Angelika/Mike Schilli |
Michael Während unseres nun mehr als 10 Jahre währenden USA-Aufenthalts hat noch keiner von uns ein Strafmandat bekommen. Gut, gut, Strafzettel wegen unerlaubten Parkens zählen jetzt mal nicht, das gehört in San Francisco zum Alltag wie Zähneputzen. Und direkt langsam fahren wir auch nicht, aber die Radarfallen am Rande der Autobahn sind so offensichtlich, dass nur geistig Abwesende sie nicht bemerken.
Automatische Kamera-Radarfallen sind in den USA illegal, aber leider gibt es immer mehr Blitzkästen an den Ampeln, die anscheinend wegen eines legalen Schlupfloches doch erlaubt sind. Und neulich flatterte glatt ein Brief des "Department of Traffic Enforcement" ins Haus, in dem stand, dass unser neues Auto, die sogenannte "Rakete" auf der Ostseite der Bay im Stadtteil Emeryville (Landkreis Alameda) bei Rot über eine Ampel gefahren sei.
Dem Schreiben lag eine Internetadresse bei, auf der man ein Video ansehen konnte, das den Tathergang illustrierte. Und tatsächlich war darauf die Rakete zu sehen, gesteuert von Michael, der nach einem Einkauf bei Ikea schnell bei Rot rechts abgebogen war, was in den USA generell erlaubt ist. Allerdings muss man vorher, wie bei einem Stoppschild, kurz anhalten. Anscheinend wollte der Fahrer aber zum Tatzeitpunkt möglichst schnell heimfahren, um die neu erworbenen Ikea-Möbel zusammenzuklopfen. Jedenfalls hatte er die Regelung etwas zu großzügig ausgelegt und war kurzerhand ohne anzuhalten um die Ecke gebraust. Das Blitzvideo (siehe unten) habe ich gleich auf Youtube raufgespielt, wo ihr es euch gerne ansehen könnt. Auch ein Blitzfoto (Abbildung 1) lag bei. Angelika sitzt gut erkennbar auf der Beifahrerseite, allerdings ist ihr Gesicht durch einen weißen Kreis ausgeblendet. So schützen die verlotterten Blitzpolizisten die Privatsphäre, falls Ehemänner mit ihren Freundinnen durch die Gegend kurven.
Video: Der rasende Rundbriefreporter stoppt nicht, bevor er an einer roten Ampel rechts abbiegt. |
Das "Ticket" war nicht ganz billig, 381 Dollar! Die Stadt Emeryville, ein durch und durch vergammeltes Eastbay-Rattenloch, braucht anscheinend jeden Cent und pumpt gerne unbescholtene Besucher aus der Weltstadt San Francisco an, die keine Zeit in dem gottverlassenen Nest verplempern wollen und zügig durchbrausen!
Na egal, man hat's ja. Aber das Problem an einem solchen Vergehen ist natürlich, dass man dafür einen Punkt in der kalifornischen Verkehrssünderkartei bekommt, was wiederum die Autoversicherung erfährt, die darauf kurzerhand die Haftpflichtprämien nach oben schraubt. Das macht teilweise tausende von Dollars im Jahr aus!
Um dieses Unheil abzuwenden, gibt es die Möglichkeit, eine etwas höhere Gebühr zu zahlen ($410) und einen Tag in einem Straßenverkehrskurs ("Traffic School") abzusitzen. So spart man zwar direkt kein Geld, man bekommt dennoch einen Punkt, aber die Autoversicherung kriegt keinen Wind davon. Das geht allerdings nur, falls man den Trick in den letzten 18 Monaten nicht schon einmal durchgezogen hat.
Die Schulung dauert 8 Stunden und wird von darauf spezialisierten und lizensierten privaten Firmen abgehalten, die man aus einer Liste auswählen darf. Damit's den Leuten beim Pauken nicht langweilig wird, gibt es sogar Comedy-Schools, in denen Komödianten die trockenen Verkehrsregeln mit Humor vortragen! Ich persönlich sitze ja lieber zuhaus und trinke mein Bier, also habe ich eine Online-Schule ausgewählt.
Mit $20 per Kreditkarte schrieb ich mich in den Kurs ein und kriegte dann Seite um Seite Verkehrsregeln, Videos mit schlimmen Verkehrsunfällen und Animationen mit typischen Verkehrssituationen vorgespielt. Es geht hauptsächlich um die Folgen von Alkohl am Steuer, unkontrolliertem Rasen und dem sogenannten "Road Rage", bei dem die Leute am Steuer so wütend werden, dass sie auf andere Fahrer einbrüllen, sie mit obszönen Handgesten beleidigen (was in den USA nicht strafbar ist) und mit Pistolen aus dem Handschuhfach herumballern. Letzteres ist allerdings illegal.
