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Angelika/Mike Schilli |
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Dabei hat San Francisco gerade in der letzten Woche etwas zur Normalität zurückgefunden. Die Restaurants füllten sich wieder. Wir erspähten mehr Touristen in der Stadt. Die Halloween-Dekorationen (Halloween ist am 31. Oktober und ist ein faschingsähnliches Treiben) erschienen in den Geschäften und verdrängten ein wenig das Fahnenmeer, das uns immer noch auf Schritt und Tritt begleitet. Am Montag letzter Woche durften Fußgänger und Fahrradfahrer endlich wieder auf die von uns allen so geliebte Golden Gate Bridge. Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen hatten für fast drei Wochen nur noch Autofahrer in den Genuss der Brückenüberquerung kommen lassen. So bildete sich am letzten Montag sogar eine kleine Schlange vor den Absperrungen und Begeisterung machte sich breit, als sich die Tore öffneten. Der Anschein der Normalität trügte natürlich. Schon an der Golden-Gate-Bridge-Geschichte lässt sich das ablesen. Denn auch wenn das Radeln und Schlendern über das rote Wahrzeichen der Stadt wieder erlaubt ist, so dann doch nur von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends, also bis zum Einbruch der Dunkelheit. Bisher durfte man auch des nachts den fantastischen Blick von der Brücke auf die Stadt genießen.
Überhaupt begegnet uns seit den terroristischen Angriffen auf New York und Washington so manches, was von der Norm abweicht, auch allerlei Skurriles ist dabei: Der Verkauf von patriotischen Halloween-Kostümen stieg dieses Jahr sprunghaft an. Die Post kommt mit einer neuen 34-Cent-Briefmarke heraus, die die amerikanische Flagge zeigt und besagt "United we stand" ("Vereint sind wir"). In Tatoo-Geschäften ist die Nachfrage nach der amerikanischen Flagge ebenfalls groß. M&Ms (vergleichbar mit Smarties) soll es demnächst als Sonderpackung in den Farben der amerikanischen Flagge (rot, weiß, blau) geben. Entdecken konnten wir sie in den Supermärkten allerdings noch nicht.
Der Verkauf von Waffen boomt und für Giftgasmasken gab es richtige Hamsterkäufe. Die Angst, dass Terroristen Giftgas verwenden könnten, sitzt nämlich tief und wird vom Justizminister Ashcroft geschürt, dem scheinbar jedes Mittel recht ist, um seine neuen Gesetze zur Bekämpfung des Terrorismus durchzudrücken. Bis dato kannten wir persönlich allerdings niemanden, der, mit einer Gasmaske bewaffnet, zu Hause sitzt. Die Verkäuferin im Käseladen bei uns um die Ecke gestand mir aber, als ich dort am Freitag einkaufte, dass ihr Mann darauf bestehen würde, dass sie sich beide eine Gasmaske zulegten. Das Antibiotikum "Cipro", das bei Milzbrand helfen soll, kauften ebenfalls viele als vorbeugende Maßnahme - so berichteten es zumindest die Medien.
Ansonsten finden wir an jeder Super- oder Drogeriemarktkasse Spendenaufrufe. Das Geld kann man einfach der Kassiererin in die Hand drücken und der Supermarkt leitet es weiter, meist an das amerikanische Rote Kreuz, das einen Hilfsfond für die Opfer der Anschläge eingerichtet hat. Spenden a la USA - pragmatisch war das Land schon immer.
Etwas verwirrt beobachten wir allerdings, wie plötzlich uramerikanische Prinzipien außer Kraft gesetzt werden. So gab es einen offiziellen Rüffel vom Pressesprecher des Weißen Hauses Ari Fleischer, der sich gegen in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeiten wie Journalisten und Moderatoren von politischen Talkshows richtete, die sich kritisch zur Vorgehensweise des Weißen Hauses äußerten. Fleischer drohte, dass jeder besser aufpasse, was er sage ("...the reminder is to all Americans that they need to watch what they say..."). Und das in einem Land, in dem Redefreiheit sonst über alles geht.
Die kritischen Stimmen sind sowieso dünn gesät, was man auch daran ablesen kann, das Bush plötzlich das ganze Land hinter sich zu haben scheint und von vielen zum großartigsten Präsidenten aller gekürt wird. Das Wahldebakel und die ersten Monate seiner Amtszeit verdrängen auch seine schärfsten Kritiker zur Zeit geflissentlich. Selbst David Letterman, der das amerikanische Pendant von Harald Schmidt ist, und in seiner "Late Show" regelmässig über Bush und Giuliani, den Bürgermeister von New York, herzog, ist zum amerikanischen Vollblut-Patrioten mutiert. Als unamerikanisch lassen sich auch die Subventionen für die angeschlagene Flugindustrie und andere durch die Terrorismusanschläge betroffene Branchen beschreiben, denn sonst gilt hier der Grundsatz: der Markt regiert die Welt.
Mit Argwohn verfolgen wir die Debatte bezüglich der Gesetzesänderungen zur Bekämpfung des Terrorismus. Besonders Justizminister Ashcrofts Vorschlag, dass legale Einwanderer im nationalen Notfall -- wie zur Zeit ausgerufen -- auf unbegrenzte Zeit ohne jegliche Beweise festgehalten werden können, falls sie in irgendeiner Weise eine Bedrohung für den amerikanischen Staat darstellen, setzt die Regeln eines Rechtstaates schlichtweg außer Kraft. Gott sei Dank sehen das andere führende Politiker auch so und im Vermittlungsausschuss ist der Passus "unbestimmte Zeit" mittlerweile auf 7 Tage geschrumpft.
Diese Debatte und der in den ersten Tagen immer wieder zu hörende Vergleich, dass der Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon dem der Japaner auf Pearl Harbor im Zweiten Weltkrieg gleicht, ließ bei vielen Amerikanern japanischer Abstammung ein totgeschwiegenes Kapitel amerikanischer Geschichte wieder aufleben. Nach dem Pearl-Harbor-Angriff internierte nämlich der amerikanische Staat alle Japaner, die an der Westküste lebten über Jahre, da sie angeblich eine Bedrohung für die USA darstellten. Viele der Internierten besaßen übrigens die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Wegen der Vorfälle werden die Einwanderungsgesetze und Visabestimmungen wohl verschärft werden. Denn auch wenn sich die USA immer als das Einwanderungsland ausgibt, werden die ausländerfeindlichen Stimmen in Zeiten wie diesen besonders laut. Das ist wohl leider überall auf der Welt so.
Angelika
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