Angelika/Mike Schilli |
|
Zu Besuch in Vancouver, Kanada
Kunterbuntes Leben
Platte des Monats
Don't call it Frisco
Autos in Kalifornien
Top-Produkt: "Goo Gone"
San Francisco Ansichten: Noe Valley
|
Angelika: Ihr wisst es längst: Das Stadviertel, in dem wir wohnen, heißt Noe Valley und gehört mittlerweile zu einem der beliebtesten Wohnviertel in San Francisco. Und obwohl wir es immer einmal wieder in einem unserer Rundbriefe erwähnt haben und jeder etwas bessere Reiseführer es mittlerweile als sehenswert auflistet, wollen wir euch die ein oder andere Sache verraten, die hoffentlich noch nicht im "Lonely Planet" steht.
San Francisco ist bekannt für seine einzigartigen Stadtviertel. Noe Valley ist da keine Ausnahme. Die Beliebtheit des Viertels lässt sich auch an den Häuserpreisen ablesen. Laut unser Stadtteilzeitung "Noe Valley Voice" betrug der Durchschnittspreis für ein Einfamilienhaus im April 2005 schlappe $1.188.625. Für eine Zweizimmerwohnung (1-bedroom) zahlte man im Mai 2005 durchschnittlich $1.489 Miete, Dreizimmerwohnungen (2-bedrooms) beliefen sich auf $2.286.
Auf den ersten Blick fallen die vielen viktorianischen Holzhäuser auf, denn das große Erdbeben von 1906 verschonte Noe Valley: Das Viertel steht nämlich auf felsigem Untergrund und die Feuer nach dem Beben konnten gestoppt werden, bevor sie Noe Valley erreichten. Ein einsamer Feuerhydrant auf der Church St. und 20th St. lieferte das lebensrettende Wasser und wurde deshalb golden angestrichen. Auch mit viel Sonne sind wir gesegnet, denn der Nebel wird von den Twin-Peaks-Hügeln abgehalten. Noe Valley befindet sich geografisch in guter und interessanter Gesellschaft, liegt es doch zwischen der Mission, dem südamerikanischen Viertel, und dem Castro, der Hochburg der Schwulenbewegung.
Was wir am meisten an diesem Viertel neben den unzähligen Restaurants, den kleinen Geschäften und der guten öffentlichen Verkehrsanbindung schätzen, ist die heimelige, familiäre Atmosphäre mit internationalem Flair und fast ohne amerikanischen Einheitsbrei (einen "Starbucks" gibt es natürlich leider schon - seufz). Gehen wir z.B. in Michaels Lieblingsrestaurant "Savor" auf der 24th St., dessen Markenzeichen herzhafte und süße Crepes sind, begrüsst uns einer der Ober wie alte Bekannte.
Auch mit dem Besitzer des thailändischen Restaurants "Swatdee Thai" halten wir immer erst ein Schwätzchen über Gott und die Welt. Im "Hamano", eines unserer japanischen Lieblingsrestaurants, das auf der Castro St. liegt, gelang es mir doch tatsächlich einmal, einen Tisch für vier Personen in Windeseile zu ergattern, trotz der langen Schlange der Leute vor uns, was eine Wartezeit von mindestens einer Stunde bedeutet hätte. Der Inhaber erkannte seine treuen Kunden aus der Nachbarschaft und ließ uns den Vortritt. Leider hat er mittlerweile sein Restaurant verkauft, aber der Laden läuft unter neuem Management weiter.
Die Stimmung des Viertels fängt man am besten bei "Martha's" ein: Hier gibt es nicht nur guten Kaffee, sondern die Kunden lümmeln philosophierend auf Stühlen und Bänken vor dem Cafe in der Sonne herum. "Martha's" ist übrigens immer noch in Familienbesitz. Es gibt mittlerweile allerdings mehrere Filialen in San Francisco. Aber die aus Nicaragua stammende Martha eröffnete ihr erstes Kaffegeschäft 1987 auf der 24th St. in Noe Valley und Kaffeeliebhaber wie ich, die täglich ihre Ladung Koffein brauchen, treffen hin und wieder auch auf die leibhaftige Martha in ihrem Laden.
Ein für amerikanische Verhältnisse exotisches Geschäft versteckt sich hinter dem Käseladen "24th Street Cheese Company", in dem der Käsefreund ein Angebot an Käse ganz in der europäischen Tradition findet. Das Phänomen, dass es in vielen Gegenden Amerikas nur abgepackten "Cheddar"-Käse und vielleicht noch einen Camenbert gibt, faszinierte mich schon von jeher, denn an milchgebenden Kühen mangelt es hier ja nicht. Der Besitzer des Käseladens ist lustigerweise Asiate. Er ist immer furchtbar entnervt, wenn amerikanische Touristen aus käsefremden Gegenden in den von Reiseführern empfohlenen Laden kommen und dann ohne etwas zu kaufen wieder abziehen. Käse liegt aber eindeutig im Trend, zumindest in San Francisco und Umgebung. Nördlich von San Francisco gibt es mittlerweile mehrere kleine Käsereien (z.B. um die Gegend von Point Reyes). Die Preise für Käse sind allerdings immer noch zum Weinen.