Man kann den Kurs unterbrechen so oft man will, aber zusammengerechnet habe ich schon so acht Stunden vor dem Rechner verbracht. Man muss aufpassen wie ein Luchs und sich den Text auf den Seiten ganz genau durchlesen, denn nach jedem Kapitel findet eine Zwischenprüfung statt, bei der man 10 Multiple-Choice-Fragen ohne Fehler beantworten muss. Hat man eine oder mehrere falsch, kommen nochmal zehn teilweise unterschiedliche Fragen nach.
Damit die Verkehrsschule weiß, dass während der gesamten Zeit auch immer noch derselbe Prüfling vor dem Rechner sitzt und die Aufgabe nicht etwa an einen Kumpel übergeben hat, muss man am Anfang des Kurses zehn persönliche Fragen beantworten (Abbildung 6): Wieviele Geschwister man hat, welche Sportart man am liebsten mag, undsoweiter. In zufälligen Abständen kommt dann während des Kurses jeweils eine Frage hoch, und man muss binnen 90 Sekunden die richtige Antwort wissen. Da ich solche Fragen aus Sicherheitsgründen nie wahrheitsgemäß beantworte, musste ich die von mir gegebenen Antworten tatsächlich extern abspeichern!
Vor der abschließenden Prüfung verlangen dann manche Gerichte, wie zum Beispiel der für meinen Fall zuständige Gerichtshof von Oakland, dass der Prüfling auch noch dem Namen nach identifiziert wird. Dazu kann man entweder zu einer zertifizierten Prüfstelle fahren, einen Ausweis vorlegen und den Test dort ablegen, oder sich Online mit Hilfe eines der drei großen Kreditbüros identifizieren lassen. Im Rundbrief 05/2004 haben wir schon mal über diese Institute berichtet, die ähnlich wie die Schufa in Deutschland die Kreditgeschichte jedes Bürgers minutiös verfolgen. Zur Identifizierung des Prüflings poppen dann drei Multiple-Choice Fragen hoch, deren Antworten eigentlich nur die Person weiß, auf deren Namen der Strafzettel ausgestellt wurde. Es wird zum Beispiel gefragt, bei welcher der folgenden vier Banken man einen Hauskredit aufgenommen hat. Oder was die letzten vier Zahlen der geheimen Social-Security-Nummer der Person sind, und die gesuchte Zahl ist wiederum aus einer Liste von vier vorgegebenen auszuwählen.
Die Fragen in der Abschlussprüfung sind nicht von Pappe. Eine war zum Beispiel: Wieviele tödliche Verkehrsunfälle gab es im Jahr 2005 in den USA, die durch Alkohl am Steuer verursacht wurden? Zur Auswahl stehen (a) 16.000, (b) 25.000, (c) 5.000 oder (d) 10.000. Oder: "Auf was müssen Sie achten, wenn ihr Auto liegenbleibt und Sie es neben der Straße parken?" Mögliche Antworten sind: (a) Auf hohes Gras achten, (b) den Kofferraum öffnen, (c) den Wagen in Richtung des entgegenkommenden Verkehrs abstellen oder (d) das Fernlicht einschalten. Wer da den Text vorher nicht durchgelesen hat, kuckt in die Röhre. Hättet ihr's gewusst? Die Auflösung gibt's im nächsten Rundbrief.
Die abschließende Prüfung habe ich dann mit 88% bestanden, 80% waren notwendig. Ich bin ja ein schlaues Füchslein, das sich Zahlen recht gut merken kann, aber wie das jemand schaffen soll, der etwas weniger in der Birne hat, ist mir schleierhaft. Nach bestandener Prüfung schickt die Verkehrsschule einem per Post ein offiziell aussehendes Papier-Zertifikat, das man nach Empfang wiederum per Post ans Gericht schickt. Dieses schließt dann das Verfahren ab und hält gegenüber der Versicherung die Klappe. Man kann online nachsehen, ob und wann das schließlich passiert. Hoffen wir mal, dass das klappt ...
