08.12.2009   Deutsch English

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Rundbrief
  Rundbrief Nummer 83  
San Francisco, den 08.12.2009
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Rundbrief


Abbildung [1]: Die neue Biotonne unten in der Tiefgarage.

Angelika Im Rundbrief 02/2006 habe ich ja schon einmal darüber berichtet, dass San Francisco ein umfangreiches Recyclingprogramm hat. Mittlerweile ist es weiter verbessert worden, und alle möglichen Gefäßdeckel wie Kronkorken und Marmeladendeckel wandern jetzt auch in unsere blaue Recyclingtonne. Das meiste Plastik ebenso, sodass wir nicht mehr nach den Nummern unter den Plastikcontainern oder -flaschen suchen müssen.

Auch die grüne Biotonne für Kompost gibt es schon seit langem, war aber bis jetzt kaum in größeren Apartementgebäuden anzutreffen. Seit Mitte Oktober kommen aber die Vermieter nicht mehr drum herum, sie aufzustellen, denn in San Francisco gilt nun per Gesetz, dass jeder den Müll trennen muss. Kompost in die grüne, Glas, Papier, Plastik in die blaue und der Restmüll in die schwarze Tonne. Das Gesetz gilt als eines der umfangreichsten in den USA.

Abbildung [2]: Shrimps können rein, Milchkartons auch, aber keine Flaschen.

Wer es nicht befolgt, bekommt zunächt mehrere Verwarnungen und dann hagelt es Bußgelder von $100, die bis auf $1000 hochschnellen können. Zur Zeit versuchen es die Stadtväter aber noch im Guten. Sie geben Informationen aus, die die Bürger von San Francisco dazu bewegen sollen, die grüne Tonne ordnungsgemäß zu füllen. Die grünen Tonnen stellt die Stadt kostenlos bereit. Selbst ein etwa 30cm hohes, gut schließendes Eimerchen mit Aufkleber, auf dem steht, was alles rein darf, gab es als Geschenk für die Küche dazu.

Abbildung [3]: Ein kleines Biomülltönnchen für die Küche gab's kostenlos von der Stadt.

Erstaunlich ist, was wir alles in die Biotonne werfen dürfen: Die üblichen Sachen wie Obst, Gemüse, benutzte Kaffeefilter, Eierschalen, Blätter, aber auch Essensreste und benutzte Pizzakartons und Papierteller. Und auf und neben der Biotonne hängen und kleben übersichtliche Plakate, die auch dem größten Umweltmuffel das Recyceln so einfach wie möglich machen.

Abbildung [4]: Welcher Idiot wirft leere Plastikflaschen in eine Biotonne?

Nicht einmal lesen muss man können, um mitzumachen, denn die Plakate zeigen Fotos. Das ist durchaus sinnvoll in einer Stadt, in der viele Bürger nicht englisch sprechen. Leider gibt es in unserem Haus aber wohl einige Mitbewohner, die trotz der Fotos es nicht auf die Reihe kriegen, was in welche Tonne muss, denn neulich machte Michael die grüne Tonne in der Garage auf, um sich unseres Komposts zu entledigen und erblickte Plastikflaschen. Ahhh!

In den Fängen der Verkehrspolizei

Abbildung [5]: Huch! Ein Polizeiauto verfolgt uns!

Michael In Kalifornien und den meisten anderen Bundesstaaten stellt die Polizei ja bekanntlich nicht einfach Radarfallen auf, um dann gierig per Post reihenweise Zahlungsbescheide zu verschicken. Der Polizist, der die Radarmessung vornimmt, schaltet vielmehr beherzt die Lichtorgel seines Ford "Crown Victoria" mit Sirene an, läßt den Motor aufheulen und hetzt dem Raser nach, um ihn zum Anhalten zu zwingen. Hält der Raser dann rechts auf dem Seitenstreifen an, stellt der Polizist sein Auto kurz dahinter ab, steigt aus, kommt üblicherweise ans Beifahrerfenster und fragt nach "License and Registration", also Führerschein und Fahrzeugpapieren. Tipp: Nie den Führerschein daheim vergessen. Kann man ihn nicht vorzeigen, darf der Polizist den Wagen sofort abschleppen lassen! Wird er allerdings nur in Ausnahmefällen tun, denn falls sich nachher herausstellt, dass das Fahrzeug von einem rechtmäßigen Führerscheinbesitzer gesteuert wurde, muss das Polizeipräsidium die Kosten erstatten. Nachdem der Polizist den Fahrer identifiziert hat, stellt der Herr in Uniform dann in einem etwa 15-minütigen Prozess Fragen und füllt mit der Hand ein "Ticket"-Formular aus.

Bewegt sich ein Fahrer im Rahmen der Verkehrsordnung und ist das Fahrzeug tadellos in Schuss, ist es Polizisten übrigens untersagt, den Wagen anzuhalten. Deswegen fahren die ganzen Besoffenen immer etwas langsamer als die Höchstgeschwindigkeit, was man oft zu später Stunde auf den Freeways 101 und 280 erleben kann. Heult die Sirene auf, kann man also annehmen, dass etwas vorliegt. Allerdings sind Polizisten sehr kreativ, wenn es darum geht, einen Grund zum Anhalten eines Fahrzeugs zu finden. Ein kaputtes Bremslicht reicht schon, und in manchen Hollywoodfilmen tritt der Polizist dazu schon mal den Scheinwerfer kaputt: "Welches Bremslicht? Na das (schepper) da!". Aber ihr dürft natürlich nicht alles glauben, was im Kino läuft.

