Angelika/Mike Schilli |
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Hallo, ihr Lieben!
(Angelika) Sicherlich wartet ihr schon sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen von mir bzw. uns. Da vielen der Rundbrief zu Weihnachten so gut gefallen hat und es sehr viel von hier zu berichten gibt, habe ich mich entschieden, einen zweiten Rundbrief zu schreiben, der euch mit Informationen über meine ersten Eindrücke versorgen soll. Dann kann es ja losgehen:
(Angelika) Am 30.12.1996 bin ich auf dem Flughafen in San Francisco gelandet. Michael und unsere Freunde Sylvia und Richard haben mich dort gebührend empfangen. Da ich abends angekommen bin, konnte ich zunächst nur die Lichter der Stadt bewundern. Sehr gespannt war ich natürlich auf unsere Wohnung, und ich muss sagen, dass ich nicht enttäuscht worden bin. Trotz der nur zwei Zimmer ist die Wohnung für uns beide geräumig genug, da wir ja nicht viele Möbel verschifft haben. Ich denke, wir werden es uns recht gemütlich machen. Ein Futon-Sofa haben wir uns schon gekauft. Das Sofa kann man gleichzeitig als Gästebett benutzen: Ihr seht, wir denken praktisch.
Unsere Küche ist -- wie Michael ja schon beschrieben hat -- amerikanisch-hässlich. Am meisten fasziniert mich der übergroße Herd und Kühlschrank. Lustig sind auch die obligatorischen Feuerleitern, die man im Sommer sicher zum Balkon zweckentfremden kann. Der Blick aus unserem Fenster ist einfach fantastisch. Wir sehen Palmen, viktorianische Häuser, die Skyline von San Francisco und an sonnigen Tagen können wir sogar die Bucht sehen und die Schiffe, die darauf herumschippern
(AVI Video).
In unserem Haus wohnen sieben Parteien, zumeist junge Leute, die alle sehr nett sind. Das Haus selbst gehört einem Chinesen, der aber nicht in Erscheinung tritt; er lässt alles über sein Marklerbüro abwickeln. Das Haus selber erinnert mich sehr an meine Behausungen während meiner Studienzeit in Münster. Das Stadtviertel, in dem wir wohnen, heißt Noe Valley und ist wirklich eines der schönsten Viertel in San Francisco, da es fast nur aus viktorianischen Häusern besteht. Die 24te Straße, die direkt vor unserer Haustür ist, hat lauter nette kleine Geschäfte (Boutiquen, Blumenläden, einen tollen Schreibwarenladen, einen Supermarkt, der täglich bis 24 Uhr geöffnet hat, eine Post usw.). Toll ist auch, dass es viele kleine Cafes und sehr gute Restaurants gibt. Michael und ich probieren diese so nach und nach aus, was sehr viel Spaß macht.
Übrigens vergaß ich zu erwähnen, dass sich schräg gegenüber von unserer Wohnung ein Waschsalon befindet, den wir fleißig frequentieren, da wir weder eine Waschmaschine in der Wohnung noch im Keller des Hauses haben. Meine Freundin Sylvia sagte mir, dass es ganz üblich ist, in den Waschsalon zu gehen, wenn man in einer Mietwohnung wohnt. Ich denke, dass auch wir uns zunächst keine Waschmaschine kaufen werden, zumal es immer höchst spannend ist, die Menschen zu beobachten, die den Waschsalon besuchen. Leider befindet sich auch keine Geschirrspülmaschine in unserer Wohnung. Normalerweise ist es in Amerika üblich, dass die eingebaute Küche mit Spülmaschine und Mikrowelle ausgestattet ist. Da unser Haus aber schon recht alt ist, mussten wir auf diesen Luxus verzichten. Wer Michael und mich gut kennt, weiß , wie ungerne wir beiden abwaschen und dass wir sicherlich nicht lange ohne Geschirrspülmaschine sein werden. Zur Zeit bewältigen wir den Abwasch noch ganz gut, da wir nur ganz wenig Geschirr haben, was wir uns von Sylvia ausgeliehen haben. Unser Container ist nämlich leider noch nicht in den USA angekommen. So hat uns Sylvia zunächst mit dem Notwendigsten versorgt: Tisch, Stühle und Bett.
