14.09.2014   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 108  
San Francisco, den 14.09.2014


Abbildung [1]: Ob ein Kind in eine bestimmte Schule kommt, entscheidet in San Francisco das Los.

Angelika Am 18. August dieses Jahres besuchten Heerscharen von Fünfjährigen das erste Mal einen Kindergarten in San Francisco. Die Sommerferien waren zu Ende und das neue Schuljahr hatte begonnen. Obwohl Amerikaner den deutschen Begriff "Kindergarten" verwenden, verbirgt sich dahinter ein doch etwas anderes Modell als in Deutschland. Der Kindergarten ist in den USA das Jahr vor der Einschulung in die erste Klasse. Die Kindergartenklasse befindet sich dann auch in der Grundschule und, ich kann euch sagen, was die kleinen Knöpse lernen müssen, ist nicht von Pappe. Ich spreche aus Erfahrung, denn ich bin viel in den unterschiedlichsten Kindergärten unterwegs, da einige autistische Kinder in normale Kindergartenklassen integriert werden und die Einrichtung, in der ich arbeite, dabei hilft.

Aus ist es mit dem Spielen! Die Kinder schreiben Buchstaben, erlesen die ersten Wörter, gehen mit Zahlen um, sitzen an Pulten. Ich habe sowas erst in der Grundschule gelernt und das ist mittlerweile schon eine Ewigkeit her. Einige Kinder sind dabei deutlich überfordert. Wie in Deutschland auch basteln Politiker hier in Amerika gerne am Schulsystem herum. In Kalifornien wurde 2010 der sogenannte "Kindergarten Readiness Act" vorgestellt, der das Geburtsdatum, das bindend für den Kindergarteneintritt ist, nach vorne verschob. Dies geschah, um zuverhindern, dass Vierjährige im Kindergarten mit Fünfjährigen lernen, da die Entwicklungsspanne in diesem Alter doch recht groß ist. Im Jahr 2013 setzte Kalifornien das Gesetz in die Tat um. Kinder, die am oder vor dem 1. September fünf Jahre alt werden, können in den Kindergarten angemeldet werden.

Für Kinder, deren fünfter Geburtstag zwischen den 2. September und den 2. Dezember fällt, gibt es die Möglichket des "Transitional Kindergartens" (Übergangskindergarten), das heißt, das Kind geht dann ein Jahr in den Übergangskindergarten und ein Jahr in den Kindergarten, bevor es in die erste Grundschulklasse kommt. Übrigens sind weder der "Transitional Kindergarten" noch der Kindergarten in Kalifornien Pflicht. Schulpflicht besteht erst mit sechs Jahren. Die meisten Kinder gehen allerdings in den Kindergarten, denn das Ganze ist wie gesagt so verschult, dass man sonst schnell den Anschluss verliert.

Abbildung [2]: Am Schuleingang werden Eltern darauf hingewiesen, nicht in zweiter Reihe zu parken.

Aber ich schweife ab, denn ich wollte eigentlich über das absurde System in San Francisco berichten, das bestimmt, in welchen Kindergarten das jeweilige Kind geht. Ich beziehe mich hierbei nur auf das öffentliche Schulsystem in San Francisco. Private Einrichtungen und andere Städte und Kommunen haben ihre ganz eigenen Regeln. Als ich damals in Deutschland eingeschult wurde, war es selbstredend, dass man in die Schule in seinem Viertel ging. Ganz anders in San Francisco, hier bestimmt der Computeralgorithmus und eine Lotterie, in welchen Kindergarten man geht. Dahinter steckt der Gedanke, dass jedes Kind in dieser Stadt Zugang zu Kindergärten und Schulen seiner Wahl hat und sich die Schulpopulation vermischt, das heißt, dass in einem predominanten asiatischen Wohnviertel nicht nur asiatische Kinder in der Schulklasse des Viertels sitzen.

Die Erziehungsberechtigten erstellen bei der Anmeldung eine Rangliste mit den Kindergärten, in die sie ihr Kind in San Francisco geben möchten. Die Rangliste kann dabei beliebig lang sein. Der Computer versucht dann zunächst, jedem seine erste Wahl zu geben. Hat ein Kindergarten allerdings nicht genug Plätze, erhalten die Familien, die schon ein Geschwisterkind in derselben Schule haben, den Vorzug. Dann haben Kinder, die in armen Vierteln mit hoher Kriminalität wohnen, und deren Schulen bei standardisierten Tests unterdurchschnttlich abschneiden, den Vorrang. Dann kommen die Kinder zum Zug, die schon im Übergangskindergarten der entsprechenden Schule waren. Hierbei kann es dann zu absurden Situationen kommen.

Abbildung [3]: Noch eine Schule auf der 24. Straße.

Wohnt man in San Francisco zum Beispiel in einem Viertel, in dem sich ein heiß begehrter Kindergarten befindet, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass das eigene Kind einen Platz ergattert, wenn es in keine der oben erwähnten Preferenzkategorien fällt. Das Ganze hat zur Folge, dass Eltern verzweifelt versuchen, das System zu überlisten. Zum Beispiel ist es unter Umständen besser, nicht den heiß begehrten Kindergarten, in den jeder will, und der sich im eigenen Wohnviertel befindet, an die erste Stelle zu setzen. Es gibt Online-Foren, die sich nur damit beschäftigen, welche Strategie am besten ist.

Auf jeden Fall reicht es nicht aus, sich über den eigenen Kindergarten im Viertel zu informieren, was erheblichen Stress und Aufwand für viele Eltern bedeutet. Trotz der Lotterie vermischt sich die Schülerpopulation laut Statistik an 25% der Kindergärten/Schulen weiterhin nicht. Es gibt immer noch Klassen, in denen man prädestiniert Schüler einer Hautfarbe findet. Das liegt auch daran, dass in schlechteren Vierteln mit schlechteren Schulen die Eltern oft gar nicht die Zeit haben oder über die benötigten Sprachkenntnisse oder andere Mittel verfügen, den komplizierten Prozess der Lotterie zu durchschauen oder sich über andere Kindergärten in anderen Vierteln zu informieren. Sie melden dann ihr Kind in der Schule im eigenen Viertel an und bekommen eben oft ihre erste Wahl, weil der Kindergarten oder die Schule keinen so einen guten Ruf hat. An dem System müssen die Verantwortlichen wohl noch etwas länger basteln, bis es den herbeigesehnten Erfolg bringt.

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