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  Rundbrief Nummer 29  
San Francisco, den 10.03.2001


Abbildung [1]: In der Küche warten Nudeln (oben) und fritiertes Brot (unten).

Man trifft sich am Morgen um 9:00 im "Wokwiz" in der Commercial Street 645 in Downtown San Francisco, zahlt den haarsträubenden Preis von $70 pro Person und isst dann praktisch ununterbrochen bis in die frühen Nachmittagsstunden. Wegen der frühen Stunde ging's natürlich mit Frühstück los und nachdem wir uns schon gefragt hatten, ob man in China nicht auch Brot und Marmelade zum Frühstück isst, bekamen wir abschlägigen Bescheid: Es gab aus Reis gefertigte Schleimsuppe mit hautigem Schweinefleisch und schwarzen Batzen drin. Superlecker! Die schwarzen Batzen stellten sich als so genannte "tausendjährige Eier" heraus. Da den Chinesen lange kein Konservierungsmittel bekannt war, nutzten sie folgendes Verfahren, um Enteneier langfristig aufzubewahren: Die mit einer Mischung aus Asche, schwarzem Tee und Zitrone einbalsamierten rohen Eier mit Schale vergruben sie in Blumenerde und holten sie nach ziemlich genau 100 Tagen wieder heraus. "Tausend Jahre alt" ist also schamlos übertrieben, aber das ist wahrscheinlich nur so eine Redensart. Das Eiweiß wird während der Lagerung ganz grau, das Eigelb dunkelgrau-grün. Diese Batzen werden dann als Spezialität mit der Reisschleimsuppe vermixt. Außerdem gab es dazu fritiertes Brot, das so ähnlich wie Donuts (Krapfen) schmeckte. Mal was anderes zum Frühstück! Die anderen Kunden im Lokal (übrigens lauter Asiaten) aßen dasselbe oder schlürften Nudelsuppen.

Abbildung [2]: Ein guter Dim-Sum-Laden.

Abbildung [3]: Im Aquarium warten die Leckerbissen.

Nächste Station: Dim Sum. Da karren Leute kleine Wägelchen mit allerlei Leckereien an den Tischen vorbei und man muss nur auf die Sachen deuten, schon bekommt man eine Portion auf den Tisch. Diese Form des frühen Mittagessens (neudeutsch: Brunch) wurde von chinesischen Geschäftsleuten etabliert, die für Geschäfte zum Morgentee zusammensaßen und, als es gen Mittag ging, Hunger auf kleine Snacks entwickelten. Angelika und ich machen das öfters am Wochenende, es gibt ein ausgezeichnetes Dim-Sum-Restaurant in San Francisco in der Battery Street, da kommt auf den Wagerln dann alles mögliche vorbei, bis zu Hühnerfüßen, mit Zehen und allem. Die mag ich aber nicht so, weil sie so gummiartig sind. Aber sonst ess' ich alles! Angeblich sollen die Dim-Sum-Läden früher den Preis des Essens nach der Anzahl der auf dem Tisch verbliebenen Teller berechnet haben. Die Saga geht nun, dass es irgendwo ein Dim-Sum-Restaurant an einem Fluss gab und die Gäste einfach heimlich die Teller in den Fluss gleiten ließen, nachdem sie die Leckerbissen verputzt hatten! Heutzutage liegt eine Rechnung auf dem Tisch, auf die die jeweilige Bedienung ein Stempelchen draufmacht oder einen Preis einträgt, wenn man ein Tellerchen vom Wägelchen haben will.

Abbildung [4]: Noch hängen die gebratenen Enten im Schaufenster.

Abbildung [5]: Die Fremdenführerin ist hineingegangen und hat sich die Ente zerteilen und einpacken lassen.

Habt ihr schon mal in Chinatown diese gebratenen Enten im Schaufenster hängen sehen? Die sind schön knusprig braun und Kopf und Füße und alles ist noch dran. Ich hatte im vorletzten Rundbrief ja schonmal geschrieben, dass ich einmal die Woche in so einen Laden gehe, um Entensuppe zu essen. Bei der Tour durften wir uns eine Ente aussuchen, dann gingen wir mit der Fremdenführerin in den Laden hinein, worauf die Ente von der Stange geholt, mit einem Beil in kleine Teile zerlegt und in eine Styroporschachtel verpackt wurde. Die Ente war so saftig, dass es nach allen Seiten gespritzt hat! Auf der Straße aßen wir dann die leckeren Bissen. Ganz schön fett, aber gut! Wir brauchten mehrere Servietten, um die Finger wieder sauber zu kriegen. Puh, jetzt ein schöner Tee gefällig?

