08.08.1999   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 16  
San Francisco, den 08.08.1999


Der Bike-Nazi

(Michael) Auch ins Netscape-Büro nach Mountain View fahre ich gerne mit dem Fahrrad und dem Zug, da kann ich auf dem Hin- und Rückweg jeweils eine Stunde lang die ganzen Computerhefte und -bücher lesen, die sich zu Hause stapeln. Außerdem gibt's auf der Fahrt mit dem Zug immer was zu lachen. Wie ich schon mal geschrieben habe, kann jeder Zug 24 Fahrräder befördern, und die Schaffner achten normalerweise gewissenhaft darauf, dass nicht mehr reinkommen, bei jeder Haltestelle rennen sie ins sogenannte Bike-Car und stellen sich an der Tür auf, um hereindrängende Fahrradfahrer zurückzuweisen, falls der Wagen schon voll ist. Manche Schaffner, und das sind die Lieblinge der Fahrradfahrer, die wie Helden gefeiert werden, scheuen allerdings die Konfrontation und lassen sich einfach nie im Bike-Car blicken, wenn der Zug hält, was zur Folge hat, dass an jeder Station neue Radler an Bord kommen -- einmal habe ich's erlebt, dass 35 Fahrräder drin waren, da konnte man dann kaum noch atmen, aber immer wenn so etwas passiert, ist Super-Stimmung im Bike-Car, denn die Fahrradler in San Francisco und Silicon Valley sind eine unterdrückte Minderheit, und da stellt sich dann ein schönes Zusammengehörigkeitsgefühl ein. Da werden Geschichten darüber erzählt, wer die spektakulärsten Unfälle hatte und wie doof die Autofahrer sind. Ein Schaffner allerdings -- er wird von den Radlern "Bike-Nazi" genannt -- nimmt's besonders genau und achtet peinlich darauf, dass jeder sein Fahrrad in genau den Ständer stellt, den er ihm zuweist. Der Bike-Nazi legt da irgendwelche obskuren Berechnungen zugrunde, nachdem es günstiger ist, wenn der, der zuerst aussteigt, sein Fahrrad ganz vorne hat. Ich lache dann immer in mich hinein und sage nichts, aber neulich ging einem Fahrgast die Sicherung durch und er beschimpfte den Bike-Nazi wüst. Er, der Schaffner, sei der Einzige, der diesen "Shit" mache, und er würde sich beschweren, er werde schon sehen, wenn er bald seinen "pink slip" (Kündigungsschreiben) in Händen halte. Ich musste schmunzeln, als ich in meinem Buch weiterlas. Auch gibt es in San Francisco bestimmte Routen für Fahrradfahrer, über die man von A nach B kommt, ohne einen der kraftraubenden Hügel überqueren zu müssen. Die Strecken erhalten dann lustige Namen, die nur die Radfahrer kennen, und die in mündlicher Tradition von Biker zu Biker weitergegeben werden. Der Duboce-Shuffle zum Beispiel, eine verzwickte Route von der Market Street zum Golden-Gate-Park -- ohne viel Autoverkehr und fast ohne Hügel. Oder der "John-Benton-Overpath", von der Bahnstation an der 22sten Straße nach Noe Valley, wo wir wohnen. Ausgedacht hat sich die Strecke ein Herr namens John Benton, ein Caltrain-Biker, den ich die Ehre habe, persönlich zu kennen. Euer Michael -- "Man of the people, friend to the stars!".

So, schon sind wir am Ende angelangt, die Frau Fotografin hat versprochen, nächstes Mal auch wieder was Geschriebenes zu liefern -- denkt daran, dass es auch diesmal wieder was zu gewinnen gibt: Welches außer dem ersten abgedruckten Bild wurde noch digital verändert, ist also eine plumpe Fälschung? Die erste richtige Email und der erste Brief, der über den normalen Postweg eingeht, gewinnt den exklusiven Preis: Jeweils ein handentwickeltes Original (auf Wunsch handsigniert) der Künstlerin, im Format 25cm x 20cm. Macht jede Studentenbude zum Intellektuellen-Loft. Bis die Tage! Michael und Angelika

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