Abbildung [6]: Polizisten essen gerne Donuts.

In Amerika nennt der Volksmund Polizisten "Cops". Das ist keineswegs anmaßend oder beleidigend, vielmehr nennen sich Polizisten untereinander selbst so. Die offizielle Bezeichnung für die Lichtorgelfahrer ist allerdings "Officer", und wenn man ganz höflich ist, redet man sie auch damit an. Niemals sagt man "Sir" zu einem Polizisten, das gilt als arschkriecherisch und läßt ihn Verdacht schöpfen. Der Polizist nennt die angehaltene Person hingegen "Sir" oder "Madam". Fragt man also nach dem nächsten süße Krapfen/Berliner verkaufenden Donut-Geschäft, sagt man einfach "Officer, can you direct me to the next Donut shop?" und hoffentlich weist einem der Ordnungshüter den rechten Weg.

Okay, diese Frage kommt vielleicht etwas provokant daher, denn praktisch alle amerikanischen Polizistenwitze beginnen damit, dass ein Ordnungshüter gerade diese amerikanischen Krapfen isst. Wir wohnen zufälligerweise direkt gegenüber einem 24-Hour-Donut-Shop, und ich kann bestätigen, dass dies durchaus kein Vorurteil ist: Amerikanische Polizisten sind geradezu vernarrt in die süßen kleinen Dinger.

Abbildung [7]: Der 24-Donut-Shop bei uns um die Ecke erhöht die Polizeipräsenz im Stadtviertel erheblich.

Noch ein Hinweis: Die in Deutschland abfällige Bezeichnung "Bulle", wirkt in Amerika nicht, denn mit Bullen verbinden Amerikaner Stärke und Ausdauer. Ein kraftvoller Börsenaufschwung ist ein "Bull-Market", und Basketball-Vereine wie die Chicago Bulls wählen diese Bezeichnung absichtlich. Der Amerikaner weiß wirklich nichts von der in der deutschen Sprache mit dem Begriff verknüpften rohen Gewalt und dem damit einhergehenden Deppentum.

Nein, um einen amerikanischen Polizisten zu beleidigen, benutzt man das Wort "Pig" (Schwein). Das ist nicht einmal strafbar, denn die amerikanische Konstitution stattet den Bürger mit beinahe unbegrenzter Redefreiheit (Rundbrief 12/2000) aus. Allerdings schöpft der beleidigte Polizist danach alle legalen, halblegalen, und manchmal illegalen Mittel aus, um dem Beleidiger eins auszuwischen. Schaut euch nur mal das heimlich gedrehte Video eines in San Francisco verhafteten Skateboard-Fahrers an, um einen Hauch der Aggressivität amerikanischer Polizisten zu erhaschen.

Abbildung [8]: Radarfalle auf Amerikanisch: Meist gut sichtbar.

Ein "Ticket" fällt in eine von drei Kategorien: Eine "Parking Violation" (ein harmloser Parkstrafzettel, den man einfach bezahlt), eine "Notice to Appear" oder eine "Notice to Correct". Erwischt der Cop einen Raser mit der Radarpistole, stellt er eine "Notice to Appear" aus, also eine Aufforderung, vor Gericht zu erscheinen. Ihr habt richtig gehört, jede sogenannte "Moving Violation" (auch ein überfahrenes Stoppschild oder verbotenes Abbiegen zählen dazu), wird vor einem Verkehrsgericht verhandelt. Man muss nicht immer dort erscheinen, aber mehr davon später.

Abbildung [9]: Ein Polizeiauto hat einen Wagen zum Anhalten aufgefordert. Jetzt heißt es, kühlen Kopf zu bewahren.

Hat der Polizist den Wagen hingegen nur angehalten, weil ein Bremslicht kaputt war, erhält der Fahrer eine "Notice to Correct", im Volksmund auch "Fix-it Ticket" genannt. Dieses fordert den Fahrer auf, das kaputte Licht innerhalb einer vorgeschriebenen Zeitspanne zu reparieren. Nach Erledigung zahlt der Fahrer auch noch die Strafgebühr, dann kommt es zu keinem Verfahren.

Hat der Polizist das Ticket fertig geschrieben, fordert er den Fahrer auf, es an Ort und Stelle zu unterschreiben. Mit der Unterschrift bekennt der Fahrer keinerlei Schuld, sondern stimmt lediglich zu, vor Gericht zu erscheinen. Vorsicht: Wer die Unterschrift verweigert, wird ruckzuck verhaftet und muss die Nacht (und vielleicht sogar das Wochenende) in Untersuchungshaft verbringen. Denn wenn der Radarpolizist seine Sirene einschaltet, tut er nichts anderes, als den Raser unter Arrest zu stellen. Statt harmlose Raser zu verhaften, Gefängnisse auszulasten und Kosten zu verursachen, wurde mit dem "Ticket" eine Möglichkeit geschaffen, den Rechtsprozess von der Verhaftung bis zum Urteilsspruch zu beschleunigen. Der Fahrer muss keine Kaution zahlen, um bis zum Gerichtsverfahren frei herumzulaufen, doch mit seiner Unterschrift bestätigt er, zum Termin zu erscheinen.