Abbildung [6]: Die Fremdenführerin zeigt die Teezeremonie. Angelika (unten links) freut sich des Lebens.

In asiatischen Ländern trinkt man ja bekanntlich gerne grünen Tee. Der unterscheidet sich von dem schwarzen, den man im Westen üblicherweise trinkt, nur dadurch, dass die Teeblätter nicht zum Fermentieren liegengelassen, sondern vorher verarbeitet werden. Der Tee ist dann ganz grün und schmeckt für den ungewohnten Gaumen etwas nach Gras. Aber man gewöhnt sich daran, mittlerweile haben wir echt eine Präferenz für diese Teeart entwickelt. Und den Tee wirft man natürlich nicht als Teebeutel in eine Kanne heißen Wassers und schluckt ihn gierig weg, sondern man macht: die Teezeremonie.

Das ist eine alte Tradition, da setzen sich die Leute zusammen und ratschen und bereiten langsam, langsam den Tee zu. Da wird ein ganz feiner Tee ausgewählt, in ein mikroskopisch kleines Kännchen gefüllt, heißes aber nicht kochendes Wasser draufgegossen, 30 Sekunden ziehen gelassen und der fertige Tee in die Tassen gekippt. "Tassen" ist jetzt übertrieben, die sind gerade mal ein bißchen größer als ein Fingerhut. Und die erste Runde Tee wird nur eingefüllt, um die Tassen zu erwärmen, denn sofort anschließend wird die erste Fuhre weggekippt! Die zweite Fuhre trinkt man dann. Die Tassen haben übrigens keinen Henkel, denn man soll beim Halten der Tasse mit den Fingerspitzen feststellen können, ob der Tee die richtige Trinktemperatur hat und nicht etwa zu heiß ist.

Abbildung [7]: Im Teeladen läuft das Geschäft.

Abbildung [8]: Bis zu 120 Dollar kostet ein Pfund vom feinsten Tee.

Wir deckten uns im Teeladen gleich mit entsprechendem Material ein, wobei wir nicht den teuersten Tee kaufen konnten, denn der kostete 120 Dollar pro Pfund! Da muss man wohl jahrelang Tee trinken, um diesen Unterschied noch rauszuschmecken. Auch allerhand medizinisches Zeug kann man in Chinatown pfundweise kaufen: Ginsengwurzeln, Haifischflossen, alles und jedes hat seine Bedeutung in der chinesischen Medizin. Angelika kannte mal einen, der ging immer zu einem Doktor nach Chinatown, der dann alles mögliche Zeugs verschrieb. Und es half angeblich bestens!

Abbildung [9]: Die Fremdenführerin erklärt die Vorzüge der Ginseng-Wurzel.

Zum Mittagessen ging's dann in noch in ein chinesisches Restaurant, wir waren aber schon fast pappsatt und heilfroh, dass dies die Führung abschloss. Urige chinesische Restaurants führen in den USA übrigens zwei verschiedene Speisekarten: eine englische und eine chinesische. Mit dem Zirkel der Leute, mit denen ich bei Netscape öfter Mittag esse, fanden wir anhand kantonesisch sprechender Kollegen heraus, dass die chinesische Karte keineswegs nur eine Übersetzung der englischen ist, sondern eigene Gerichte anpreist! Im Fall des Restaurants in Mountain View stellten wir fest, dass es dort tatsächlich ein Gericht aus Schlangenfleisch gab! Wir munkelten, was das wohl für eine Schlange sei und ein Scherzkeks in der Gruppe meinte, dass das wohl der "Catch of the day" (Fang des Tages) sei.

Nochmal zur Chinatown-Tour: Das Schönste daran war freilich, dass wir hemmungslos fotografieren konnten. Das wird in Chinatown üblicherweise nicht so gern gesehen, aber in einer Reisegruppe ist man halt nur ein depperter Touri, den man gewähren lässt, weil der's eh nicht verstehen würde, wenn man ihm erklärte, was einen daran stört. "Hä? Verstehnix!". Haha, da zahl' ich gerne siebzig Dollar!

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