Angelika Schon seit geraumer Zeit hat Michael prophezeit, dass der amerikanische Häusermarkt irgendwann zusammenbrechen würde. Regelmäßig schickte er an die Hausbesitzer in seinem Kollegenkreis Zeitungsartikel, die seine Hypothese unterstützten. Denn wir gelten ja ein wenig als Exoten, da wir immer noch zur Miete wohnen. In überteuerten Städten wie San Francisco und New York, wo Häuser- und Grundstückspreise plus der zu berappenden Grundsteuern schon lange surreale Züge angenommen haben, ist das allerdings finanziell gesehen durchaus die vernünftigere Lösung.
Aber ein Haus zu besitzen gehört zum amerikanischen Traum. Wer in den Kreis der Hausbesitzer aufsteigt, so die gängige Meinung, hat es in die Mittelschicht geschafft. Amerikanische Wahlkampfparolen enthalten dann auch stets Versprechungen, den Prozentsatz der Hausbesitzer, vor allen Dingen unter den Minderheiten, zu erhöhen.
Nun ist nach der Internetblase im Jahr 2001 vor kurzem tatsächlich auch die Häuserblase geplatzt und ließ auch noch gleich die internationalen Börsen wackeln. Das Jammern ist groß, wobei uns wunderte, dass das Ganze überhaupt solange gut ging. Dass die Häuserpreise nicht in dem irrwitzigen Tempo weiter steigen konnten, war eigentlich klar, allein schon wegen den Gesetzen von Angebot und Nachfrage. Aber der ungebrochene Optimismus vieler Amerikaner, niedrige Zinsen, gierige Makler und skrupellose Bankfuzzis, die das große Geld witterten und windige Kredite vergaben, führten blind in die Misere. Möchtegern-Hausbesitzer lockte man mit Fantasiekonditionen.
Viele Käufer zahlten beim Hauskauf nichts an und entschieden sich für Hypotheken mit variablem Zinssatz. Dabei ist der Zinssatz in den ersten ein oder zwei Jahren oft zunächst unschlagbar niedrig ist und steigt dann rapide an. Auch gab es Modelle, bei denen der Kreditnehmer zunächst nur die Zinsen auf die aufgenommene Summe abzutragen hatte, aber nichts von der Kreditsumme selbst. Aber warum ließen sich die Kreditinstitute auf solche riskanten Manöver ein? Solange die Hauspreise stiegen, war alles in Butter, denn selbst wenn der Hausbesitzer seinen Abtrag nicht mehr zahlen konnte, rieb sich die Bank die Hände, denn das Haus ging an die Bank zurück und die verscherbelte es dann zu einem weit höheren Preis.
Zusätzlich erfreuten sich die sogenannten "Home Equity Loans" größter Beliebtheit. Das sind Kredite, die Hausbesitzer auf den Wertzuwachs ihres Hauses aufnahmen. Ursprünglich dienten diese zum Beispiel dazu, Verschönerungsmaßnahmen am eigenen Haus zu finanzieren. In der Euphorie der Boomjahre gaben aber viele das Geld für andere Konsumgüter aus oder einfach, um sich einen höheren Lebenstandard zu leisten. Da die Häuserpreise aber immer weiter in den Keller gehen, sodass die Hypotheken bei Millionen von Amerikanern mittlerweile höher sind als der eigentliche Wert ihres Hauses, geht die Rechnung leider nicht mehr auf. Kreditkartenfirmen sorgen sich nun, dass ihre Kunden ihre Ausgaben mangels "Home Equity" nun stattdessen auf ihre Kreditkarten packen und diese dann irgendwann nicht mehr abbezahlen können. Vorsichtshalber haben sie deswegen den Zinssatz bei Leuten kräftig erhöht, die ihre Rechnungen nicht pünktlich zahlen und deswegen als risikoreich gelten.
Das Börsenbeben enstand nun wiederum, da die Kreditinstitute die Hypotheken an den Finanzmärkten weiter verkauften. Sie bündelten die Einzelkredite zu handelbaren Wertpapieren, die dann die Fachwelt auch noch als sicher einstufte. Als dann aber reihenweise die Hypothekenkredite wegen der fallenden Häuserpreise platzen, herrschte plötzlich Unruhe unter den Investoren. Kreditinstitute, die besonders eifrig in das Geschäft mit diesen eigentlich hochriskanten Wertpapieren investiert hatten, fuhren auf einmal hohe Verluste ein. Mittlerweile ist Vorsicht wieder die Mutter der Porzellankiste und die Banken vergeben Kredite nicht mehr so nach Lust und Laune. Deswegen allerdings erlahmt momentan die Wirtschaft. Auch der ewig konsumierende Amerikaner hat einen Dämpfer bekommen und hält scheinbar das Geld mehr zusammen. Zumindest trinkt er weniger Lattes und Frappucinos, denn die Kaffeehauskette "Starbucks" gab diese Woche Gewinneinbußen bis zu 28 Prozent bekannt.