Apropos Kühe: in Noe Valley grasten sie einmal, denn das Land gehörte zur Farm "Rancho de San Miguel" und lag anno dazumal vor den Toren der Stadt. Der Besitzer hatte den wohlklingenden Namen Jose de Jesus Noe. Noe spricht sich übrigens No-ii. Kurzfristig hieß Noe Valley dann auch "Horner's Addition", denn 1852 kaufte John Horner dem Herrn Noe Teile der Farm ab und begann, fleißig Häuser zu bauen. Der Boom stellte sich allerdings erst ein, als 1887 das Cable Car von der Market/Castro St. zur steilen 26th St. fuhr. Heute fährt dort ein Bus, das Cable-Car fährt woanders.
Im späten 19. Jahrhundert kamen die Immigranten, hauptsächlich aus Irland, Deutschland und Italien. Das Viertel entwickelte sich zum traditionellen Arbeiterviertel. Viele Deutsche arbeiteten in Fleischereien, das wissen die Alteingessenen des Viertels heute noch zu berichteten. Die irischen Kneipe "The Dubliner" und der deutsche Laden "Lehr's" in Noe Valley zeugen von diesen Wurzeln.
"Tuggey's Hardware", also ein Laden, der alle möglichen Werkzeuge und Schrauben verkauft, existiert z.B. schon seit 1900. Und bei uns im Haus wohnen einige Leute schon seit über 30 Jahren. "Rent Control" macht es möglich (Rundbrief 08/2000). Der repulikanische Immobilienmakler auf der 24th St. beglückt das Viertel seit über 50 Jahren mit seinen konservativen Ansichten.
Als die Internetfirmen vor einigen Jahren boomten, strömten viele Dot-Commer nach Noe Valley, denn die konnten sich mit ihren hohen Gehältern und ihren Aktienoptionen plötzlich alles erlauben und trieben die Preise im Viertel noch mehr in die Höhe. Das geschah sehr zum Leidwesen der Bewohner, die schon seit Jahrzehnten in Noe Valley ansässig sind. Seit dem Platzen der Blase hat sich alles wieder ein wenig beruhigt.
Ansonsten weht ein liberaler Geist durchs Viertel und die Leute sind politisch und sozial engagiert. Als zum Beispiel unser ökologischer Supermarkt "Real Foods" von einer Firma in Utah übernommen wurde und im Herbst 2003 plötzlich alle Mitarbeiter rausschmiss, hagelte es Proteste. Offizielle Begründung: Renovierungsarbeiten im Geschäft stehen an. Vermuteter wirklicher Grund: Die Mitarbeiter wollten sich gewerkschaftlich zusammen schließen. Fast zwei Jahre später hat sich bezüglich Umbauarbeiten immer noch nichts getan, aber die sehr aktive Bürgergruppe "Friends of Noe Valley" stellte einen Wochenmarkt auf die Beine, der jeden Samstag von 8 bis 12 Uhr stattfindet, damit die Leute im Viertel auch weiterhin Biogemüse und -obst kaufen können.
Oder als dem unabhängigen Buchladen "Cover to Cover" im Sommer 2003 wegen Finanzschwierigkeiten die Schließung drohte, halfen ihm begeisterte Noe-Valley- Buchliebhaber wieder auf die Beine, indem ein kleinerer, mietgünstigerer Laden im Viertel gefunden wurde. Treue Kunden verpflichteten sich, jeden Monat für $25 im Laden einzukaufen. 40 Leute legten zusammen und stellten ein Darlehen in Höhe von insgesamt $200.000 zur Verfügung, um ausstehende Kredite abzuzahlen und den Laden wieder aufzustocken. Das hättet ihr nicht gedacht, dass es so etwas im kapitalistischen Amerika gibt.
Lustigerweise war es mehr oder weniger Zufall, dass wir uns damals in diesem Viertel niedergelassen haben. Wir kannten damals Noe Valley überhaupt nicht. Michael wollte aber in einem hügeligen Viertel leben, das ihn an die Serie "Die Straßen von San Francisco" erinnerte. Den "Straßen von San Francisco" sei gedankt.
Grüße aus "Noe":
Angelika und Michael
|
|
|
|
|
Rundbriefe 1996-2016 als PDF:
Jetzt als kostenloses PDF
zum Download.
Spezialthemen: