Angelika/Mike Schilli |
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(Michael) Eine der schönsten Errungenschaften in San Francisco ist die internationale Atmosphäre. Man kann innerhalb einer halben Stunde von Japan über Italien und China nach Südamerika fahren. Letzeres Viertel ist gleich bei uns um die Ecke und wenn man von unserem Noe Valley den Berg hinunter in die bunte mexikanische "Mission" steigt, glaubt man seinen Augen und Ohren nicht zu trauen: Alles spricht auf einmal spanisch, man fährt mit abgewrackten Autos, der Müll liegt auf der Straße und mexikanische Humpa-Dumpa-Musik tönt aus Wohnungen und Kneipen. Eine Taqueria neben der anderen bietet Tacos, Burritos, Fajitas und Chile Releno feil.
In der Mission wohnen seit Urzeiten hauptsächlich Leute aus Mexiko und anderen südamerikanischen Staaten: Nicaragua, Peru, Brasilien, Chile. Interessanterweise hat die Mission das wärmste Klima in San Francisco: Nie Nebel, und an manchen Sommertagen ist's tatsächlich so brüllheiß wie in Südamerika. Carlos Santana, die Gitarrenlegende, ist hier aufgewachsen.
Während des Dot-Com-Booms in den späten Neunzigern war die Mission ein ziemlich wildes Viertel, mit Schießereien in jeder Nacht. Bei den neureichen Yuppies galt es aber als extrem schick, sich Apartements in der Mission zu suchen und hypermodern einzurichten. Auf einmal standen zwischen den verbeulten Autos der alten Mission-Bewohner Daimler, Porsches und BMWs. Das wurde nicht gerne gesehen, denn das trieb die Mietpreise nach oben und vertrieb einige der ärmeren Alteingesessenen aus ihrem Viertel, das sie und ihre Familien seit Generationen bewohnt hatten.
Noch heute würde ich keine Nobelkarosse in der Mission parken -- an denen, die dennoch dort stehen, sieht man öfter mal unschöne meterlange Kratzer im Lack, die offensichtlich von verärgerten Leuten mit Absicht herbeigeführt wurden.
Auch alternative Kleinbetriebe ließen sich in der Mission wegen der geringeren Mietpreise nieder: Zum Beispiel "Die Werkstatt", eine von einer Deutschen geleitete Motorradwerkstatt. Oder die Firma Timbuk2, die bei Fahrradkurieren beliebte Umhängetaschen herstellt, hat hier ihren Sitz. Jeder Hardcore-Fahrradfahrer in San Francisco trägt so eine. Das ist mehr als eine Tasche, das ist eine klare politische Aussage. Man kann sie in ausgewählten Geschäften in San Francisco kaufen, oder auf dem Web bestellen. Aber gefertigt werden sie: in der Mission.
Und auch die Electronic Frontier Foundation hat ihren Sitz in der Mission. Das kleine ladenähnliche Büro dient als Zentrale der weltweit bekannten, etwas radikalen Organisation, die sich gegen jedwege Zensur im Internet zur Wehr setzt.
Weil die meisten Leute in der Mission spanisch und viele kein Englisch sprechen, ist auch die Werbung an den Plakatwänden oder die Aushänge der Restaurants oft spanisch. Und wohl wegen der Nähe unserer Wohnung zur Mission bekomme ich öfter mal Werbebriefe der Telefongesellschaft in Spanisch (Abbildung 7).
Was viele Europäer nicht wissen: in den USA gibt es diese sprachbasierte Zwei-Klassengesellschaft. Leute, die nur spanisch und kein Englisch sprechen, arbeiten typischerweise in Niedriglohnjobs: Als Autowäscher oder Küchengehilfe. Der Chefkoch in einem Restaurant muss zum Beispiel fließend spanisch sprechen, da die ganzen Postenköche zum Großteil kein Englisch können. Und während Kellner immer Englisch sprechen, kann es in preiswerteren Restaurants durchaus sein, dass der Gehilfe, der die geleerten Teller nach dem Essen abräumt (der "bus boy") eine auf Englisch gestellte Frage nicht versteht und den Kellner zu Hilfe holen muss.
Wie in Südamerika üblich, schieben an heißen Tagen Eisverkäufer weiße Handkarren leise bimmelnd durch die Gassen. Uralte Pickup-Trucks mit riesigen von Amateurhand konstruierten Aufbauten kutschieren vorschriftenverachtend meterhohe Ladungen durch die Gegend -- in Deutschland würde so ein Unternehmen nach höchstens fünf Minuten Fahrzeit von der nächsten Polizeistreife aufgehalten.
Viele Hauswände zeigen so genannte "Murals", typisch südamerikanische Wandmalereien mit allerlei politischem oder religiösem Inhalt, die besonders bei Sonnenschein mit ihrer Farbenvielfalt dem Viertel seine besondere südliche Note verleihen.
Die Taqueria "La Taqueria" nahe der Kreuzung Mission-Street und 26ster Straße serviert die besten Tacos der Stadt. Dazu bestellt man zunächst an der Kasse, kriegt eine Nummer und muss dann manchmal tierisch aufpassen, wenn diese versehentlich nur auf Spanisch aufgerufen wird. Der Taco-Koch, ein Mann mittleren Alters mit superstreng gekämmten pechschwarzen Haaren, arbeitet in einer Affengeschwindigkeit die Bestellungen ab. Es macht Spaß, ihm zuzusehen, wie er blitzschnell mit dem Messer Fleisch schneidet oder mit Löffeln in die sauber organsierten Beilagentöpfe fährt, um Guacamole, Salsa oder saure Sahne auf die kleinen schmackhaften Kunstwerke zu applizieren. An langen Biertisch-ähnlichen Bänken setzt man sich anschließend bunt gemischt mit anderen Leuten (sonst ein Unding in Amerika, wo jeder seinen eigenen Tisch hat) hin und verspeist die Leckerbissen in einem Riesentrubel mit herumrennenden Kleinkindern.
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