Ich hoffe, dass meine Schilderung euch jetzt nicht davon abhält, uns zu besuchen. Keine Angst, Michael zeichnet die wüsten Viertel immer gleich in unseren Stadtplan ein und ich schwöre, dass noch genug Viertel übrig bleiben, die nicht markiert werden müssen, also sicher sind.
Was uns beide schon sehr erschüttert, ist das soziale Elend, was einem auf Schritt und Tritt begegnet, wenn man in San Francisco unterwegs ist. So gibt es sehr, sehr viele bettelnde Obdachlose. Geht man unter einer Brücke durch, findet man immer zwei bis drei Obdachlose, die dort schlafen oder Schutz vor dem Wetter suchen. Besonders problematisch ist, dass zur Zeit die Bedingungen für die Sozialhilfe verschlechtert werden. Geplant ist, dass man nur noch zwei Jahre Sozialhilfe bekommen soll. Hat man in oder nach diesen zwei Jahren keine Arbeit gefunden, bekommt man auch die Sozialhilfe gestrichen. Es sollen zwar Hilfsprogramme eingeführt werden, damit der Sozialhilfeempfänger leichter Arbeit findet, die liberaleren Zeitungen diskutieren dies aber sehr kritisch, weil sie meinen, dass diese Hilfsprogramme nicht ausreichen. Liest man die einschlägigen Zeitungen aufmerksam, wird dort immer wieder diskutiert, dass die schlechte soziale Absicherung verantwortlich ist für das Steigen der Gewalt, der Kriminalität, die teilweise schlechte Schulbildung, vor allen Dingen an den öffentlichen Schulen usw.; richtige Proteste in der Bevölkerung gibt es aber nicht. Das alte Vorurteil über Amerika hat also tatsächlich auch weiterhin Gültigkeit: "Bist du gesund, jung, weiß und risikofreudig, kannst du in Amerika alles erreichen. Bist du arm, krank, schwarz oder alt, solltest du lieber nicht in Amerika leben."
Ich hoffe, dass ich jetzt nicht zu sehr Horrorszenarien aufgezeigt habe, aber ich denke, dass euch ein realistisches Amerikabild interessiert. Überhaupt ist es ganz anders, wenn man in dem Land lebt oder es als Tourist bereist. Auch als Tourist sieht man das soziale Elend und die soziale Ungerechtigkeit, man ist aber doch ganz anders betroffen und involviert, wenn man in dem Land lebt.
Den kalifornischen Führerschein müssen übrigens nicht nur die Ausländer machen, sondern auch die Amerikaner, die aus einem anderen Bundesstaat kommen und nach Kalifornien ziehen. Den Amerikanern wird aber in der Regel die praktische Prüfung erlassen. Wer von euch nun meint, dass die Prüfung superleicht ist, hat sich leider getäuscht. Ich musste für die theoretische Prüfung richtig lernen, und auch bei der praktischen Prüfung muss man in Kalifornien nicht einfach einmal auf dem Parkplatz auf- und abfahren, sondern eine richtige Prüfung absolvieren. Michael musste sogar in drei Zügen auf der Straße wenden. Damit ihr eine Ahnunug davon bekommt, wie meine theoretische Prüfung war, hier eine Auswahl von Fragen (ich habe den Fragebogen mitbekommen):
1. Sie fahren ein langsames Fahrzeug auf einer kurvenreichen Straße mit nur einer Fahrspur in der jeweiligen Fahrtrichtung. Sie müssen zur Seite fahren und halten, wenn es sicher ist, und Sie müssen die anderen Fahrer vorbeifahren lassen, wenn Ihnen eine bestimmte Anzahl von Fahrzeugen folgt:
+ 3 Fahrzeuge + 4 Fahrzeuge + 5 Fahrzeuge
2. Wenn Sie zu einer Ecke kommen (gemeint ist eine Kreuzung), wo ein gelbes Licht blinkt, müssen Sie:
+ Anhalten, bevor Sie die Kreuzung überqueren. + Auf das grüne Licht warten. + Ihre Geschwindigkeit vermindern und vorsichtig die Kreuzung überqueren.
