Bevor wir nach Vancouver Island aufbrachen, konnten wir in jedem Reiseführer nachlesen, dass auf Vancouver Island mehr Bären als Menschen leben. Interessanterweise stromern auf der Insel nur Schwarz- aber keine Grizzlybären herum, während auf dem kanadischen Festland beide Arten vorkommen. Trotz intensiver Reserche bekam ich keine befriedigende Antwort auf die Frage, warum das so ist. Auf jeden Fall sahen wir gleich am zweiten Tag insgeamt drei Bären, die alle am Straßenrand gemütlich an irgendwelchen Gräsern herumknabberten.
Das scheint eine beliebte Beschäftigung der Schwarzbären zu sein. Da wir uns im sicherem Abstand in unserem Auto befanden, konnten wir in aller Ruhe Fotos schießen. Hinter uns hielt dann eine weitere Touristin an, die zu unserem Schrecken aus ihrem Auto ausstieg und sich dem Bären auf nur wenige Meter näherte, um ein Foto mit ihrem iPhone zu schießen. Sie schlich dabei und deutete uns an, leise zu sein. Wir fassten uns an den Kopf und fuhren davon. Sich einem Bären zu nähern und ihn zu erschrecken, ist ungefähr das Dümmste, was man machen kann. Bären bemerken Menschen normalerweise schon von weitem, und ignorieren sie, denn sie haben einen feinen Geruchssinn. Kommt man ihnen aber zu nahe und sie fühlen sich bedroht, endet das meistens böse.
Während unser Reise sahen wir im Schnitt täglich ein bis zwei Bären, vor allen Dingen, als wir uns im Norden der Insel aufhielten, denn da herrschen besonders paradiesische Verhältnisse: Wald soweit das Auge reicht und kaum Menschen. Einmal wanderten wir durch dichten Wald, kamen an einer Lichtung an und sahen einen Bären auf einer Wiese, vielleicht 100 Meter entfernt. Zum Glück war ein Wasserarm dazwischen. Die absolute irrwitzigste Begegnung mit einem Schwarzbären hatten wir, als wir in dem kleinen Ort Telegraph Cove gemütlich in einem Pub eingekehrt waren. Der Ort ist auf Stelzen im Wasser am Rande einer Bucht gebaut und Holzstege verbinden die Häuser. Wir saßen drinnen im Pub, und sahen, dass die Touristen auf der Terrasse aufsprangen und Fotoapparate zückten. Ein Bär war aus dem Wasser gesprungen, trug einen Fisch im Maul und spazierte gemütlich über die Holzstege des Dorfs zum Wald hoch. Selbst die Bedienung des Pub schien überrascht und bestätigte, dass das noch nie vorgekommen wäre.
Allgemein leben die Einwohner Vancouver Islands in friedlicher Koexistenz mit ihren Bären. Während wir in Alaska auf Anraten der Einheimischen immer eine Dose Bärenspray mitführten (Rundbrief 05/2006), riet man uns auf Vancouver Island nur, bei Bärenbegegnungen Krach zu machen, damit der Bär weiß, dass jemand kommt. Wir wanderten stets brav mit Bärenglocken am Rucksack durch den Wald, trafen aber viele, die auf diese leise bimmelnden Sicherheitsvorkehrungen verzichteten.