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  Rundbrief Nummer 7  
San Francisco, den 05.02.98


Amerikanisches Fernsehen

Apropos amerikanische Medien, schon lange wollte ich zu diesem Thema ein paar allgemeine Bemerkungen machen. Zunächst einmal wären da die Nachrichten im Fernsehen zu erwähnen. Weltnachrichten oder Auslandsnachrichten gibt es nur unter zwei Bedingungen: Entweder müssen die USA irgendwie beteiligt sein wie z.B. bei dem Zusammenstoß des amerikanischen Militärflugzeuges mit der Gondel in Italien bzw. bei dem momentanen Konflikt zwischen Saddam Hussein und Bill Clinton oder eine absolut medienwirksame Katastrophe ist passiert, z.B. wie vor einiger Zeit das Erdbeben in Italien. Ansonsten beschäftigt sich der größte Teil der Nachrichten mit der Innenpolitik oder Lokalem, wobei man manchmal am Verstand des Redakteurs zweifelt, was die Auswahl dieser Nachrichten betrifft. Vor gar nicht langer Zeit war die Topnachricht, die an erster Stelle gebracht wurde, dass sich ein Hausschwein auf die Bay Bridge verirrte. Ich habe das erst für einen Scherz gehalten, weil ich nicht glauben konnte, dass ein halbwegs seriöser Fernsehsender sich traut, so etwas als die Nachricht des Tages zu verkaufen, aber dem war wirklich so. Wenn man sich nun auch noch überlegt, dass viele Amerikaner die Fernsehnachrichten als ausschließliche Informationsquelle benutzen, wundert einen nicht mehr, dass sie kaum etwas über Europa wissen. Auch die Fernsehnachrichten werden natürlich ständig durch Werbeblöcke unterbrochen, was wirklich extrem lästig ist. Durch die Privatsender in Deutschland kennt ihr das ja mittlerweile auch und wenn ich mich richtig erinnere, kommt vor dem Wetterbericht der Heute-Sendung auch schon ein Werbeblock. Ihr müsst das euch hier nur noch extremer vorstellen. Neulich kam z.B. der Kinofilm "Club der toten Dichter" im Fernsehen. Durch die Werbeunterbrechungen hat der Film ganze drei Stunden gedauert (die normale Laufzeit würde ich so auf ca. 90 Minuten schätzen). Michael und mich nerven die Werbeunterbrechungen mittlerweile so, dass wir immer mehr dazu übergehen, uns Videos auszuleihen oder wir gehen ins Kino, da gibt es nämlich witzigerweise überhaupt keine Werbung.

