Angelika/Mike Schilli |
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Fahrradklau und Wiederkehr
Steigende Kleinkriminalität
Sintflutartige Regenfälle
Endlosbaustellen
Las Vegas, Baby!
Toppprodukt: Blu-Marble-Kette
Schnurrbartmonat November
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Michael In letzter Zeit mehren sich die Einbrüche in unserer Gegend, wie man im Internet hautnah auf Nextdoor (Rundbrief 09/2014) erfährt. Vor einem guten halben Jahr hat's auch uns erwischt, denn da hatte jemand das Schloss unserer Parkgarage aufgeknackt und mein Fahrrad entwendet. Da ich schon wusste, dass sich nachts allerhand zwielichtige Gestalten herumtreiben, hatte ich es nicht nur mit einem dicken Metallbügelschloss abgesperrt, sondern letzteres auch noch mit einem Stahlkabel an einem Wasserrohr angekettet.
Allerdings hatte der Einbrecher wohl einen Bolzenschneider dabei, denn als Angelika in der Frühe mit dem Auto wegfuhr, bemerkte sie, dass das Kabel durchgezwickt und das Fahrrad weg war. Nun denn, das Fahrrad hatte ich vor 16 Jahren zum Schlagerpreis von $400 erworben und obwohl der Verlust schmerzte, weil ich es liebevoll gepflegt hatte, war es nicht das Ende der Welt. Ich meldete den Vorfall per Telefon bei der Polizei (wenn's kein Notfall ist, ruft man in San Francisco die Nummer 553-0123 an) und war überrascht, dass noch am selben Tag ein Polizistenduo vorbeikam, in der Garage herumschaute und etwas in Notizbücher kritzelte. Nun, ich machte mir keine großen Hoffnungen und vergaß die Sache bald.
Sechs Monate später rief plötzlich ein Streifenpolizist von der Innenstadtwache San Francisco bei uns zuhause an und teilte Angelika mit, dass er mein Fahrrad gefunden hätte. Ich war sehr verduzt, und wurde beauftragt, am Abend nach der Arbeit auf der Polizeiwache in der 6th Street in San Francisco vorzusprechen.
Dazu muss ich sagen, dass es in San Francisco ja pennermäßig lang nicht mehr so schlimm zugeht wie vor 20 Jahren, aber wer wirklich einen bleibenden Eindruck von den tiefsten Abgründen menschlicher Existenz sehen will, dem empfehle ich kurz vor Einbruch der Dunkelheit auf der 6th Street von der Market Street runter zur Mission Street zu laufen. Man kommt sich vor, wie in der Zombieserie "Walking Dead", immer auf der Hut, nicht von einer Horde völlig mit Drogen vollgepumpten kaputten Typen langsam eingekreist, angenagt und schließlich abgefieselt zu werden. Dabei machen die Leute dort keinen richtig gefährlichen Eindruck, und ich glaube zudem, dass es relativ unwahrscheinlich ist, dass sich dort jemand eine Waffe leisten kann, weil wohl alles Geld für Crackpfeiferl draufgeht.
Ich stand also wie ein Depp mit meinem laptopgefüllten Rucksack vor einer zwar merkwürdig heruntergekommenen (Abbildung 3) aber offensichtlich echten (Amerika-Fahne, Überwachungskameras) geschlossenen Polizeiwache, rief schließlich den Herrn Wachtmeister nochmal an und fragte, was los sei. Ja, sagte der, es wäre etwas dazwischen gekommen, aber ein Kollege würde bald vorbeikommen und mir mein Fahrrad wiedergeben. Prompt sah ich auch einen Dreiertrupp Polizisten die 6th Street runter marschieren, und fragte sie nach dem offensichtlich bereits heimgegangenen Kollegen. Sie wussten Bescheid und einer der drei wies mich an, ihm zu einer Garage zu folgen. Auf dem Weg dorthin hielt er mehrere Obdachlose an und durchsuchte sogar deren Taschen, immer mit mir im Schlepptau, und ich fluchte schon innerlich, dieser Übergabe zugestimmt zu haben.
Aber siehe da, nach einigen Minuten kamen wir an einer Abstellkammer an, der Polizist schloss auf und dort stand eine stark ramponierte Version meines Fahrrads. Der Rahmen war der gleiche wie bei dem von mir gestohlenen, aber alle anderen Teile wie Lenker, Sattel, und Gangschaltung waren durch billige Versionen ersetzt worden. Die Bremsen fehlten gar ganz. Der Polizist fragte noch, ob das Fahrrad in fahrbarem Zustand wäre, was ich mit einer Handbewegung auf die fehlenden Bremsen verneinte, aber ich nahm das Häufchen Elend trotzdem dankend in Empfang, schließlich hatten sich die Polizisten redlich bemüht, mein gestohlenes Eigentum wieder zu beschaffen. Ich rief Angelika an, die mit dem Auto reinfuhr, und schließlich brachten wir das Fahrrad heim, wo es seitdem in der Garage gespannt auf einen neuen Einbrecher harrt.
Die Polizisten baten mich darum, auf dem Fahrrad einen sogenannten "Bait-Bike"-Aufkleber anzubringen (Abbildung 4). Das kannte ich noch nicht, aber ließ mir erklären, dass die Polizei in San Francisco angeblich bestimmte Fahrräder mit versteckten Sendern präpariert, die, falls das Lockvogel-Fahrrad gestohlen wird, den Fahndern auf die Spur helfen. Jedes Fahrrad damit auszustatten, wäre natürlich zu teuer, also pappt man auf alle anderen Fahrräder einen Aufkleber drauf, der angeblich die Diebe abschreckt. Ob das funktioniert, wage ich zu bezweifeln, aber es kostet ja nichts.
Fahrraddiebe können in San Francisco nach Belieben ihrem Handwerk nachgehen, ohne dass jemand einschreitet. Zeitungsmeldungen und sogar ganze Videos von Fahrraddieben in Aktion (Abbildung 1) belegen dies. Zur allgemeinen Erheiterung entpuppt sich der gefürchtete Garagenknacker auch ganz anders, als man das zunächst vermuten würde: Ein weißes Bürscherl mit Rucksack, das so aussieht, als wäre es gerade dem Google-Bus entsprungen!
Das Geschäft mit gestohlenen Fahrrädern scheint sich zu lohnen in der Bay Area. Es sind sogar wissenschaftliche Artikel über die wirtschaftlichen Aspekte des Vertriebs gemopster Drahtesel geschrieben worden. Und einmal hat sogar jemand die Kleinanzeigen-Webseite Craigslist nach seinem gestohlenen Rennrad durchforscht, wurde im 800km nördlich gelegenen Portland im Bundesstaat Oregon fündig, fuhr dort hin und stellte den Dieb zur Rede. Sehenswert!
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