Angelika/Mike Schilli |
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Michael Auch in Deutschland habt ihr wahrscheinlich von dem unglaublichen Gerichtsverfahren gehört, das eine Frau im Jahr 1994 gegen die Fastfoodkette McDonald's führte, weil sie sich durch Dusseligkeit brühend heißen Kaffee auf den Schoß gegossen hatte. Die Frau hieß Stella Liebeck und ist zum Symbol für den Missbrauch des amerikanischen Gerichtssystems geworden. Der Autor Randy Cassingham vergibt deswegen regelmäßig den sogenannten "Stella-Award" an das unverschämteste Gerichtsverfahren und hat die gekürten Fälle in dem Buch The True Stella Awards auf unterhaltsame und lehrreiche Weise zusammengefasst.
Eine Haftungsklage ist hier in den USA schnell eingereicht, und es ist üblich, dass der Kläger selbst wenn der Richter den Fall zurückweist oder bei einem Freispruch des angeklagten Unternehmens nichts bezahlen muss. Man muss nur einen Anwalt finden, der Geld in dem Fall schnuppert und gegen eine Erfolgsprämie von bis zu 50% der eventuell zugesprochenen Schadenssumme den Fall und die Kosten übernimmt. Null Risiko für den Kläger!
Und in Amerika entscheidet ja nicht ein Richter über Schuld und Schadenssumme, sondern, wie schon einmal in Rundbrief 09/2002 beschrieben, Otto Normalverbraucher in einer zwölfköpfigen Jury. Die denkt sich: "Na, dem armen Hascherl gönnen wir mal lieber einen schönen Batzen Geld, wer weiß, vielleicht klage ich ja selber mal gegen so ein böses und mächtiges Unternehmen und dann sahne ich auch ab." Was Otto hier nicht bedenkt, ist, dass Unternehmen die Kosten einkalkulieren und einfach per Preiserhöhung an die Verbraucher weitergeben.
Opfer dieser unsinnigen Rechtssprechung sind oft Ärzte, die sich in Grattlerstaaten wie Kansas oft vor Patientenklagen gar nicht mehr retten können und einfach woanders hinziehen, wo es nicht Heerscharen von Taugenichtsen gibt, die nur auf die geringste Fehldiagnose warten, um dann per Klage zehntausende von Dollars herauszupressen. Ärzte sind natürlich versichert, aber die Prämien steigen wegen des permanenten Missbrauchs stetig an. In ländlichen Gegenden in Kansas herrscht deswegen mittlerweile tatsächlich akuter Ärztemangel.
Der juristische Grundsatz Joint and Several Liability bietet noch einen weiteren Hebelpunkt für Abzocker aller Art. Zur Erklärung: "Joint Liability", also gemeinsame Haftung, heißt, dass zum Beispiel beide Partner eines Ehepaars für die Rückzahlung eines aufgenommenen Kredits verantwortlich sind. "Several Liability", also getrennte Haftung, bedeutet, dass zum Beispiel zwei an einem Projekt beteiligte Firmen jeweils anteilsmäßig haften, falls etwas schief geht. Die in 46 von den 50 Bundesstaaten übliche Regel "Joint and several liability" erlaubt dem Kläger aber eine Mischtaktik: Im Fall "Pisco vs. Coors" fuhr sich zum Beispiel ein betrunkener Jugendlicher zu Tode, und die Mutter verklagte drei Parteien: Seine Freundin, die ihm ihr Auto lieh, deren Mutter, die ihr das Auto kaufte, und die Bierfirma Coors, an deren Bier sich der Jugendliche labte. Das klingt verrückt, aber hätte sich herausgestellt, dass Coors auch nur 1% schuld an dem Fall ist, wäre das Unternehmen unter "Joint and several liability" für den Gesamtschaden haftbar, weil Coors im Gegensatz zu den anderen Parteien über ungleich mehr Geld verfügt. Als Coors sich auf die Hinterbeine stellte und der Mutter und deren Anwalt mit einer Klage wegen eines "frivolous lawsuits" (grundloses Verfahren) drohte, ließ das Gaunergespann die Klage gegen den Bierhersteller allerdings fallen.
Ein Fall ist in dem Buch noch nicht erfasst, weil er zu neu ist: Im Jahr 2005 verklagte ein gewisser Roy Pearson in Washington DC eine kleine von koreanischen Einwanderern betriebene Reinigung auf sage und schreibe 67 Millionen Dollar, weil der Familienbetrieb die Hose eines zu reinigenden Anzugs verlor. Der Fall ging 2007 tatsächlich vor Gericht, wurde niedergeschlagen, aber die Koreaner blieben auf $83.000 Anwaltskosten sitzen. Die kriegt man in Amerika nicht automatisch erstattet, wenn man gewinnt, man muss das extra beantragen und vor Gericht durchsetzen. Darauf verzichteten die Einwanderer dann aber, da der Fall selbst international hohe Wellen schlug und mitfühlende Bürger die Kosten mit Spenden abdeckten. Der Kläger war übrigens selbst Richter, der allerdings wegen dem Fall später seinen Job verlor. Er klagt noch heute dagegen an.
Die kaffeeverschüttende Stella bekam übrigens von der Jury des Verfahrens damals erst 2,86 Millionen Dollars zugesprochen. Ein Richter darf in den meisten Bundesstaaten die Summe anschließend anpassen, wenn er begründen kann, dass die Jury einen Sprung in der Schüssel hatte, und das tat er auch: $640.000 lautete das Urteil. Was die Trulla dann letztendlich bekam, ist allerdings nicht bekannt, da sie sich mit McDonald's außergerichtlich einigte. Das machen Unternehmen oft, auch wenn sie dabei draufzahlen, damit die Schadenssumme nicht öffentlich bekannt wird. Sonst kämen Heerscharen von weiteren Schnorrern mit weiteren Klagen daher.
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