Abbildung [10]: Ganz schlecht: Gleichzeitig Saufen, Rauchen und Autofahren.

Das später zu entrichtende Bußgeld setzt sich zusammen aus einem Basis-Bußgeld ("Base Fine") und einem Strafzuschlag ("Penalty Assessment"), wobei letzterer ein Vielfaches auf das eigentliche Bußgeld draufsetzt. Mit dem Zuschlag fördern die Gemeinden ganz offiziell Polizeitraining, drücken Geld an den Bundesstaat ab, und finanzieren den Bau von Gerichtsgebäuden und Gefängnissen. Fährt man zum Beispiel 85 wo 65 erlaubt sind, beträgt das Basisbußgeld $50, aber mit allen Zuschlägen werden ratz-fatz $290 daraus. Dafür erhält das neue Justizgebäude aber auch einen 1-A weißen Anstrich und Horden von neuen Polizeilehrlingen durchlaufen die Ausbildung zum Radarpistolenschwenker.

Jetzt kommt's: Dieses Bußgeld ist, technisch gesehen, die Kaution im Schnellprozess! Ficht der Fahrer das Ticket nämlich anschließend nicht an, beraumt er einfach keinen Gerichtstermin an, sondern zahlt das Bußgeld, und überlässt diese "Kaution" dem Gericht durch Nichterscheinen zum nicht stattfindenden Gerichtstermin. Damit ist das "Verfahren" dann beendet.

Möchte man das Ticket aber tatsächlich anfechten, ruft man die auf dem Bußgeldbescheid stehende Telefonnummer an und lässt sich einen Gerichtstermin geben. Zu diesem muss man dann erscheinen, dies zu unterlassen wäre ein schweres Vergehen. Das Verfahren findet dann meist Monate später an dem "Superior Court" statt, der dem Ort des Vergehens am nächsten ist.

Vor Gericht besteht ein Ticket dann nur, falls der Fahrer entweder absichtlich oder grob fahrlässig (criminally negligent) gehandelt hat. Das muss der Polizist, der ebenfalls erscheint, dort dann nachweisen. Erscheint der Polizist nicht zum anberaumten Gerichtstermin, wird der Angeklagte automatisch freigesprochen. Auf dem Internet kursieren nun allerhand Gerüchte, die besagen, dass Polizisten oft nicht vor Gericht erscheinen, weil es ihren Feierabend beschneidet oder dass ganz schlaue Verkehrssünder im Präsidium anrufen, die Urlaubszeiten des Polizisten erfragen und dann anschließend um Umlegung der Verhandlung auf dieses Datum bitten -- aber angeblich ist das alles Humbug.

Um Gerichtsverfahren zu beschleunigen, versuchen manche Cops schon beim Strafzettelaufschreiben, einen kumpelhaften Eindruck zu vermitteln. Ihnen wurde in ausführlichen Schulungen eingetrichtert, jedem angehaltenen Fahrer ohne dessen Wissen bereits Geständnisse zu entlocken. Ermittelte Fakten vermerken sie bereits bei der Verkehrskontrolle auf dem Ticket, um später vor Gericht eine wasserdichte Beweislage herstellen zu können.

Abbildung [11]: Auch auf von hinten kommende Motorräder muss der professionelle Raser achten.

Experten warnen deswegen: "Ein Polizist mit einem Strafzettelblock in der Hand ist niemals dein Freund!". Eine typische Frage ist: "Wissen Sie, wie schnell Sie gefahren sind?". Sagt man da: "Naja, schon ein bisschen schneller als erlaubt", dann fängt der Ordnungshüter sofort wie wild in seinem Block zu kritzeln an, denn soeben hat der Fahrer zugegeben, zu schnell gefahren zu sein, und kann das dann später vor Gericht nicht mehr abstreiten. Besser ist es angeblich, auf die Frage einfach mit "Yes, I do" ("Ja, das weiß ich") zu antworten. Bohrt der Cop dann nach, und hat man vor, dem guten Mann vor Gericht eins auszuwischen, sagt man freundlich aber bestimmt "I don't want to talk about it". Das ist natürlich ein Balanceakt, denn wer den Polizisten gegen sich aufbringt, kriegt unter Umständen massiven Ärger. Wie bereits erwähnt werden amerikanische Polizisten sehr schnell sehr aggressiv, falls man Schabernack mit ihnen treibt. Ähnlich verhält es sich mit der Frage "Haben Sie etwas getrunken?". Die meisten Fahrer sagen dann, "So ein, zwei Bier, nicht mehr". Das ist laut Expertenrat falsch, wenn man tatsächlich zuviel getrunken hat. In derart prekärer Lage ist es angeblich auch besser, zu sagen, man wolle nicht darüber sprechen.

Und unter gar keinen Umständen sollte man dem Polizisten verklickern, dass man vorhat, vor Gericht gegen das Ticket vorzugehen, denn dann wird er den Sachverhalt extra genau protokollieren und sich jedes Detail einprägen, damit er später vor Gericht die richtigen Antworten wie aus der Pistole geschossen formulieren kann. Sagt man nichts, stellt der Polizist bis zum Monate später anberaumten Gerichtstermin oft hunderte von Tickets aus und kann sich an ein Einzelnes wahrscheinlich nur noch vage erinnern. Bringt er dann vor Gericht den Sachverhalt durcheinander oder verstrickt sich in Widersprüche, spricht der Richter den Raser oft frei.

