20.09.2001   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 33  
San Francisco, den 20.09.2001


Liebe Rundbrieffreunde!

Über die Anschläge auf New York und Washington habt ihr ja aus den Medien erfahren. Viele von euch haben bei uns angefragt, wie man das Ganze in Amerika erlebt. Angelika hat deshalb einige Gedanken zusammen getragen:

(Angelika) San Francisco am 11. September 2001: In Minuten kann sich alles ändern. Schon oft gehört, diese Weisheit. Dann tritt sie plötzlich ein. Soeben noch tiefschlummernd im Bett gelegen. Ein ganz normaler Tag sollte es werden: Dunkelkammer, Waschsalon, Besorgungen ... doch am frühen Morgen überrascht uns eine "Breaking News" aus New York.

Fernsehbilder wie aus einem Science-Fiction-Film. Eine Verkehrsmaschine rast direkt in einen der Türme des World Trade Centers. Zunächst denke ich: ein schrecklicher Unfall. Doch Minuten später: Ein zweites Flugzeug taucht wie aus dem Nichts auf und trifft explodierend den zweiten Turm des World Trade Centers. Schwarze Rauchwolken überall. Völlig verzweifelte Menschen springen aus den oberen Stockwerken in den Tod, um dem sich ausbreitenden Feuer zu entkommen. Die Nachrichten überschlagen sich. Das Pentagon, das amerikanische Verteidigungsministerium, ist ebenfalls durch eine abstürzende Verkehrsmaschine getroffen.

Nur Terroristen kommen in Frage, sie entführten mit Passagieren besetzte amerikanische Verkehrsflugzeuge der Fluggesellschaften American und United Airlines und missbrauchten die Maschinen in perfidester Weise als Bomben. Die amerikanische Flugsicherheitsbehörde stoppt den Flugverkehr in den gesamten USA und schließt bis auf weiteres alle Flughäfen. Es gibt kein Entrinnen. Selbst wenn wir wollten, könnten wir das Land momentan nicht verlassen.

Dann geschieht das Unfassbare. Die beiden Türme des World Trade Centers stürzen nacheinander ein und begraben unter Tonnen von Stahl tausende Opfer. Erinnerungen an den eigenen Besuch im World Trade Center flackern auf. Überall sind Trümmer zu sehen. Eine riesige graue Staubschicht, die alles apokalyptisch erscheinen lässt, legt sich über die Unglücksstelle. Unter Schock stehende Menschen irren durch die Straßen von New Yorks Downtown Manhattan. Doch das Grauen nimmt kein Ende. Eine weitere entführte United Airlines Maschine auf dem Weg von Newark nach San Francisco stürzt bei Pittsburgh, Pennsylvania ab. Man vermutet, dass sie "Camp David", den Präsidentenlandsitz, ansteuerte, ihr Ziel aber aus noch ungeklärten Gründen verfehlte.

In anderen amerikanischen Großstädten wächst die Besorgnis, dass weitere terroristische Angriffe folgen. In San Francisco wird zunächst das Rathaus aus Sicherheitsgründen geräumt. Dann schließen Kindergärten und Schulen sowie Universitäten, Büchereien und diverse andere städtische und staatliche Einrichtungen. Markante Gebäude wie der "Bank-of-America-Wolkenkratzer", die Transamerica-Pyramide verriegeln ihre Türen. Fußgänger und Fahrradfahrer verbannt man von der Golden Gate Bridge. Patroullienboote bewachen die Bay Bridge und Golden Gate Bridge vom Wasser aus. Schiffe und Frachter, die in den Hafen von Oakland ansteuern, erhalten Begleitschutz. Versperrt wird auch der Zutritt zum Pier 39 und auf die ehemalige Gefängnisinsel "Alcatraz", zwei Hochburgen des Tourismus in San Francisco. Kulturelle und sportliche Veranstaltungen werden abgesagt. Sogar einige große Einkaufszentren schließen. Unser Nachbar, der in Downtown San Francisco arbeitet, erzählt, dass die Innenstadt wie ausgestorben erscheint. Jeder will nur nach Hause.

Abbildung [2]: Jemand hat Kerzen mit Bändern in den Farben der amerikanischen Flagge an einen Zaunpfahl gebunden.

Am Nachmittag erscheinen die ersten lokalen Zeitungen mit Sonderausgaben. In unserem Viertel "Noe Valley" sitzen die Menschen wie immer vor den Cafes in der Sonne, aber es herrscht eine seltsame Stille. So als ob alles in Watte gehüllt wäre. Es gibt nur ein Gesprächsthema. Ich gehe zu unserem Zeitungsladen vor. Der Besitzer ist Palästinenser. Ich sorge mich um ihn, da schon in den ersten Stunden nach den Terroranschlägen die Zunahme von Anfeindungen gegenüber in Amerika lebenden Palästinensern befürchtet wird. Dies passierte schon nach dem Bombenattentat in Oklahoma City. Im Zeitungsladen herrscht reger Betrieb. Ich wechsele ein paar Worte mit dem Besitzer, kaufe eine Zeitung und mache mich wieder auf den Heimweg. Obwohl das Fernsehen wie hilflos nur immer wieder die gleichen Bilder zeigt und auf jedem Kanal dieselben Experten zu Wort kommen, sitzt jeder vor dem Bildschirm. Spekulationen über die Verantwortlichen für die Attentate kursieren. In den Abendstunden reden der amerikanische Präsident und auch viele Journalisten nur allzu leichtfertig von "Krieg", "Kriegsgebiet", "der erste Krieg des 21. Jahrhunderts", "mit voller Kraft zurückschlagen". Wir befürchten das Schlimmste...

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