Aber Rettung ist in Sicht. Ab dieser Woche verschickt das Finanzamt auf Anordnung von Präsident Bush und dem amerikanischen Kongress Schecks an die Bürger, damit sie wieder fleißig konsumieren. Jeder, der 2007 eine Steuererklärung abgegeben hat, ein Einkommen von mindestens $3.000 hatte und eine Sozialversicherungsnummer besitzt, erhält von Vater Staat bis zu $600 ($1.200 für Verheiratete mit gemeinsamer Steuererklärung). Für jedes Kind unter 17 werden nochmal $300 drauf gepackt. Besserverdienende müssen sich allerdings mit weniger zufrieden geben. Dass die geschenkten Sümmchen das Ruder rumreißen, bezweifeln allerdings die meisten Wirtschaftsexperten.
Laut neusten Statistiken, die Anfang der Woche herauskamen, hat Kalifornien neben Florida, Arizona und Nevada den höchsten Anteil an zwangsversteigerten Häusern ("foreclosure"). Interessanterweise sieht die Statistik für San Francisco anders aus. Zwar gehen die Häuser in den umliegenden Orten wie San Leandro, Daly City, Fremont reihenweise in den Besitz der Banken über, aber nicht in San Francisco. Hier stiegen die Häuserpreise nicht nur um 0.4 Prozent im März, sondern der Anteil der Zwangsversteigerungen lag darüber hinaus bei niedrigen 2.4 Prozent. Es gibt eben einen Haufen reicher Leute in San Francisco, die der wirtschaftliche Abschwung wenig tangiert oder auch Leute, die ihre Häuser schon seit Jahrzehnten besitzen. Außerdem zog es viele Ersthauserwerber in die umliegenden Städte, da die Häuser dort etwas erschwinglicher als in San Francisco selbst sind.
Dass die Mieten in einer Häuserkrise steigen, ist ja irgendwie logisch, denn mehr Leute drängen wieder auf diesen Markt. Auch da ist San Francisco Spitzenreiter, trotz niedriger Zwangsversteigerungen. Mieten sind in San Francisco im Vergleich zum letzten Jahr um 14.4 Prozent angestiegen. Irgendwie scheint es uns magisch in Städte zu verschlagen, die hohe Mieten mit sich bringen!
Angelika Ich habe ja schon einmal im Rundbrief 08/2007 über die etwas ungewöhnlichen amerikanischen Fenster berichtet, aber auch amerikanische Duschen haben es in sich. Schon öfters kam es in unserer Wohnung zu lustigen Szenen, wenn deutsche Schlafgäste an unserer Dusche verzweifelten, weil sie nicht wussten, wie man das Wasser anstellt.
Gerade in älteren Häusern sowie einfacheren Motels, die noch keine neumodischen Duschkabinen sondern Badewannen kombiniert mit Duschköpfen aufweisen, braucht man detektivisches Geschick bei der Bedienung der Amaturen. Dreht ihr den Wasserhahn auf, kommt nämlich das Wasser aus dem Hahn für die Badewanne. Dann gilt es zunächst die gewünschte Temperatur durch Drehen des Knopfes zu ermitteln. Dann müsst ihr am Hebel mit dem runden Kopf (Abbildung 14) auf dem Wasserhahn für die Badewanne ziehen, damit das Wasser zum Duschkopf wandert.
Der Drehknopf in Abbildung 15 erfüllt zwei Funktionen: Drückt man ihn nach oben, stellt er das Wasser an. Dreht man den Knopf nach links, dass der Pfeil in Richtung "H" (Hot) wandert, wird das Wasser heißer. Nach rechts in Richtung "C" (Cold) wird's kälter. In manchen Hotels kann man den Knopf allerdings nur drehen, nicht nach oben drücken. Man stellt die Dusche an, indem man den Knopf im Uhrzeigersinn (!) dreht. Zunächst durchwandert man dort kaltes Wasser, dreht man weiter, wird's wärmer. Michael, der gar kein kaltes Wasser verträgt, bleibt in Motels immer außerhalb der Dusche stehen, während er mit spitzen Fingern die Dusche warmlaufen lässt. Ist eine angenehme Temperatur erreicht, steigt er ein.
Die Duschköpfe sind übrigens meist fest an der Wand montiert, nicht abnehmbar und ohne Schlauch. Ein Wunder, dass wir jeden Tag sauber werden.
