14.11.2011   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 94  
San Francisco, den 14.11.2011


Abbildung [1]: Auf dem Kindle lässt sich's lesen wie in einem Buch.

Michael Von der Revolution der elektronischen Amazon-Buchlesegeräte der Marke "Kindle" haben wir ja schon im Rundbrief 03/2011 berichtet. Auch in Deutschland scheint man mittlerweile zügig aufzuholen, der deutsche Amazon-Versand bietet eine ordentliche Auswahl aktueller Titel an.

Meiner Ansicht nach läutet diese Entwicklung ein rasches Ende aller Druckerzeugnisse und Buchläden ein. Bald werden Schulkinder ungläubig mit dem Finger auf Leute mit herkömmlichen Büchern zeigen, als wären dies Egozentriker, die Schallplatten mit der Nadel abhören. Alle Verlage, die nicht schleunigst umstellen, werden über kurz oder lang Konkurs anmelden. Im Rundbrief hört ihr's wie immer zuerst, von euren Reportern aus der Zukunft. Wer schlau ist, hört darauf, handelt danach, und stellt seine Publikationen schleunigst auf das neue elektronische Format um.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Nicht nur muss man in den Urlaub kein Kilo Bücher mehr mitschleppen. Und brauche ich eine Seite aus einem 1000-seitigen Unix-Wälzer, habe ich den immer und überall dabei. Neues Lesematerial findet man direkt auf dem Lesegerät, und kauft sie dort ohne Umschweife, ohne dass man sich auch nur aus dem Liegestuhl am Strand oder von der Kloschüssel erheben muss. Die Übertragung erfolgt drahtlos und kostenlos über das Handynetzwerk binnen weniger Minuten. Zeitschriften abonniert man nicht mehr per Post, Amazon spielt sie automatisch aufs Lesegerät, sobald sie erscheinen.

Seit einiger Zeit lese ich das SZ-Magazin auf dem iPad. Am Donnerstag morgen (der Zeitverschiebung sei Dank) liegt die neue Ausgabe jeweils vor und für 0.99 Dollar wird das aufwändig produzierte Druckwerk binnen einiger Minuten drahtlos auf das Lesegerät übertragen. In Farbe, in hoher Auflösung. Mit der Software hapert es noch manchmal, aber das kriegen die Zweitligaprogrammierer der Süddeutschen sicher auch noch in den Griff.

Abbildung [2]: Das Magazin der Süddeutschen Zeitung, für 0,99 Dollar auf das iPad geholt.

In Deutschland tut man sich noch schwer, diese Entwicklung ernst zu nehmen. Ich höre manchmal Ausreden wie "Deutschland ist nicht Amerika" und "das gute Buch wird nie verschwinden", doch in letzter Zeit haben sich grundlegende Voraussetzungen geändert, die die einst zögerliche Entwicklung dramatisch beschleunigen werden. Viele Deutsche vergleichen das eBook mit dem Einbruch des Internetzeitalters, in dem es ja bekanntlich praktisch niemand geschafft hat, eine Publikation kostendeckend online zu verkaufen, ohne sie mit Werbung zuzukleistern.

Dabei übersehen die Zauderer aber einen ganz wichtigen Unterschied zu damals: Während im Internet eine Gratis-Kultur herrscht und es als unsportlich gilt, für ordentlich verarbeitete und präsentierte Inhalte Geld auszugeben, kosten auf dem Kindle oder dem iPad die meisten Produkte zwar wenig, aber richtiges Geld. Es ist normal, für Musik oder Apps kleine Beträge zu berappen. Selbst das von mir geschätzte Hacker-Magazin "2600" kam vor einiger Zeit mit einer Kindle-Ausgabe heraus, und hat neulich berichtet, dass es in weniger als einem Jahr 10.000 neue Abonnenten an Land gezogen hat, die 0.99 Dollar im Monat für eine vierteljährliche Kindle-Ausgabe berappen!

Zwar hat das SZ-Magazin neulich darüber berichtet, dass mittlerweile auch Kindle-Bücher raubkopiert werden, doch ich glaube nicht, dass sich das durchsetzt. Allerdings nur, falls die Verlage schlau genug sind, faire Preise zu verlangen: Wer macht sich schon die Mühe, eine Raubkopie runterzuladen, wenn das offizielle Buch nur wenige Euro kostet?

Abbildung [3]: Hat man ein Kindle-Buch ausgeliehen, ist es auf dem eigenen Kindle gesperrt.

Der Kindle modelliert lustigerweise auch etablierte Gepflogenheiten von tradionellen Buchlesern: So darf man ein gekauftes Buch für zwei Wochen an einen befreundeten Kindle-Besitzer verleihen. Während dieser Zeitspanne bleibt die Ausgabe auf dem Kindle des Verleihers gesperrt (Abbildung 3). Und auch Leihbüchereien können eine Anzahl von Ausgaben eines digitalen Buches erwerben und diese an ihre Nutzer ausleihen. Die Hauptzweigstelle der Stadtbücherei San Franciscos am Civic Center verleiht neuerdings auch Kindle-Bücher. Allerdings haben begeisterte Leser die digitalen Regale bereits leergeräumt, das Kontingent scheint ausgeschöpft und die Leute haben sich in Wartelisten eingetragen. Eigentlich eine bizarre Situation: Die Auflage eines digitalen Buches, von dem man unendlich viele Kopien zum Nulltarif anfertigen könnte, wird künstlich limitiert, um die Beschränkungen papierner Druckerzeugnisse nachzubilden.

Abbildung [4]: Auch die ehrwürdige Stadtbücherei San Franciscos verleiht elektronische Kindle-Bücher.

Praktischerweise merkt sich der Kindle, wie weit man in jedem Buch schon geblättert hat, damit man nie eine Seite doppelt liest, auch wenn man sich durch 20 Druckwerke gleichzeitig kämpft. Und, noch besser: Die Kindle-Apps auf verschiedenen Geräten synchronisieren sich automatisch, wenn ich also daheim auf dem iPad ein Kindle-Buch lese und später im Bus ein Kindle-Lesegerät einschalte, fragt der Kindle, ob er soweit vorspulen soll, wie ich auf dem iPad gekommen bin. Dass man Sätze anstreichen kann und Anmerkungen an den Rand schreiben, und diese Daten dann später ebenfalls auf anderen Lesegeräten verfügbar sind, rundet die Sache ab.

Grüße aus dem obamamüden Land:

Angelika & Michael

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