Durchsuchen darf ein Polizist den Wagen übrigens nicht. Glimmt aber eine Wundertüte im Aschenbecher, oder liegt eine ausgetrunkene Bierdose auf dem Beifahrersitz, darf er diese als Beweismittel einsammeln. Grundsätzlich erlaubt das kalifornische Verkehrsrecht keinerlei offene Behälter ("open container") mit alkoholischen Getränken im Fahrerraum. Schnuppert der Polizist etwas Verdächtiges, wird er fragen, ob der Fahrer mit einer Durchsuchung einverstanden ist. Sagt der Fahrer dann "Nein", darf der Polizist nur dann durchsuchen, falls er einen "hinreichenden Verdacht" ("probable cause") hat, dass sich im Wageninnern Waffen oder illegale Dinge befinden.

Noch einige Fakten aus der Welt der kalifornischen Verkehrspolizei: Die Polizei streitet vehement ab, dass es monatliche Quoten für Polizisten über die Anzahl der auszustellenden Tickets gibt. Gerüchtehalber werden die Gesetzeshüter am Monatsende nämlich besonders geschäftig, weil sie, wie alle Amerikaner, die Erfüllung ihrer Pflichten gerne aufschieben, bis es absolut nicht mehr länger geht. Egal ob das mit den Quoten nun offiziell stimmt oder nicht: Jeder Polizist wird beurteilt, und ein Radarmensch, der weniger Tickets ausstellt als seine Kollegen, wird zweifellos irgendwann rausgeworfen. Und es gibt sicher auch einen Stichtag, an dem der Vorgesetzte die Beurteilungen schreibt, also gibt es auch Zeitspannen, in denen Polizisten eifriger aufschreiben als sonst.

Abbildung [12]: Das Buch "Fight your Ticket and Win in California" gibt nützliche Tipps.

Woher ich das alles weiß? In dem Buch "Fight your Ticket and Win in California" (Abbildung 12) schildert ein auf Verkehrsrecht spezialisierter Anwalt die Gesetze und die ungeschriebenen Regeln. Weiter empfehle ich die Website highwayrobbery.net, die vor den Gaunereien von Blitzampelbetreibern warnt und darüber informiert, wie man deren horrende Bußgelder anfechten kann.

Ich persönlich habe übrigens noch nie ein Ticket wegen zu schnellen Fahrens erhalten. Wenn 65 mph (105 km/h) erlaubt sind, stelle ich meist den Tempomat ("Cruise Control") auf 80 (130 km/h) und konzentriere mich darauf, den Wagen in der Spur zu halten und die Szenerie sowohl nach vorne als auch durch den Rückspiegel zu beobachten. Seit Urzeiten beliefert nämlich die Firma Ford die Polizeiregimenter mit dem Modell "Crown Victoria" für die Verkehrskontrolle. Zum Serienmodell bauen sie natürlich einen ziemlichen Höllenmotor ein, damit Polizisten auch Schnellfahrern mühelos hinterher kommen. Mit etwas Übung erkennt man das Modell auch auf weite Entfernung im Rückspiegel, selbst bei Nacht, denn die Scheinwerfer weisen eine charakteristische Form auf. Andere Modelle kommen vor, sind bei uns aber relativ selten.

Abbildung [13]: Nicht so mutig, wie es aussieht: Bei dem Polizeiauto handelt es sich um eine Attrappe auf dem Gelände der Universal Filmstudios.

Nicht alle Radar-Cops stellen sich am Straßenrand auf. Teilweise kommt ein Polizeiauto viel schneller als der restliche Verkehr von hinten daher, was im Rückspiegel aber sofort ins Auge sticht. Und Vorsicht: Manche Polizisten fahren auch auf der rechtesten Spur, und zwar mit etwas langsamer als der vorgeschriebenen Geschwindigkeit. Sie warten darauf, dass jemand fünf Spuren weiter links mit einem Affenzahn vorbeirauscht. Man muss aufpassen wie ein Luchs -- aber das ist im Straßenverkehr immer eine gute Idee. Viele Amerikaner sind bereits mit dem Geradeausfahren voll ausgelastet und schaffen es nicht, diesen Rundum-Blick aufrecht zu erhalten -- und rasen blind in die Radarfallen.

Mit meinem Verfahren bin ich schneller als die meisten Raser am Ziel, sehe praktisch alle Radarfallen Kilometer im voraus, und die Wahrscheinlichkeit, dass man mit 15 mph über dem Limit angehalten wird, ist vielleicht 50/50. Neulich bin ich übrigens auf dem Freeway 101 mit 82 mph (132 km/h) an einer außergewöhnlich gut versteckten Radarfalle vorbeigebraust, aber der Cop wartete wohl auf größere Sünder, denn er machte keinen Mucks.

Klassische Fernsehserien: "CHiPs"

Abbildung [14]: In der Serie "CHiPs" brummen "Jon Baker" und "Frank 'Ponch' Poncherello" auf ihren Polizeiharleys herum und schnappen rasende Hippies.

Michael Auch auf Verkehrspolizisten auf Motorrädern muss man achten, allerdings nur wenn die Sonne lacht. In den siebziger Jahren lief in Amerika (und 1989 auch in Deutschland) die Fernsehserie CHiPs, in der zwei Verkehrspolizisten auf Motorrädern reihenweise Verkehrsrowdies zur Strecke bringen. Die drei Großbuchstaben "CHP" in "CHiPs" stehen für "California Highway Patrol", die offizielle Bezeichnung der kalifornischen Autobahnpolizei.