Um noch einmal auf die Nachrichten zurückzukommen: Einerseits gibt es wie gesagt kaum Auslandsnachrichten, auf der anderen Seite werden andere Geschehnisse aber fast schon mit Besessenheit verfolgt, wie die schon erwähnte angebliche Sexaffäre Bill Clintons. Dazu wird dann sogar das normale Fernsehprogramm unterbrochen. Letzte Woche haben mich diese Unterbrechungen immer ganz nervös gemacht, weil parallel zum Skandal um die Person Clintons die Gefahr des Militärschlags gegen den Irak immer wahrscheinlicher wurde. Ich habe bei jeder Unterbrechung gedacht, jetzt haben wir wieder einen Golfkrieg, in Wirklichkeit wurde aber nur wieder irgendeine politische Figur interviewt zu der Frage, ob Clinton nun mit der Praktikantin hat oder nicht. Böse Zungen behaupten ja, dass Clinton den Militärschlag nur verzögert, damit ihm später nicht vorgeworfen werden kann, dass er einen Krieg angezettelt hat, um von der Geschichte mit Monika Lewinsky abzulenken. Ironischerweise läuft zur Zeit gerade ein Kinofilm mit Dustin Hoffmann zu genau diesem Thema ("Wag the Dog"). In dem Film zettelt nämlich der Präsident einen Krieg an, um eine Affäre zu vertuschen. Besonders geschmacklos war auch die Berichterstattung bezüglich der Hinrichtung der Karla Faye Tucker. Das Warten auf die Exekution wurde zum Medienspektakel schlechthin. Da kann man nur froh sein, dass es noch nicht erlaubt ist, eine Hinrichtung live zu übertragen. Trotzdem versuchten die Sender CNN und NBC herauszuholen, was nur herauszuholen ging. So harrten Reporter vor dem Gefängnis aus und schilderten ausführlich, wie das Tötungsverfahren vor sich gehen wird, wenn die Berufung abgelehnt würde. Zum Werbeblock wurde übergeleitet mit den Worten: "Nur noch 40 Minuten bis zur Exekution." Das hörte sich so an, wie ein Countdown vor einem Raketenstart, wirklich abartig. Ich weiß nicht, inwieweit ihr die Hintergründe für dieses Medienspektakel in Deutschland mitbekommen habt. Karla Faye Tucker erhielt die Medienaufmerksamkeit hauptsächlich deshalb, weil sie als erste Frau in Texas hingerichtet werden sollte. Texas hält die Führungsposition in einer sehr traurigen Statistik: Es ist der Bundesstaat mit den meisten Exekutionen pro Jahr in den USA, wobei darunter bis jetzt eben keine Frau war. Der Streit zwischen den Befürwortern und Gegnern der Todesstrafe bezüglich der Karla Faye Tucker lässt sich ungefähr wie folgt zusammenfassen: Die konservativen Befürworter hielten es plötzlich für moralisch verwerflich, eine Frau hinzurichten, zumal diese sich im Gefängnis von der ehemaligen Drogenprostituierten, die zwei Menschen im Drogenrausch ermordete, zur aktiven Christin hatte bekehren lassen, wobei diese Tatsache bei den hingerichteten Männern nie eine Rolle spielte und die Gegner der Todesstrafe argumentierten, dass, wenn man die Todesstrafe will, es keine Geschlechtsunterschiede geben darf. Allgemein wurde sehr schnell klar, dass Karla Tucker nur deshalb zur Mediensensation wurde, weil sie weiß, weiblich, attraktiv und eben eine bekehrte Christin war. Was ich besonders schade bezüglich dieser Geschichte finde, ist, dass in den Medien nicht die Chance genutzt wurde, die Todesstrafe im allgemeinen zu diskutieren und über die Tatsache zu reflektieren, wie man in einem demokratischen Staat überhaupt die Todesstrafe als legitimes Rechtsmittel zur Bestrafung von Menschen ansehen kann.

Auch in den amerikanischen Tageszeitungen wird man nicht gerade bombardiert mit Meldungen aus Europa, aber man findet eindeutig mehr Auslandsberichte als im Fernsehen. Außerdem gibt es natürlich auch solche Zeitungen wie die New York Times, die detailiert über alle möglichen Welt- und Auslandsgeschehen berichtet. So hat es mich dann ziemlich überrascht, dass im Chronicle (Tageszeitung von San Francisco) ein ausführlicher Bericht über den Brief des Paptes an die deutsche Bischofskonferenz bezüglich der katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen und der Ausgabe des viel diskutierten Beratungsscheines stand. Das liegt vielleicht auch daran, dass in den USA eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche herrscht und dem Amerikaner eine zu starke Verflechtung zwischen Kirche und Staat auch gefährlich und höchst suspekt erscheint. Apropos Abtreibung, ungefähr zeitgleich zu der "Papstberatungsstellen-Geschichte" in Deutschland war das Thema "Abtreibung" auch hier wieder in aller Munde. Die Entscheidung des obersten amerikanischen Gerichtshofes, dass Abtreibungen im ersten Trimester der Schwangerschaft in den USA legal sind, ist nämlich dieses Jahr 25 Jahre her. Trotz der Legalität wird das Thema "Abtreibung" hier aber ebenfalls sehr emotional diskutiert. Außerdem gibt es seit einigen Jahren fanatische Abtreibungsgegner, die Bombenattentate auf Abtreibungskliniken verüben. Erst letzte Woche war wieder so ein Attentat.

Abbildung [1]: Nochmal auf Fahrrädern durch die Stadt, hier am Lake Merced
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Letzte Änderung: 26-Nov-2012