24.08.2025   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 159  
San Francisco, den 24.08.2025


Abbildung [1]: Gerrymandering: Je nachdem, wie die Distriktgrenzen gezogen werden, verändert sich das Wahlergebnis.

Angelika Im letzten Rundbrief hatte ich bereits begonnen darzulegen, welche Schwächen es in der amerikanischen Verfassung und allgemein im politischen System der USA gibt, die zu Machtmissbrauch in verschiedensten Abstufungen führen können; je nachdem, wer gerade am Ruder ist. Trump testet jeden Tag aufs Neue die Grenzen aus, wie weit er gehen kann. Nächstes Jahr stehen die sogenannten Midterm-Wahlen (Zwischenwahlen) an. Dann werden alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und 35 der 100 Senatssitze neu vergeben. Traditionell bekommt der amtierende Präsident bei diesen Wahlen einen Dämpfer, das heißt, die Mehrheiten verschieben sich in der Regel, was das Regieren erschwert, wenn sich diese Verschiebung zu seinen Ungunsten auswirkt. Trump weiß das -- und versucht vorzubeugen, unter anderem mithilfe der politischen Strategie des "Gerrymandering".

Aber was bedeutet Gerrymandering eigentlich genau? Wir haben diese Taktik hier und da schon einmal erwähnt (Rundbrief 11/2006), heute möchte ich aber noch einmal tiefer gehen. Unter parteilichem Gerrymandering versteht man die Praxis, Wahlkreise so zuzuschneiden (oder besser gesagt zu manipulieren), dass eine Partei oder ein Kandidat klar bevorzugt wird. Das Ganze steht und fällt damit, dass Wahlergebnisse eines Bezirks nicht prozentmäßig ins Gesamtergebnis einfließen, sondern nur ein Kandidat den Bezirk gewinnt: "Winner takes all".

In der Theorie sollten Wahlkreise nun so gestaltet sein, dass die unterschiedlichen Wählergruppen fair vertreten sind. Deshalb wird in den USA nach jeder Volkszählung (Census), die alle zehn Jahre stattfindet, das Ziehen der Grenzen der Wahlkreise an die aktuellen Bevölkerungsdaten angepasst. Je nach Bundesstaat liegt die Verantwortung dafür entweder bei unabhängigen Kommissionen oder bei den Parlamenten. Kalifornien gehört zu den Bundesstaaten mit unabhängiger Kommission. In den meisten Bundesstaaten entscheidet jedoch das jeweilige Parlament, und ihr könnt euch vorstellen, dass die Wahlkreise dort dann nach parteipolitischen Interessen gezogen werden, zugunsten der jeweils regierenden Partei.

Besonders beliebt sind dabei zwei Methoden beim Gerrymandering, das Packing und das Cracking. Packing bedeutet, möglichst viele Wähler der gegnerischen Partei in einige wenige Wahlkreise "hineinzupacken". Diese Wahlkreise gewinnt die Opposition dann zwar mit sehr deutlichen Mehrheiten, aber die Stimmen sind praktisch verschwendet, da sie in anderen Wahlkreisen fehlen. Cracking ist die umgekehrte Strategie: Man verteilt die Wähler der gegnerischen Partei so breit wie möglich über viele Wahlkreise, sodass sie nirgends eine Mehrheit bilden können.

Abbildung [2]: Pamphlet gegen das Gerrymandering flattert per Post ins Haus.

Hier ein Beispiel, das das Ganze vielleicht anschaulicher macht: Ein Bundesstaat mit 100 Wählern ist in 5 Wahlkreise mit je 20 Wählern aufzuteilen. 60 Wähler unterstützen die Republikaner, 40 Wähler die Demokraten. Bei einer fairen Aufteilung würden daraus 3 republikanische und 2 demokratische Sitze werden, also genau dem Verhältnis 60/40 entsprechend. Nun stellen wir uns vor, die republikanische Partei kontrolliert die Wahlkreiseinteilung und möchte die Sitze der Demokraten so weit wie möglich reduzieren, indem sie deren Wähler in möglichst wenige Wahlkreise hineinpackt. In Wahlkreis 1 gehen alle 20 Stimmen somit an die demokratische Partei und keine an die republikanische. Der vollgepackte Wahlkreis geht somit zu 100% an die gegnerische Partei. Diese Stimmen fehlen jetzt aber in den anderen Wahlkreisen und werden somit verschenkt. In Wahlkreis 2, 3, 4, 5 gehen 12 Stimmen an die republikanische Partei, 8 dementsprechend an die demokratische. Die Republikaner gewinnen diese Wahlkreise mit jeweils 60%, denn das Prinzip "winner takes all" gilt. Dies führt im Gesamtergebnis dazu, dass die republikanische Partei nun 4 Sitze bekommt und die demokratische nur einen. Beim "Cracking", wird wie schon erwähnt, die umgekehrte Strategie angewendet. In unserem Beispiel gehen dann alle 5 Wahlkreise mit 60% an die republikanische Partei, die somit 5 Sitze erhält, was aber nicht mehr der politischen Landschaft des Bundesstaates entspricht.