Michael Neulich speisten wir in San Franciscos Soma-Distrikt im Restaurant "MoMo's" zu Mittag und fanden zu unserem Erstaunen ganz unten auf der Speisekarte einen Hinweis in Kleinschrift: Demnach gaunert der Laden einfach ungefragt 3.5% auf jede Rechnung, eine sogenannte "San Francisco Health Care Security Ordinance Service Charge" (Abbildung 16).
In der Tat gibt es in San Francisco seit 8. Januar 2008 ein Gesetz, das Health Care Security Ordinance (HCSO), das Arbeitgeber verpflichtet, für die Krankenversicherung ihrer Angestellten zu sorgen, falls der Laden mehr als 20 Leute beschäftigt. Das passt den Restaurants natürlich überhaupt nicht und sie haben nicht nur ein Gerichtsverfahren gegen die Stadt eingeleitet, sondern zocken jetzt offenbar auch noch ahnungslose Gäste ab. Der im fraglichen Restaurant arbeitende Ober wusste nur, das das so ein "New San Francisco Thing" sei und dass er von dem Geld noch nichts gesehen hätte.
Gegen eine Krankenversicherung für Angestellte ist freilich nichts einzuwenden, gegen ein hinterrückses Aufschlagen dieses Betrages auf die Rechnung hingegen schon. Dann muss das Restaurant halt die Preise auf der Speisekarte erhöhen! Aber anscheinend führen manche stattdessen die Gäste lieber an der Nase herum.
Und auch einige Tage später im Restaurant "Incanto" in unserem Viertel fiel uns eine "Service Charge" von 5% auf, angeblich um das Trinkgeld für's Küchenpersonal zu decken. Theoretisch könnte man als Gast zwar den Betrag vom Trinkgeld des Obers abzwacken, aber wer macht das schon, der Ober kann auch nichts für die Gaunereien der geldgierigen Geschäftsführung. Hilft nur, diese Spelunken bis auf weiteres zu boykottieren, wenn die Gäste ausbleiben, wird denen vielleicht ein Licht aufgehen.
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Auf eine Rechnung von $50 kommen so nicht nur 8.5% Verkaufssteuer (Tax) (also $4.25) und auf den Gesamtbetrag nochmals 15-20% Trinkgeld für den Ober ($8.14 - $10.85), sondern auch noch 3-5% der neuen Restaurant-Fantasiesteuer ($1.50 - $2.50)? Aus $50 auf der Speisekarte werden also $67.60? Quo vadis, San Francisco?
Michael Dass bei uns im Viertel katastrophale Parkverhältnisse herrschen, haben wir schon oft beschrieben, aber in letzter Zeit hat sich die Lage nochmals zugespitzt. Mittlerweile gibt es zu allem Überfluss auch noch die Anwohnerparkzone "Z", deren Umfang durch entsprechende Verkehrszeichen ausgewiesen ist und in deren Bannkreis man werktags von 8 bis 18 Uhr nur 2 Stunden parken darf, wenn man keine entsprechende Plakette am Auto hat.
Die Plakette bekommt nur, wer in der jeweiligen Straße wohnt. Nun ist unsere Bude auf der 24sten Straße, wo es keine Parkzone sondern nur Parkuhren gibt, also sind wir gearscht, kriegen keine Plakette und müssen in den wenigen verbliebenen parkzonenfreien Nebenstraßen suchen, bis wir schwarz werden! Erst hatten nur wenige Straßen die Regelung, aber immer mehr Anwohner konnten dann keinen Parkplatz mehr finden und reichten Bürgerbegehren ein, damit auch ihre Straße in den Unsinn einbezogen wurde.
Wir haben ja mittlerweile zwei Autos, den alten Perlman und die neue Rakete (Rundbrief 02/2008). Die Rakete steht in der Garage, der Perlman muss auf der Straße übernachten. Das heißt aber auch, dass wir wieder die guten alten Parkspiele (Rundbrief 07/2001) spielen müssen: Einmal in der Woche kommt das Kehrauto und dann muss der Perlman umgeparkt werden, sonst gibt's einen Strafzettel, der $40 kostet.
Allerdings gibt man ungern einen guten Parkplatz auf, und viele Leute fahren nur kurz weg, lassen das Kehrauto durchfahren und drängeln sich dann sofort wieder auf den alten Platz. Was Touristen nicht wissen, und Einheimische nur ungern preisgeben: Selbst wenn auf dem Verkehrschild (Abbildung 19) steht, dass das Kehrauto am dienstag zwischen 12 und 14 Uhr durchfährt, kann man während dieser Zeitspanne trotzdem dort parken, nachdem das Kehrauto durchgefahren ist.
