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Angelika/Mike Schilli |
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Viele heften sich weiß-rot-blaue Schleifchen an die Pullover oder Jacken. Nun tritt der Amerikaner seiner Landesfahne allgemein recht unbefangen und unkritisch entgegen. Schon in normalen Zeiten findet man öffentliche Gebäude geradezu umhüllt vom Sternenbanner und auch in so manchem Vorgarten lässt sich die Flagge nicht nur an Feiertagen finden. Aber dieser trotzig zur Schau getragene Nationalismus ist nicht jedem geheuer. Ich fühle mich z.B. arg an üble Fahnen schwingende Zeiten in Deutschland erinnert. Vereint will Amerika jetzt auftreten, Patriot zu sein ist das Gebot der Stunde. Ein republikanisch (gemeint ist die amerikanische Partei) angehauchter Immobilienmakler aus unserem Viertel, der sich auch sonst nicht scheut, seine Überzeugungen öffentlich bekannt zu geben, fordert mit Hinweisschildern in seinem Schaufenster die Bewohner des Viertels dazu auf, die Flagge rauszuhängen.
Auch in dem als tolerant geltenden San Francisco häufen sich die verbalen und physischen Übergriffe auf muslimische, pälastinensische oder arabische (hier häufig "Arab American" genannt) Mitbürger. In der Mission (Stadtteil von San Francisco) bewarf ein Unbekannter z.B. den Eingang zu einer islamischen Einrichtung mit einem mit Blut gefüllten Beutel. Genausohäufig wie auf die amerikanische Flagge stoßen wir deshalb jetzt auf gelbe Plakate in unserem Viertel, die in den Schaufenster und Fenstern von Privatwohnungen hängen, und die Nachbarschaft zur "hate free zone" (hassfreien Zone) erklären.
Obwohl korrekt ist, dass Umfragen zufolge ca. 90% der amerikanischen Bevölkerung militärische Vergeltungsmaßnahmen auf die terroristischen Anschläge für richtig halten, kennen wir hier viele Amerikaner, die nicht zu diesen 90% gehören und äußerst besorgt sind, wie die USA reagieren wird. Die Kongressabgeordnete Barbara Lee (demokratische Partei) gehört für mich in diesen Tagen auch zu diesem anderen, auf Besonnenheit bedachten Amerika. Sie stimmte als einzige Abgeordnete gegen militärische Vergeltungsmaßnahmen (420 zu 1 Stimme). Sie zeigte sich darüber besorgt, dass eine übereilte militärische Reaktion noch nicht abzuschätzende Folgen haben und leicht außer Kontrolle geraten kann. Barbara Lee vertritt übrigens die Städte Berkeley und Oakland; beide befinden sich auf der anderen Seite der Bucht gegenüber von San Francisco.
Leider fehlt es Präsident Bush oft an dieser Besonnenheit. Abzulesen ist dies vor allen Dingen an seiner Wortwahl in den letzten Tagen. So sprach er z.B. davon die "Terroristen in ihren Löchern auszuräuchern" oder "dass er Osama bin Laden tot oder lebendig will". Mit diesen Sprüchen kommt er zwar bei einem großen Teil der amerikanischen Bevölkerung an, aber auf diplomatischer Ebene richtet er großen Schaden an.
Nervosität macht sich neben der Trauer zunehmend in San Francisco breit, denn keiner weiß, was da noch alles kommen wird. Auch die fehlenden Touristen und leeren Restaurants sprechen Bände. Vom normalen Alltag sind wir noch weit entfernt.
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