Angelika/Mike Schilli |
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Michael Wer hätte gewusst, dass es in San Francisco eine Stadtbücherei mit sage und schreibe 31 Zweigstellen gibt? Das System, ein abgegabbeltes Buch aus dem Regal einer muffigen öffentlichen Einrichtung zu entnehmen, um es auszuleihen, war mir natürlich aus Deutschland seit Kindesbeinen an bekannt. Hier in San Francisco hatte ich es zwar in über zwanzig Jahren nicht geschafft, mir eine Büchereikarte zu besorgen, aber nachdem ich jetzt endlich etwas Luft habe, dachte ich mir: das probiere ich jetzt auch mal aus.
Ich ging also zu einer Zweigstelle der San Francisco Public Library (SFPL) bei uns im Viertel auf der Jersey Street, legte meinen Führerschein vor und sagte "What's a guy gotta do around here to get a library card?" oder so ähnlich, jedenfalls wollte ich Kramer aus Seinfeld möglichst original kopieren. Die Dame hinter dem Schalter tippte erfreut meine Daten in den Computer, vergewisserte sich, dass mein Wohnsitz in San Francisco war und fragte mich dann, welches Motiv ich denn auf meinem vier Jahre gültigen und kostenlosen Büchereiausweis wolle. Portraits irgendwelcher linken Politikhelden vielleicht? Ich entschied mit dann doch für das Motiv mit der niedlichen Katze (Abbildung 2).
In einer Impromptu-Einweisung erfuhr ich, dass die Ausleihzeit für Bücher drei Wochen beträgt, und man kann fünfmal (!) verlängern, wenn nicht ein anderer Bücherwurm das Buch mit einem sogenannten "Hold" vorreserviert hat. Auch die maximale Anzahl von Büchern, die eine Person gleichzeitig ausleihen kann, ließ mich aufhorchen: Bis zu 100 Bücher! Schubkarre ist selbst mitzubringen nehme ich an. Zurückbringen kann man die Bücher in jeder (!) Zweigstelle, entweder indem man sie dem Bibliothekar auf den Tisch legt oder aber unten an der Tür im Postschlitz einwirft.
Die meisten Bücher in der Zweigstelle dort sind alter Käse, gar nicht mal die klassischen amerikanischen Romanautoren, eher so die Grabbelkiste des Bücherladens. Eine Ausnahme ist das Regal mit der Aufschrift "Lucky Day", dort stehen brandneue Erscheinungen der Buch-Tycoone. So findet man dort (mit Glück) zum Beispiel die Biografie über Elon Musk, oder dieses Quatschbuch von Prinz Harry, oder auch die neuesten New York Times Bestseller wie "Chip Wars". Verlängern darf man die Ausleihzeit dieser begehrten Bücher allerdings nicht.
Da hab ich mir schon das ein oder andere Exemplar ausgeliehen und war sehr zufrieden. Die Bücher könnte man sich natürlich auch für 20 Dollar kaufen, aber ein Mann wie ich muss mit dem Kreuzer rechnen! Außerdem zwingt einen der Ablauf der Frist dazu, dranzubleiben, ich lese ja nicht schnell und so ein Buch mit 300 Seiten in drei Wochen durchzuackern ist schon anstrengend für mich.
Ein Regal mit DVDs gibt's auch noch, aber bitte, wer sieht denn heute noch DVDs. Und natürlich ist auch in der Stadtbibliothek der Fortschritt mit digitalen Büchern eingezogen, ebenfalls sehr zu empfehlen! Mit der App "Libby" auf dem Smartphone wählt man seine Bibliothek und ein Buch aus, von dem die Bücherei eine beschränkte Anzahl von Kopien verleihen darf. Dann ein paarmal wischen und drücken, und das Buch landet in Amazons Kindle-Universum (Abbildung 6), wo man es mit jedem beliebigen Kindle-Reader lesen kann. Drei Wochen lang.
Nach Ablauf der dreiwöchigen Frist entzieht einem dann erst Libby und dann Amazon das Kindle-Buch wieder (Abbildung 7)! Das muss man sich mal vorstellen: Um an dem alten Konzept der Verlage von anno dunnemals festzuhalten, die die Produktion eines Buches durch verkaufte Exemplare finanzieren, muss die Bücherei dem Leser, der das Buch vielleicht noch gar nicht durch hat, das digitale Exemplar aus den Händen wringen, damit nicht zuviele Kopien im Umlauf sind. Ich musste schon den Notabschaltknopf des Netzwerks betätigen, um die letzten Seiten in Ruhe lesen zu können! Wir leben schon in merkwürdigen Zeiten.
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