Erschreckendes Schulsystem
(Angelika) Im Zuge meiner Kurse habe ich übrigens eine amerikanische Therapeutin kennengelernt, die wiederum eine Schulleiterin in Oakland (Stadt auf der anderen Seite der Bay) kannte und mich als Volunteerin vermitteln wollte. So bin ich also in den Genuss gekommen, eine Middle School zu besuchen. Die Middle School entspricht der 6. bis 9. Klasse. Die Schule war wieder in einer ziemlich heruntergekommenen und armen Gegend. Ich habe in einer Klasse mit Schülern von 10 bis 12 Jahren hospitiert. Über die Hälfte der Schüler sprach Englisch nicht als Muttersprache, ein Drittel hatte zusätzlich Lernschwierigkeiten. Die meisten Schüler waren schwarz oder Immigranten aus Südamerika. Das ist übrigens ein sehr realistisches Bild einer öffentlichen Schule in einem armen Stadtteil. Da diese Schulen meist nicht den besten Ruf haben, schicken besser gestellte amerikanische Eltern (meist weiß) ihre Kinder auf private Schulen. Hier entsteht dann ein echter Teufelskreis: Bist du arm, kannst du dir nur eine öffentliche Schule leisten, wohnst du in einer schlechten Gegend, ist die Schule meist dementsprechend schlecht, weil die entsprechenden Mittel fehlen. Kritische Stimmen behaupten, dass einige Schulen in den USA einer Rassentrennung unterliegen wie sie früher in Südafrika anzutreffen war.
Aber nun zurück zu der Schule, die ich besucht habe. Die Klasse, in der ich war, wurde aus Platzmangel in einem Container unterrichtet. Rein äußerlich und gebäudemäßig hat die Schule sonst aber einen ganz guten Eindruck gemacht (bis auf die Container). Die Direktorin sagte mir, dass diese Kinder eigentlich einen Sonderpädagogen als Lehrer bräuchten und zusätzlich jemanden, der fließend spanisch spricht für die südamerikanischen Schüler. Beides stand aber nicht zur Verfügung. In den USA werden Schüler mit Lernschwächen in der Regel in die normale Schule integriert, wobei es sich dabei um eine Pseudointegration handelt, da Schüler mit Schwierigkeiten meist in eine Klasse gesteckt werden. Je nach Bundesstaat und Geld erhalten diese Schüler dann spezielle Unterstützung. Die Realität sieht aber oft wie oben beschrieben aus. Als ich in der Klasse hospitiert habe, haben die Kinder gerade lesen geübt und es war wirklich erschreckend, wieviel Schwierigkeiten alle dabei hatten. Keiner, obwohl zwischen 10 und 12 Jahre alt, konnte fließend lesen. Viele waren völlig desinteressiert und haben z.B. ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, so dass man ihr Gesicht nicht sehen konnte. Etwa fünf Jungen saßen die ganze Zeit mit einem Handschuh an einer Hand da, obwohl es ziemlich warm war. Ich habe allerdings nicht herausbekommen, ob der Handschuh für eine Gangzugehörigkeit steht, was durchaus sein kann. Wer den Film "Dangerous Minds" mit Michelle Pfeiffer gesehen hat, weiß so ungefähr, wovon ich rede, wobei die Disziplin erstaunlich gut war, das heißt, es herrschte nicht das totale Chaos. Nun ja, auf jeden Fall habe ich mich dagegen entschieden, dort mitzuhelfen, da ich es unverantwortlich finde, wenn jemand wie ich, der selbst Englisch nicht als Muttersprache spricht, im Englischunterricht (was meine Aufgabe gewesen wäre) unterstützen soll, obwohl es mich natürlich sehr gereizt hätte.