Angelika/Mike Schilli |
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Michael Manchmal denke ich, meine Herrn, auf dem Internet gibt's eh schon alles, und dann kommt jemand daher, der bringt etwas Neues, noch nie Dagewesenes, das so simpel ist, dass man sich vor den Kopf schlägt und sich fragt, warum niemand schon früher auf die Idee gekommen ist.
So stellt sich in Großstädten das Problem, dass man seine Nachbarn zwar im Gebäude oder auf der Straße sieht, kurz "Hallo, wie geht's" sagt, aber doch nicht so recht warm wird, so dass man sie zur Geburtstagsparty einladen würde. Wie lernt man diese Leute näher kennen? Diese Marktnische hat die Website nextdoor.com entdeckt. Um sich dort anzumelden, muss man seine Adresse verifizieren lassen, und dann kann man dort wie auf Facebook irgendwelche Meldungen abfeuern, mit Nachbarn im gleichen Viertel anbandeln, oder lesen, wer ein Fahrrad verkauft, welches Haus von Waschbären heimgesucht wurde oder bei wem schon wieder ein Grattler Topfpflanzen von der Terasse gestohlen hat.
Weil die Nachrichten auf die Nachbarn auf engstem Raum beschränkt sind, eröffnen sich ganz neue Kommunikationsmöglichkeiten. Wir wohnen zum Beispiel in einem der teuersten Viertel der Stadt und wenn jemand um die Ecke ein Surfboard verkauft, brauche ich mir keinen Kopf machen, dass bei der Transaktion etwas schief geht. Hätte der Verkäufer hingegen auf der in der Bay Area oft genutzten Craigslist inseriert und ich müsste in ein heruntergekommenes Viertel fahren, um das Brett zu begutachten, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass es sich beim Verkäufer um einen irrsinnigen Meth-Head handelt, der professionell Leute ausraubt, durchaus im einstelligen Prozentbereich.
Oder wo würde jemand, der vier Wochen wegfährt, und seine Wohnung untervermieten möchte, dieses Angebot inserieren? Stünde eine derartige Anzeige auf Craigslist, könnte der Reiselustige genausogut seine Wohnungstür offen stehen lassen und ein Schild mit der Aufschrift "Haufenweise Laptops und Kameras, bitte gerne alles ausräumen!" anbringen, denn die Kriminellen in unserer Stadt warten nur auf solche Hinweise. Steht das Angebot aber auf nextdoor.com, kann man davon ausgehen, dass es nur Besserverdiener lesen, unter denen es verhältnismäßig wenig Grattler gibt, die einem in einem unachtsamen Augenblick die Bude auf den Kopf stellen.
Die auf dem Forum wild diskutierten Themen rangieren dann tatsächlich von Beschwerden über gestohlene Balkonpflanzen, nachts gehörten Schußsalven im Viertel, durchgedrehten Bettlern auf der 24th Street, nächtlicher Ruhestörung, allerlei Einbrüchen in Garagen, Wohnungen und Autos, und Tipps, wie man seine Haustiere vor den sich nachts im Viertel dreist gebärenden Waschbären und Stinktieren schützt. Wenn ihr in Deutschland wohnt, glaubt ihr jetzt vielleicht, dass ich übertreibe, aber ihr habt keine Ahnung vom Wilden Westen, in dem wir seit 20 Jahren wohnen, man bekommt hier anders als im verschnarchten Deutschland wirklich etwas geboten für die hohen Mieten.
Weiter führt die Tatsache, dass die Teilnehmer auf nextdoor.com Meldungen unter ihrem richtigen Namen mitsamt gültiger Adresse versenden, dazu, dass sich kaum jemand daneben benimmt oder aus einer Laune heraus Leute beleidigt. Wer riskiert schon, dass einen die Nachbarn schief ansehen, weil man Online ausfallend wurde? Und in einem teuren Viertel wie unserem kommuniziert man so tatsächlich nur mit relativ gebildeten Leuten, wobei hier in Noe Valley auch viele Althippies dabei sind, die weniger durch wohlkalkulierte Karrieresprünge als durch zufällige Hauskäufe in den 80er-Jahren mit Oma Meumes Erbschaft zu Geld kamen.
Zwar führt die Lektüre der Nextdoor-Nachrichten über die fast täglich passierenden Einbrüche in unserem scheinbar sicheren Viertel schon dazu, dass man sich besorgt umdreht, falls es des nachts in der Tiefgarage raschelt. Andererseits ist man dann auch wieder beruhigt, dass es nicht nur einen selbst betrifft, wenn das Fahrrad aus der Garage entwendet oder das eigene Auto aufgebrochen oder schlichtweg gestohlen wird (Rundbrief 03/2012).
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