Durch jahrelange zeitraubende Studien habe ich herausgefunden, dass das Kehrauto in der 23rd Street, wo die Straßenreinigung laut Verkehrsschild dienstags zwischen 12 und 14 Uhr stattfindet, fast auf die Minute genau um 12:25 durchfährt. Ich nehme an, dass der Kehrmeister nach einem festgesetzten Zeitplan vorgeht, der irgendwo im Geheimarchiv der Stadt San Francisco festgelegt ist, und den er lesen, sich einprägen und dann aufessen muss.
Video: Dokumentarvideo: Das Kehrauto kommt in unsere Gegend. |
Vor dem Kehrauto fahren die von mir sogenannten Wespen (Rundbrief 07/2001) her, die die Strafzettel verteilen. (Der offizielle Name dieser schnuckeligen Dreirädler, deren Fahrer Fahrradhelme tragen, ist übrigens "Interseptor".) Der Trick ist also, ein dort geparktes Auto etwa um 12:15 wegzufahren, in der Nähe zu lauern, und sobald das Kehrauto um 12:26 durch ist, wieder den alten Parkplatz zu beschlagnahmen.
Da ich dienstags immer von zuhause arbeite, gehe ich mittags schnell aus dem Haus, hole das Auto und parke es um. Neulich habe ich sogar ein Dokumentarvideo (siehe oben) gedreht und es auf Youtube hochgepumpt. Wenn ihr genau hinseht, fällt euch sicher auf, dass, noch während das Kehrauto durchfährt, schon die ersten Lauerer hinter dem Kehrauto einparken! Zum Totlachen!
Überreglementierungen dieser Art sprießen übrigens in San Francisco wie Pilze aus dem Boden. Aus der ehemaligen Revoluzzerstadt ist ein Heim für frühvergreiste Enddreißiger geworden, die nichts Besseres zu tun haben, als sich in ihre millionenschweren Häuser zu setzen, ihr Geld zu zählen und Stadtteilinitiativen zu starten, wenn's mal keine Parkplätze gibt. Neulich hatten wir den Perlman fast eine Woche lang auf der Jersey Street in unserem Viertel geparkt, und das darf man wegen einer relativ unbekannten und absurden Vorschrift eigentlich nicht: Die Höchstparkdauer ist 72 Stunden, dann muss man das Auto mindestens einen Straßenblock weit bewegen. Daran hält sich eigentlich niemand, doch prompt hängte uns so ein Sesselfurzer aus der Jersey Street einen Zettel ans Auto und beschuldigte uns mit wüsten Worten (Abbildung 20). Was für ein Idiot!
Und wenn die Firma Google ihre Angestellten mit dem Shuttle in San Francisco abholt und diese Busse durch die nachts ruhigen Gassen brummen, wird auch gleich Zeter und Mordio geschrieen. In Abbildung 21 seht ihr die entsprechende Meldung im Stadtteilblatt "Noe Valley Voice". (In der Überschrift steht übrigens das selten verwendete Verb "to rankle", schaut im Wörterbuch nach was es bedeutet.) Unter coolen Leuten gibt es deswegen wieder die Tendenz, ins südamerikanische Viertel Mission oder gar in ziemlich heruntergekommene Gegenden wie Hunters Point (Rundbrief 02/2008) zu ziehen, um den angepassten Möchtegern-Alternativen in unserem Viertel zu entfliehen.
Angelika Mittlerweile steht der republikanische Präsidentschaftskandidat fest, während sich bei den Demokraten Barack Obama und Hillary Clinton immer noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. John McCain kann sich seiner offiziellen Nominierung beim Parteitag der Republikaner im Sommer sicher sein. Bei den Demokraten werden tatsächlich dieses Mal die Superdelegierten (Rundbrief 02/2008), wie ich es schon im letzten Rundbrief prophezeit habe, die entscheidende Rolle spielen.