Abbildung [3]: Diese Wahlwerbung verweist auf den 2010 beschlossenen Bann des Gerrymanderings in Kalifornien.

Üblich ist es, die Wahlkreise nach einer Volkszählung (die letzte fand 2020 statt) neu zu ziehen. Trump verfolgt derzeit jedoch die Strategie, Bundesstaaten, die von Republikanern kontrolliert werden und in denen das Parlament die Wahlkreise festlegt, dazu zu bewegen, diese noch vor den Midterm-Wahlen zu ihren Gunsten neu zu ziehen.

Vielleicht habt ihr mitbekommen, dass vor einigen Wochen demokratische Abgeordnete aus Texas ihren Bundesstaat kurzfristig verließen, um eine Abstimmung über neue Wahlkreise im texanischen Abgeordnetenhaus zu verhindern. Texas folgte jedoch Trumps Aufruf und zog einige Wahlkreise neu, um voraussichtlich fünf zusätzliche Sitze bei den Kongresswahlen im November 2026 für die republikanische Partei zu sichern. Dies wurde mittlerweile verabschiedet.

Abbildung [4]: 200 Millionen soll die Gerrymander-Abstimmung den Steuerzahler kosten.

Unser kalifornischer Gouverneur Gavin Newsom zieht nun nach und möchte auch in Kalifornien die Wahlkreise neu festlegen. Kalifornien ist fest in demokratischer Hand. Bisher wird die Festlegung der Wahlkreise in Kalifornien von einer unabhängigen Kommission übernommen, doch Newsom will diese Verantwortung kurzfristig wieder dem kalifornischen Abgeordnetenhaus übertragen. Ein Schritt, der der demokratischen Partei zugute käme. Die Logik dahinter: Kalifornien könnte mehr Demokraten in den Kongress entsenden und damit das texanische Vorgehen ausgleichen. Letztendlich löst dies natürlich wieder nicht das eigentliche Problem, nämlich dass Gerrymandering undemokratisch ist und abgeschafft gehört. In zutiefst polarisierten Zeiten scheint es jedoch vor allem "um Auge um Auge, und Zahn um Zahn" zu gehen.

Nun müsst ihr wissen, dass bei uns eigentlich die kalifornische Verfassung die Unabhängigkeit der Wahlkreisbestimmung garantiert. Es war ein großes Anliegen des damaligen Gouverneurs Arnold Schwarzenegger, das Gerrymandering in Kalifornien zu beenden. Durch seine Initiative wurden zwei Änderungen in die kalifornischen Verfassung eingebracht: Proposition 11 (im Jahr 2008) etablierte eine 14-köpfige Kommission zur Festlegung der Wahlkreise für das kalifornische Parlament, und 2010 wurde dies durch Proposition 20 auf die Kongresswahlbezirke ausgeweitet. Arnie, obwohl Republikaner, ist ein vehementer Trumpkritiker, hat sich jüngst auch wieder zu Wort gemeldet, da er nun auch gegen Newsoms Vorstoß ist. Allerdings hat sich Newsom durchgesetzt und nun müssen alle kalifornischen Wähler in einer Sonderwahl dieses Jahr im November über Präposition 50 abstimmen. Wenn der Wähler zustimmt, wird die kalifornische Verfassung geändert und für die Wahlen in den Jahren 2026, 2028 und 2030 werden die Wahlkreise wieder von Politikern bestimmt. Diese Woche flatterten schon die ersten Wahlpamphlete bei uns ins Haus.

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Letzte Änderung: 05-Sep-2025