Abbildung [15]: Dieses langhaarige Gesindel mit dem Kasperlauto wird sich noch über den Strafzettel der Motorrad-Cops wundern.

In der Serie ist "Jon Baker" der Vernünfige des Duos, das die Autobahnen in der Gegend um Los Angeles patroulliert. Sein Partner "Frank 'Ponch' Poncherello" brilliert als draufgängerischer Dussel, der sich von Hippies provozieren lässt, sich nicht durchsetzen kann und regelmäßig durch vermeidbare Fahrfehler sein Motorrad schrottet.

Abbildung [16]: Typisch 70er: Blendend aussehende Verkehrspolizisten in hautengen Uniformen.

Die beiden muskulösen Cops tragen auch noch hautenge Uniformen, weshalb die Serie in der Schwulenszene auch heute noch großen Anklang findet. Außerdem sind das Gehabe und die Mode der 70er heutzutage wieder voll en vogue. Jede gute Videothek leiht die DVDs aus. Schwelgt einfach mal für einen lustigen Abend in der Vergangenheit, und seht zu, wie zwei fesche Cops streitbares langhaariges Gesindel jagen!

PG&E SmartMeter

Abbildung [17]: Ist das SmartMeter der Elektrizitätswerke wirklich so schlau?

Angelika Michael hat ja im Rundbrief 11/2009 von den noch etwas mittelalterlichen Methoden berichtet, mit denen in San Francisco der Strom abgelesen wird. Allerdings ist die Modernisierung schon in vollem Gange, denn nach und nach ersetzen nicht nur in San Francisco sondern in ganz Kalifornien sogenannte "SmartMeter" (frei übersetzt etwa: schlaues Messgerät) die alten Zähler.

Die neuen digitalen Zähler messen den Strom- und Gasverbrauch, und die Daten werden dann drahtlos an die Gas- und Elektrizitätswerke (PG&E in San Francisco) übermittelt. Der Kunde kann dann jederzeit am Computer verfolgen, wieviel Strom er gerade verbraucht, denn der Strom wird stündlich abgelesen. PG&E hofft, auf lange Sicht durch eine variable, tageszeitabhängige Preisgestaltung, Kunden dazu zu bewegen, den eigenen Verbrauch dementsprechend anzupassen.

Lustigerweise scheinen die "SmartMeter" aber doch nicht so schlau zu sein, wie ihr Name suggeriert. Manche Kunden, die bereits einen neuen digitalen Zähler haben, beklagen, dass ihre Strom- und Gasrechnung plötzlich dramatisch (bei einigen Kunden einige Hundert Dollar) angestiegen ist. PG&E behauptet aber, es liege nicht an den Zählern, sondern vielleicht doch an der mangelnden Intelligenz der Kunden, denn beim Überprüfen der hohen Rechnungen stellte sich teilweise heraus, dass einige Kunden den neuen Zähler noch gar nicht installiert hatten oder die höhere Rechnung durch Strafgebühren für nicht bezahlte Rechnungen zustande kam. Auf jeden Fall sollen jetzt unabhängige Experten, die Zähler testen. Eine Internetseite fasst die SmartMeter-Beschwerden aus Kundensicht zusammen.

Michael Übrigens sprießen seit neuestem in Punkto Stromverbrauchsmessung allerlei Gadgets aus dem Boden: Google hat die Powermeter-Software herausgebracht, und ein Kasterl von TheEngergyDetective zeigt den aktuellen Stromverbrauch auf dem Wohnzimmertisch an. Da weiß der Herr des Hauses gleich Bescheid, falls ein Mitbewohner wieder leichtsinnigerweise Strom verprasst!

Toronto, Kanada

Abbildung [18]: Rundbriefreporter vor Toronto.

Michael Ende Oktober zog es uns nach Kanada, in die Stadt Toronto. Die Stadt mit dem Multi-Kulti-Image liegt weit im Osten, und ganz nahe an der Grenze zur USA und deren Bundesstaat New York.

Kanadier sind angeblich etwas friedfertiger als die Amerikaner, allerdings fahren einige von ihnen waghalsig Auto und drücken laufend auf die Hupe wie nicht gescheit. Das fällt einem richtig auf, wenn man aus Kalifornien kommt, denn dort regt sich niemand so schnell auf, nur weil einem ein Auto den Weg abschneidet. Der amerikanische Bundesstaat mit den seltensten Huptönen ist übrigens Hawaii, dort hupen nur die Touristen.

Abbildung [19]: Verkehrsteilnehmer in Toronto.

Aber zurück zu Toronto: Die Stadt leidet, ähnlich wie Vancouver (Rundbrief 07/2005) im Westen Kanadas, unter entstellenden Massenwohnklötzen. Die 4.2 Millionen Leute müssen zweifellos irgendwo unterkommen, es hat aber kaum alte Gebäude oder organisch gewachsene Stadtteile aufzuweisen. Alles, was wir bisher von Kanada gesehen haben, drängt den Verdacht auf, dass irgendwann in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts massenweise Leute in die Großstädte zogen, und ihre Wohnbedürfnisse durch die billigsten verfügbaren Architekten befriedigt wurden.