Ohne die Superdelegierten kann Clinton die Nominierung gar nicht gewinnen, selbst wenn sie bei den noch ausstehenden Vorwahlen Obama haushoch schlägt. Clinton kämpft dabei wie eine wilde Löwin im Käfig und nimmt immer unsympathischere Züge an. Um sich bei weißen Arbeitern, in deren Gruppe Obama bisher die wenigsten Stimmen erhielt, anzubiedern, springt sie schon einmal auf einen Pick-up Truck und lässt sich mit einem Arbeiter zur Tankstelle fahren, um dann über die hohen Benzinpreise zu lamentieren. Oder sie bechert ein Bier in einer Kneipe in Indiana, wo am Dienstag zeitgleich mit dem Bundesstaat North Carolina die nächsten Vorwahlen stattfinden. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so verliebt in die Macht ist. Hillary und Bill wollen zurück ins Weiße Haus, koste es, was es wolle.
Hillarys neuestes Mantra ist, dass sie -- wie John McCain -- die Benzinsteuer (lächerliche 18.4 Cents pro Gallone) über die Sommermonate aussetzen möchte, damit die Preise kurzfristig fallen und alle wieder mehr Benzin in ihre riesigen Autos pumpen können. Eine Gallone (ca. 3,8 Liter) Benzin kostet im Schnitt zur Zeit an die 3,60 Dollar, was für amerikanische Verhältnisse extrem hoch ist. Im Sommer steigen die Benzinpreise eh, da die Nachfrage steigt, weil alle mit dem Auto in den Urlaub fahren und die Raffinerien an die Grenzen ihrer Kapazitäten stoßen.
So vermuten die Experten, dass der Benzinpreis landesweit über vier Dollar schnellen wird, in San Francisco zahlen wir das mittlerweile eh schon. Die Wirtschafts- und Umweltexperten raufen sich die Haare. Denn erstens geht die Rechnung nicht auf, denn wenn die Steuer wegfällt und die Leute mehr fahren, steigt die Nachfrage, was die Preise noch mehr anziehen lässt. Zweitens löst die Aktion natürlich auf lange Sicht nicht das Problem. Konservieren und weniger fahren ist angesagt und dazu müssten die Bezinpreise eigentlich durch eine Steuer angehoben werden, denn anders zwingt man den Konsumenten nicht zur Verhaltensänderung. Drittens dient die Benzinsteuer dazu, die Infrastruktur im Land in Stand zu halten und die hat es bitter nötig, denn Brücken und Straßen befinden sich teilweise in einem miserablen Zustand.
Fairerweise muss ich erwähnen, dass Clinton die Steuer durch die Hintertür auf die Ölgesellschaften umlegen will, während McCain sich scheinbar nicht darum schwert, wie das Loch zu stopfen ist. Außerdem lassen die Beiden bei ihren abenteuerlichen Vorschlägen außer acht, dass solche Entscheidungen ohne die Zustimmung des Senats und des Repräsentantenhauses sowieso nicht zu treffen sind. Ich hoffe, dass die Wähler das Spiel durchschauen.
Obama lehnt den Vorschlag von McCain und Clinton bezüglich der Benzinsteuer kategorisch ab. Allerdings hat Obama gerade ganz andere Probleme, denn sein etwas radikaler Pastor, von dem er sich gerade losgesagt hat, zieht medienwirksam durchs Land und schwingt Reden, die Obama das Leben schwer machen. Und wieder sind wir im amerikanischen Wahlkampf an dem Punkt angelangt, wo es nur noch um Plattitüden geht, dabei gäbe es so wichtige Sachen wie Wirtschaftsmisere, Irakkrieg, Krankenkasse für alle zu diskutieren.
Michael Wie in Deutschland auch, müssen Erben auf eine Erbschaft Erbschaftssteuer, die sogenannte "Estate Tax" zahlen. Allerdings ist eine Freigrenze von 2 Millionen Dollar festgelegt.
Überlebende Ehepartner sind allerdings von der Estate Tax befreit. Dies gilt aber nicht für Leute, die keine amerikanischen Staatsbürger sind. Das ist der Grund, warum viele Greencardholder schließlich doch die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragen, obwohl diese sonst, außer dass man wählen kann, kaum Vorteile bringt. Übrigens haben die Deutschen ein Abkommen mit den Amerikanern, das im Jahr 2006 einen Freibetrag von $2.000.000 zwischen deutsch/amerikanischen und deutsch/deutschen Ehepartnern einräumt.
Die oben angegebene Freigrenze für Amerikaner von 2 Millionen Dollar, wenn zum Beispiel jemand Geld an seine Kinder vermacht, gilt allerdings auch nur im Jahr 2008. Nächstes Jahr, 2009, wird sie temporär auf $3.5 Millionen angehoben, um dann im darauffolgenden Jahr, 2010, schließlich ganz wegzufallen.