Na, hättet ihr die Antworten gewusst? Der Test war übrigens auf Deutsch. Die theoretische Prüfung kann man wirklich in allen Sprachen dieser Welt machen. In San Francisco trifft man übrigens sehr häufig auf Menschen, die hier leben und trotzdem kaum die englische Sprache beherrschen. Der Nachbarstadtteil bei uns heißt z.B. "Mission" und besteht fast nur aus spanisch sprechenden Einwanderern. Geht man dort in ein Restaurant, kann es einem durchaus passieren, dass man auf Spanisch bestellen muss.
Ich mache in diesem Stadtteil übrigens seit 21.01. einen Englischkurs, der "English as a second language" heißt. Die Kurse werden beim City College angeboten. Man muss sich das City College ungefähr wie unsere Volkshochschule vorstellen. Anders ist allerdings, dass man auch ganze Ausbildungen (z.B. Krankenschwester) machen kann. Die Kurse "English as a second language" sind gebührenfrei. Um diese besuchen zu dürfen, muss man zunächst einen Einstufungstest machen. Diesen Test zu machen, war für mich ein echtes Erlebnis. Es haben mit mir zusammen ca. 30 Personen an dem Test teilgenommen. Von diesen 30 Personen sprachen ungefähr 25 spanisch, deshalb wurden die Erklärungen für den Test ins Spanische übersetzt. Leider vergaß der Lehrer ab und zu, dass auch fünf der Leute im Raum kein Wort Spanisch verstehen konnten. So mussten wir hin und wieder um die englische Erklärung bitten. Viele der Teilnehmer lebten übrigens schon mehr als fünf Jahre in den USA und konnten wirklich kaum Englisch. Der Test war dann ein sogenannter "Reading Test", d.h. man musste sich eine Geschichte durchlesen und dabei einen Lückentext schriftlich ergänzen, getestet wurde also das Verständnis und die Grammatik. Zunächst erhielt man einen relativ leichten Test. War man in diesem zu gut, musste man einen zweiten schwereren Test machen. Ich habe sehr gut abgeschlossen (Level 8 konnte man erreichen und auf Level 8 bin ich gekommen; protz!) und gemerkt, dass unsere Schulbildung vielleicht doch nicht so schlecht ist. Da ich Level 8 erreicht habe, darf ich jetzt jeden beliebigen Kurs am City College belegen; also theoretisch auch den Krankenschwesternkurs.
Ich bleibe aber trotzdem bei meinem Englischkurs. Für Level 7/8 wird ein Intensivkurs angeboten, der von Montag bis Freitag jeweils für zwei Stunden geht. Der Kurs ist zunächst ein Semester lang (von Januar bis Mai). Und so gehe ich jetzt jeden Tag in meinen Kurs. Das ist echt ganz witzig. In meiner Klasse sind ca. 24 Leute aus allen Ländern dieser Erde (vorwiegend Mexico und El Salvador). Wir arbeiten mit einem richtigem Lehrbuch und müssen teilweise sogar Hausaufgaben machen. Das ist richtig wie in der Schule. Aber ich lerne viel und komme unter Leute.
Ja, und was machen wir an den Wochenenden? Ich muss sagen, da sind wir ständig unterwegs. Entweder wir schauen uns San Francisco an oder wir erkunden die nähere Umgebung. So waren wir ein Wochenende mit Sylvia und Richard im Napa Valley und haben einige Weinproben gemacht, ein anderes Wochenende sind wir den Highway 1 am Ozean entlang gefahren und haben die phantastischen Ausblicke genossen. Da wir noch kein eigenes Auto besitzen, mieten wir uns für diese Unternehmungen meist eines, da das Auto mieten in Amerika ja nicht so teuer ist. Man kann hier wirklich unendlich viel machen, und es macht uns sehr viel Spaß am Wochenende auf Entdeckungsreise zu gehen. Am meisten liebe ich den Ozean und ich kann es immer noch nicht fassen, dass er jetzt praktisch vor unserer Haustür liegt.
Was mir fehlt, ist die Arbeit mit den Kindern und auch, wenn ich mich hier freiwillig sozial engagieren kann, so wird dies doch nicht mit meiner Arbeit im Domus zu vergleichen sein.
Also, ihr Daheimgebliebenen, denkt mal an uns und schreibt mal, denn auch wenn San Francisco sehr reizvoll und aufregend ist, so überkommt uns (vor allen Dingen mich) doch öfter das Heimweh.
Alles Liebe!
Angelika und Michael
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