Abbildung [20]: Toronto neigt zur Klotzbauweise ...

Abbildung [21]: ... aber noch einige wenige alte Gebäude sind erhalten geblieben.

Toronto liegt am Nordufer des Lake Ontario, der 311 mal 85 Kilometer groß ist! Vor der Stadt liegt eine kleine Insel, die von renitenten Hippies bevölkert ist, die dort in den 60er Jahren kleine Häuslein bauten und sich dann in den 90ern verbissen weigerten, abzuziehen, als die Stadt aus der Insel einen Park machen wollte. Eine regelmäßig verkehrende Fähre bringt die Hippies am Morgen in die Stadt und Touristenströme auf die autofreie Insel, und das Ganze zum Schlagerpreis von CAN$6.50 pro Person! Wir besichtigten die schnuckeligen Häuslein, manche Hippies kehren sogar das im Herbst von den Bäumen fallende Laub zusammen, unerhört! Herbstlich verfärbte Laubbäume gibt's übrigens in San Francisco nicht, uns fehlt die Jahreszeit "Herbst" völlig, der Sommer geht direkt in die regnerische Winterzeit über und Laubbäume fehlen ebenso.

Abbildung [22]: Und wer kehrt im Herbst das Laub zusammen, ja, wer?

Kanada hat ja den Ruf, sozialistischer als die USA zu sein, mit gesetzlich geregelter Krankenkasse und allerlei Sozialleistungen, die dem Amerikaner fremd sind. Trotzdem lungern in Toronto mehr Penner auf der Straße herum als in vergleichbaren Klimaregionen der USA.

Abbildung [23]: Ein Obdachloser hat sein Lager vor dem Rathaus aufgeschlagen.

Abbildung [24]: Wer schläft, sündigt nicht.

Was positiv auffiel, waren die vielen auf bestimmte Einwanderergruppen spezialisierten Stadtviertel, die zwar weit verteilt sind, sich aber problemlos mit dem tadellos funktionierenden U-Bahn, Straßenbahn und Bussystem erreichen lassen. Allerdings müssen die Verantwortlichen noch lernen, dass nicht jeder weiß, dass eine Fahrt mit dem Bus $2.75 kostet. Und auch der Busfahrer gab diese Information auf Anfrage nur ungläubig und zögerlich preis. Egal, es gibt ein "Chinatown" (im Vergleich zu New York oder San Francisco natürlich lachhaft, aber immerhin), ein "Greektown" mit griechischen Lokalen (eine Seltenheit in Kalifornien), und den recht alternativ/hippen Kensington Market, auf dem man recht preiswert qualitativ hochwertige Lebensmittel kaufen kann, sogar ordentlichen Käse und richtige Semmeln!

Abbildung [25]: Alk gibt's in Ontario nur im Liquor Store.

Allerdings scheint die Regierung im kanadischen Bundesstaat Ontario zu denken, dass ihre Einwohner allesamt dem Suff verfielen, falls der Staat den Konsum von Alkohol nicht mit eiserner Hand reglementieren würde. Nur sogenannte "Liquor Stores", die nichts außer alkoholischen Getränken zu völlig absurden Preisen verkaufen und die praktisch immer dann geschlossen sind, wenn der Normalbürger an den Erwerb von alkoholischen Getränken denkt (abends). Ich habe gelesen, dass diese Geschäfte jährlich insgesamt eine Milliarde Dollar Lizenzgebühren an den Staat abführen. Daher überrascht es nicht, dass bislang jeder Versuch, den Alkoholverkauf freizugeben, gescheitert ist.

Abbildung [26]: Angelika mit der kanadischen Leberkässemmel: Das "Peameal", ein Stück gebratener Schinken auf einer Kaiser-Roll.

Abbildung [27]: Angelika bei den Niagara-Fällen.

Michael Die Niagara-Fälle, das gewaltige Naturschauspiel, bei dem drei Millionen Liter Wasser pro Sekunde eine 54 Meter hohe Wand hinunterrauschen, sollte man sich nicht entgehen lassen. Allerdings denken zwölf Millionen Besucher jährlich ähnlich und das touristische Drumherum in dem Städtchen "Niagara Falls" im kanadischen Bundesstaat Ontario ist ziemlich abartig. Zum Glück war Ende Oktober schon Nachsaison und der Rummel hatte sich gelegt, aber auch viele Verkaufsstände und Restaurants waren geschlossen.

Abbildung [28]: Niagara: Links die "American Falls", rechts die halbkreisförmigen "Horseshoe Falls".

"Niagara" wird auf Amerikanisch übrigens "Nei-jähgra" mit Betonung auf dem "jäh" ausgesprochen. Das Wort stammt von den amerikanischen Ureinwohnern, in deren Sprache es "Donnerndes Wasser" bedeutet. Die Ureinwohner Amerikas betrachteten die Niagara-Wasserfälle als heilige Stätte und erst 1678 bekam sie ein europäischer Jesuitenpater zu sehen. 1801 reisten dann die ersten Flitterwochen-Touristen an, und heutzutage bieten Spielcasinos, ein Rummelplatz mit Riesenrad, ein Turm mit Speiserestaurant, Golfplätze und allerlei organisierte Attraktionen den perfekten Tagesausflug für die amerikanische Familie.

Abbildung [29]: Wegen der Nachsaison bereits stillgelegte Verkaufsstände in Niagara Falls.