Und jetzt kommt der Hammer: Im Jahr 2011 kehrt sie wieder zurück, und zwar mit einer Freigrenze von nur einer Million Dollar! Wenn also der amerikanische Kongress sich nicht zusammensetzt und ein neues Gesetz für die auch "Death Tax" genannte Estate Tax erlässt, ist Sterben im Jahr 2010 so billig wie noch nie. Was das für gesellschaftliche Auswirkungen haben könnte, kann man sich leicht vorstellen und man hofft, dass der Staat das umgehend abwendet.
Angelika In Amerika gibt es ja außer dem 25.12. zu Weihnachten keine religiösen arbeitnehmerfreien Feiertage. Karfreitag und Ostermontag sind dann auch ganz normale Arbeitstage. Aber natürlich zelebrieren viele Amerikaner Ostern. Kinder suchen Ostereier und die Kirchen sind voll. San Francisco feiert jedes Jahr zu Ostern ein ganz besonderes Fest, das in die Kategorie "Only In San Francisco" fällt. Die "Sisters of Perpetual Indulgence" (frei übersetzt etwa: "Ordensschwestern des immerwährenden Genusses/Hingabe") feiern im Dolores Park bei uns um die Ecke den Ostersonntag auf ganz besondere Art.
Die Schwestern sind als farbenfrohe Nonnen verkleidete homosexuelle Männer und vertreteten einen gemeinnützigen Verein, deren Mitglieder unermüdlich Spenden für gemeinnützige Projekte sammeln. So sammeln sie Geld für Aidsprojekte oder unterstützen Gruppen, die sich für mehr Toleranz einsetzen. Dabei fließen Gelder sowohl an Institutionen, die sich um homosexuelle Senioren kümmern, lokale Hospize oder Obdachlosenasyle für Familien als auch an die Brustkrebshilfe, wobei sie besonders kleinere Organisationen im Auge haben, die sonst übersehen werden. Auch sexuelle Aufklärung und das Ende der Diskriminierung von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung ist der Gruppe wichtig.
Die Schwestern gründeten ihren etwas ungewöhnlichen Orden 1979 in San Francisco. Er bestand ursprünglich exklusiv aus schwulen Männern. Mittlerweile ist die Gruppe gemischter, und auch Frauen zählen zu den Mitgliedern. Ebenso gibt es Ableger in vielen amerikanischen Städten und anderen Ländern. In Deutschland findet ihr die "Sisters of Perpetual Indulgence" in Köln, Berlin und Hamburg. San Francisco gilt aber nach wie vor als Mutterhaus.
Natürlich wird euch nicht entgangen sein, dass durch die Kleidung und die gewählten Namen eine humorvolle parodiehafte Anlehnung an die Rituale und Gebräuche der katholischen Kirche sehr wohl beabsichtigt ist. Selbstredend gefällt dies einigen Kirchenobersten sowie strengen Katholiken nicht. Es wurde vorgeschlagen, das besondere Osterfest der Schwestern wenigstens nicht mehr am heiligen Ostersonntag sondern an einem anderen Tag zu feiern, aber bisher ohne Erfolg. Ich sage da nur, immer locker bleiben, denn die San-Francisco-Schwestern haben durch ihre freiwilligen Einsätze seit ihrem Bestehen über 1 Million Dollar gesammelt und karikativ weiter verteilt.
Aber zurück zum Ostergaudi im Dolores Park. Die "Sisters of Perpetual Indulgence" sind dafür bekannt, nicht nur viel Geld zu sammeln, sondern dabei auch eine unterhaltsame Show abzuziehen. Ostern im Dolores Park beginnt am Vormittag dann auch ganz harmlos mit der Ostereiersuche für Kinder. Später sollte man diese vielleicht nach Hause schicken, denn es folgen der verrückte Hütewettbewerb ("Bonnet Contest") gefolgt von dem besonders beliebten "Hunky Jesus" (= "schöner Jesus") Wettbewerb, bei dem der verrücksteste/schönste Jesus zu wählen ist und eine endlos erscheinende Reihe von Männern in originellen oder auch weniger originellen Aufmachnungen (manche auch kaum bekleidet) versuchen, Jesus darzustellen. Der Gewinner, den ihr in Abbildung 25 seht, überzeugte dieses Jahr nicht durch irgendwelchen Schnickschnack, sonder allein durch sein natürliches Auftreten und die überzeugende Gestik. Falls ihr zu Ostern einmal in San Francisco seid, verpasst diese San-Francisco-Institution nicht!
Grüße aus der mit Abstand verrücktesten Stadt der Welt:
Angelika & Michael
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