der Einfachheit halber in der Regel mit Nummern bezeichnet werden. Diese Bauweise mag ja vielleicht praktisch sein, aber führt auch zu Monotonie. So findet man in amerikanischen Städten in der Regel in Downtown (Stadtmitte/Innenstadt) Wolkenkratzer mit Büros und wenn man Glück hat, eine riesige Shopping-Mall (Einkaufszentrum). Nette kleine Cafes oder Geschäfte sowie einen Marktplatz sucht man vergeblich. Um Downtown herum, mit vielen Highways (Autobahnen) verbunden, befinden sich dann die Wohngebiete, die meist ebenfalls nach einem Strickmuster konzipiert wurden: Einfamilienhäuser mit Doppelgarage und wiederum die Shopping-Mall. Den Bäcker um die Ecke sucht man vergeblich. Um zum Einkaufen in die Shopping-Mall zu kommen, muss man natürlich das Auto benutzen. Was ich besonders schrecklich finde, ist, dass diese Shopping-Malls fast nur aus Ketten bestehen, das heißt, egal in welcher amerikanischen Stadt man sich aufhält, sind es dieselben Geschäfte, die in der Regel haargenau gleich aussehen (von innen wie von außen). Das Kettenphänomen geht übrigens so weit, dass es auch Kettenrestaurants gibt (ein bekannte Kette ist zum Beispiel "Olive Garden", dort gibt es italienisches Essen). Vielleicht zieht der Amerikaner deshalb auch so häufig um, denn irgendwie bleibt trotz des Ortwechsels doch alles beim Alten, zumindestens was die Stadtansicht betrifft. San Francisco oder auch New York zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie aus dieser Monotonie und Gleichmacherei ausbrechen, so gibt es viele kleine Nachbarschaften mit ganz eigenem Charakter (z.B. Chinatown oder das mexikanische Viertel von San Francisco, die "Mission"). Hier findet man dann eben einzigartige Restaurants, kleine Boutiquen und Geschäfte, die noch in Privatbesitz sind und noch nicht von einer Kette aufgefressen wurden, sowie den unabhängigen Buchladen oder Zeitungsladen. Damit dies so bleibt, haben sich in San Francisco starke Nachbarschaftsverbände gebildet, die mit allen Mitteln versuchen, zu verhindern, dass Ketten sich in ihrer Nachbarschaft niederlassen. Leider schaffen diese das auch nicht immer, da in San Francisco die Mieten zur Zeit so hoch sind, dass fast nur Ketten sich diese noch leisten können. Diese Tendenz hat z.B. auch dazu geführt, dass unser geliebter "Bakers of Paris", in dem es die weltbesten Croissants zu kaufen gab, das Handtuch werfen musste. Echt traurig! Wenn ihr euch übrigens als echter Einwohner von San Francisco zu erkennen geben wollt, müsst ihr unbedingt die Kaffeehauskette "Starbucks" meiden. "Starbucks" kommt ursprünglich aus Seattle und hat einmal ganz klein angefangen. Mittlerweile gibt es an jeder zweiten Ecke einen "Starbucks". Nun muss man hier positiv anmerken, dass es "Starbucks" geschafft hat, dass es guten Kaffee, Cappuccino, Espresso usw. in Amerika zu kaufen gibt. Und wer, wie ich, seine Tasse Kaffee liebt und schon einmal fünf Wochen lang den noch vor zehn Jahren allerorts üblichen total dünnen (1 Kaffeebohne auf einen Liter Wasser und mindestens eine Stunde lang warmgehalten) Kaffee genießen musste, weiß, wovon ich spreche. Trotzdem geht man als San Franciscoaner (es sei denn, man ist auf Reisen und es gibt nichts anderes) nicht zu "Starbucks", sondern zu den unabhängigen Kaffeehäusern, die ihren Sitz in San Francisco haben (z.B. zu "Martha"). Es sei hier nur am Rande bemerkt, dass der Boykott auch damit zu tun hat, dass "Starbucks" ursprünglich aus Seattle kommt und das Verhältnis Seattle-San Francisco ungefähr so wie Norddeutschland-Bayern ist. Nun ja! Natürlich weiß ich, dass das beschriebene Kettenphänomen längst in deutsche Städte eingezogen ist. Jedem Städteplaner oder Kettenliebhaber kann ich deshalb nur als Tipp auf den Weg geben: Wenn ihr mal ein abschreckendes Beispiel einer total amerikanischen Stadt sehen wollt, fahrt nach San Jose, eine Autostunde südlich von San Francisco.

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