Alles ist auf Gewinnmaximierung angelegt. Um vom Städtchen runter zu den Fällen zu gelangen, kann man entweder ein absichtlich mit Absperrungen in die Länge gezogenes Labyrinth von Straßen ohne rechte Wegweiser erkunden oder 2 Dollar zahlen, um mit einer kleinen Bergbahn etwa 50 Meter schräg runter zu fahren. Natürlich ist daneben keine Treppe. Kauft man ein Ticket für den Aufzug, der runter in die ausgesprengten Gänge gleich neben dem Wasserfall führt, gibt's die Karten im Doppelpack mit einer Filmvorstellung günstiger. Wieder oben angekommen, preist ein geschäftstüchtiges Fotografenteam für 20 Dollar vorher geschossene und nun bereits auf 18x24 vergrößerte Bilder an, auf denen die Teilnehmer in lustigen gelben Regenmänteln mit digital eingeblendetem Wasserfall (eins bei Tag, eins bei Nacht) zu sehen sind. Ende Oktober standen an allen Attraktionen nur jeweils eine Handvoll Besucher an, in der Hauptsaison ist die Gegend wahrscheinlich so eine Art Vorhölle.

Abbildung [30]: Das Fass eines Dare Devils namens John Munday, der sich damit 1993 die Niagara-Fälle runterfallen ließ.

Zwischen 1901 und 2003 gibt es 16 dokumentierte Fälle von "Dare Devils" ("Teufelskerlen"), die sich zur Gaudi die Fälle hinunterstürzten. Etwa zwei Drittel überlebten. Den Anfang machte 1901 eine 64-jährige Schullehrerin, die sich damals ein 1,60 Meter hohes Fass anfertigen ließ, es mit einer Matratze auspolsterte, mitsamt ihrer Katze hineinschlüpfte, sich von der Strömung in die Fälle ziehen und hinunterstürzen ließ. Das Fass blieb erstaunlicherweise heil; die Lehrerin überlebte und wurde anschließend von angeheuerten Helfern erst aus dem Fluss und dann aus dem Fass gezogen.

Abbildung [31]: Wird auch der Rundbriefreporter in einem Fass die Niagara-Fälle hinunter schwimmen?

Der Versuch eines Engländers im Jahre 1920 schlug fehl, weil der Übermütige in seinem Faß zu Balancezwecken einen 50kg schweren Amboss an seinen Beinen befestigte. Das Fass überstand den Sturz, doch der Amboss sauste mit dem Engländer in die Tiefe. Nur sein rechter Arm blieb im Fass.

Abbildung [32]: Geldstrafen für Niagara-Springer im Spiegel der Zeit.

Die Niagara-Fälle runter zu springen ist natürlich verboten, aber der Kanadier John Munday schaffte es sogar zweimal. Ein Video in einer kleinen Ausstellung vor Ort zeigt, wie seine Kumpels etwa 150 Meter vor den Fällen, mitten in der Touristenzone, einen großen Umzugs-LKW rückwärts an das Eisengeländer am Flussufer ranfahren, eine Holzplanke über das Absperrgitter legen und darüber eine gepanzerte orangefarbene Tauchkugel von 2m Durchmesser mit dem darinsitzenden Stuntman vom LKW direkt ins Wasser rollen! Die kanadischen Parkranger vor Ort können im Notfall über einen vor den Fällen liegenden Staudamm das Wasser abdrehen und haben dies tatsächlich schon getan, um Übermütige vor den Fällen zu stranden. Aber John Mundays Team war wohl doch etwas zu schnell, denn die Tauchkugel sauste plangemäß unter dem Gejohle der Touristen den Wasserfall runter. Im Jahre 2003 überstand gar ein Amerikaner den Sturz ohne jegliche Hilfsmittel, nur mit seiner normalen Kleidung am Leib. Er musste eine Strafe von $4500 zahlen und ihm wurde untersagt, Kanada je wieder zu betreten.

Toppprodukt: Egg Nog

Abbildung [33]: Eierlikör ohne Likör: das Weihnachtsgetränk "Egg Nog"

Angelika Weihnachten steht vor der Tür und die Zeit des Egg Nogs bricht an. In Supermarktregalen stehen plötzlich, nicht weit entfernt von der Milch, Kartons mit der Aufschrift "Egg Nog" herum. Das leicht gelblich aussehende Getränk setzt sich aus Milch, flüssiger Schlagsahne, Zucker, Eiern und Gewürzen wie Muskatnuss zusammen. Es wird kalt und heiß serviert, sowie mit Rum, Whiskey oder Brandy verfeinert.

Angeblich soll das Getränk ursprünglich aus England kommen, und es wurde natürlich selbstgemacht und nicht in fertigen Tüten gekauft. Auch beim Namen streiten sich die Geister. Nur eines ist sicher, das "Egg" in "Egg Nog" bezieht sich ohne Zweifel auf die Eier. Ob nun aber "Nog" ein früher benutztes kleines Gefäß meint oder eine Kurzform von "Egg and Grog" ist, weiß niemand so genau. Ich bin auf jeden Fall ganz verückt nach dem "Egg Nog Latte", den zum Beispiel der Coffeeshop Martha's bei uns um die Ecke führt. Der spezielle Cafe Latte besteht aus Espresso und einer Mischung aus Egg Nog und Milch. Lecker, und nur zur Weihnachtzeit!

Mail-Art

Abbildung [34]: Mail-Art: Aquarium

Angelika Im Zeitalter von E-Mails, Twitter, Facebook, Handys, elektronischen Grußkarten flattert einem ja nur noch selten ein handgeschriebener Brief ins Haus. Briefeschreiben scheint vom Aussterben bedroht zu sein, genau wie Langspielplatten und das Fotografieren mit Film.

Nun bin ich absolut kein E-Mail-Muffel, aber ich habe schon immer gerne Briefe geschrieben und erhalten. Im zarten jugendlichen Alter hatte ich zum Beispiel diverse Brieffreundschaften, und auch Michael und ich tauschten, als wir uns gerade frisch kannten, mindestens einmal wöchentlich Briefe aus, denn wir wohnten in verschiedenen Städten, es gab noch kein Internet und Michael hasste es, zu telefonieren. Auch gehöre ich zu den Verrückten, die keinen richtigen Brief wegschmeißt und im Laufe der Jahre haben sich diverse Kisten angesammelt. Zu Michaels Leidwesen drucke ich auch alle E-Mails aus, die einen briefähnlichen Charakter haben. Es ist so schön, alte Briefe zu lesen!

Ich schrieb mich deshalb sogar in mehrere Kurse zum Thema Mail-Art (Postkunst) im "Center for the Book" (Rundbrief 04/2007) ein. Im herkömmlichen Sinne bedeutet Mail-Art, dass mit Hilfe der Post Kunstwerke und -objekte versandt werden: Briefe, Karten, Gegenstände -- und auch der Briefumschlag selbst -- werden zum Kunstwerk.

Viele Mail-Art-Freunde lieben es auszutesten, welche verrückten Dinge den Weg durch das Postwesen schaffen. Eine besondere Herausforderung im Zeitalter der Terrorangst und der immer weiter fortschreitenden Automatisierung, mit Scannern, Sortiermaschinen und Laufbändern, die die Arbeit leisten. Meine Freundin Conny schickte mir zum Beispiel einen in Folie eingeschweißten Küchenschwamm und einen großen Plastikbecher mit einem selbstgemachten, gehäkelten Fisch. Die amerikanische Post ließ sich nicht lumpen und stellte alles ordnungsgemäß zu. Unser Postbote klingelte sogar, denn das sogenannte "Aquarium" passte nicht in unseren Briefkasten. Er fand die Idee übrigens total klasse. Eine der goldenen Mail-Art-Regeln ist, dass man sich mit seinem Postboten und seinem Postamt gutstellt.

Die Mail-Art-Bewegung hat, genau wie das Internet in seinen Anfängen, als es noch nicht jeder Hinz und Kunz benutzte, fast anarchische Züge. Kommerzielle Interessen sind verpöhnt, denn die Mail-Art versteht sich gerade als Gegenbewegung zur Kunst- und Gallerieszene. Jeder kann Mail-Art betreiben. Es gibt kein Gremium, das bestimmt, wer zu dem Kreis der Mail-Art-Künstler gehört und wer nicht. Der Sender stellt keine Erwartungen an den Empfänger, obwohl es wiederum zum guten Ton gehört, dass der, der etwas erhält, auch etwas an den Sender zurückschickt.

Bei den sogenannten Mail-Art-Calls setzt jemand ein Thema und ruft die Mail-Art-Enthusiasten auf, dazu Mail-Art zu produzieren und einzuschicken. Beispielthemen: Schinken, Blick aus dem Fenster, Selbstportraits, Fliegen. Diese Aufrufe kommen sowohl von Einzelpersonen als auch von Museen und Gallerien. Aber es gilt wiederum: Es gibt keine Jury, keine Gebühren fallen an und das Eingesandte wird nicht zurückgesandt. Kommt es zu einer Ausstellung, ist jeder, der etwas einschickt, automatisch in der Ausstellung. Der Organisator des "Mail-Art-Calls" schickt dann eine Dokumentation des Projekts in Form eines kleinen Katalogs oder Heftchens an alle Teilnehmer, auch das ist ein ungeschriebenes Gesetz.

Mail-Art ist natürlich nicht nur ein amerikanisches Phänomen, sondern wird weltweit betrieben. Allerdings gilt der amerikanische Collagekünstler Ray Johnson als Gründervater der Mail-Art. Schon in den späten 50ern schickte er Kunstprojekte an Freunde und Bekannte mit Instruktionen, diese zu ergänzen, weiter zu entwickeln und dann zurück oder weiter zu schicken.

Zwei weitere amerikanische Künstler sind durch ihre Eigenkreationen von Briefmarken bekannt geworden: Michael Thompson und Michael Hernandez de Luna. Beide produzieren nicht nur Briefmarken mit hoch politischen oder kontroversen Inhalten, sondern kleben sie auf Briefe und hoffen, dass die Post es nicht merkt und sie befördert. Das Frankieren von Sendungen mit falschen Briefmarken ("faux postage") ist natürlich illegal und die beiden Künstler stehen deswegen auf der schwarzen Liste der amerikanischen Post. Es gibt viele Mail-Art-Künstler, die ihre eigenen Briefmarken entwerfen, aber die meisten kleben neben den falschen Briemarken auch die richtigen drauf, damit sie nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen.

Grüße aus der Stadt der hehren Künste:

Angelika und Michael

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Letzte Änderung: 26-Nov-2012