01.12.2013   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 104  
San Francisco, den 01.12.2013


Abbildung [1]: Die Supermarktkette Whole Foods lässt sich in San Francisco bevorzugt in der Nähe hässlicher Neubauten nieder.

Angelika Als ich im mich im zarten Teenageralter befand, war ich absolut fasziniert von dem Werk "Hier fällt ein Haus, dort steht ein Kran und ewig droht der Baggerzahn oder Die Veränderung der Stadt" von Jörg Müller und Heinz Ledergerber. Es handelt sich dabei um Illustrationen, die die erschreckende Veränderung einer Stadt zeigen. Ja, ich hatte die Bilder sogar alle über meinem Bett hängen. Es wird immer der gleiche Abschnitt einer Stadt gezeigt mit den zunächst schleichenden Veränderungen, bis zum Schluss alles hässlich zubetoniert ist. Auf Youtube könnt ihr euch eine kleine Kostprobe von "Die Veränderung der Stadt" anschauen, damit ihr wisst wovon ich spreche.

Wenn ich in letzter Zeit in San Francisco unterwegs bin, fühle ich mich ständig an die Illustrationen erinnert und es schaudert mir. In San Francisco ist ein wahrer Bauboom ausgebrochen und man könnte meinen, dass die Architekten alle an dem Wettbewerb teilgenommen haben "Wie baue ich möglichst langweilige, genau gleich aussehende Betonbunker, die horrende Summen von Geld kosten." Vor allem bestimmte Abschnitte der Market Street befinden sich völlig im Umbruch. Die Market Street zieht sich leicht diagonal laufend vom Embarcadero am Wasser durch die Innenstadt, später durchs Castro-Viertel und endet in der sogenannten Twin-Peaks-Gegend.

Obwohl die Market Street die Hauptverkehrsader der Innenstadt ist, gibt es Ecken, die schon von jeher ziemlich runtergekommen ausschauen. Vor allem der Abschnitt zwischen Civic Center, also dort, wo sich in San Francisco das Rathaus befindet, bis kurz vor der Powell Street, wo das Cable Car fährt, ist etwas gewöhnungsbedürftig. Obdachlose, Pornokinos und etwas zwielichtig anmutende Geschäfte dominierten bis vor kurzem noch. Schon seit wir hier wohnen gibt es Pläne, gerade diesen Bereich zu verschönern und aufzuräumen. Zunächst fing alles ganz vielversprechend an. Teile der Market Street wurden 2009 verkehrsberuhigt und um Fahrradspuren erweitert, aber seit dem wird ein Glasbunker nach dem anderen hochgezogen und der Charme vieler Ecken San Franciscos geht immer mehr verloren.

Abbildung [2]: Schon wieder ein Whole Foods in einem hässlichen Neubau.

Es ist auch richtig, dass San Francisco dringend Wohnungen braucht, aber diese abgrundhässlichen Luxusbunker, die an Hoteltürme erinnern, kosten so viel Miete, dass sich die Wohnungen nur eine ganz bestimmte Bevölkerungsgruppe leisten kann, nämlich die Hipsters und Techies, die in den unterschiedlichsten Firmen im Silicon Valley arbeiten. In dieser etwa 40km südlich von San Francisco gelegenen und mit Internetfirmen geplasterten Gegend wollen viele nicht wohnen, da sich dort ein gesichtsloser Ort an den anderen reiht, zwischen Einkaufszentren, eintönigen Wohnkomplexen und Autobahnen.

Viele in San Francisco verfluchen deshalb das sogenannte Google-Bus-Syndrom. Wie Michael schon einmal im Rundbrief berichtet hat, bieten große Firmen im Silicon Valley ihren Mitarbeitern die eine oder andere Annehmlichkeit. So transportieren von den Firmen wie Yahoo, Google, Apple, Genentech beauftragte Reisebusse täglich ihre Mitarbeiter, die in San Francisco wohnen, morgens zum Arbeitsplatz im Silicon Valley und abends wieder zurück (Rundbrief 04/2007). Der Mitarbeiter muss sich also nicht selbst ans Steuer setzen und kann, während er im Bus sitzt, schon am Laptop klimpern und das Arbeiten anfangen. An sich ist das ja eine löbliche und unweltfreundliche Idee, denn in den Bus passen halt viel mehr Leute als in ein einzelnes Auto. Bloß treiben diese Busse in San Francisco die Mieten in die Höhe, besonders in den Vierteln, in denen die Busse halten, denn es gibt nichts Besseres, als aus der Hautür zu fallen, in den Google- oder Yahoobus zu steigen und sich gemütlich zur Arbeit fahren zu lassen.

Abbildung [3]: Traditionelles San Francisco: So sah's hier aus, wir vor 16 Jahren hierher gezogen sind.

Abbildung [4]: Neubau in der Duboce-Street: Wieder das gleiche Architektur-Einerlei.

Allgemein sind die Mieten in San Francisco im Vergleich zum letzten Jahr um circa 20% gestiegen. In einem der von mir oben erwähnten bezugsfertigen Wohnkomplexe an der Market Street/Ecke Dolores Street kostet ein Studio (also ein Einzimmer-Appartment mit eingebauter Küchenzeile) zum Beispiel fast $3.000 Miete monatlich und eine Zweizimmerwohung (in den USA als "1 Bedroom Appartment" definiert) $3.500. Eine Dreizimmerwohung kostet zwischen $3800 und $5.000 und eine Vierzimmerwohnung schlappe $8.000 monatlich. Stadtweit kostet eine Dreizimmerwohnung im Durchschnitt momentan $3.400. Das verändert das Stadtbild sehr, denn immer mehr Leute, die eigentlich standardmäßig zur Mittelklasse gehören, können sich San Francisco einfach nicht mehr leisten und müssen wegziehen. Gerade Familien kehren San Francisco den Rücken. Mittlerweile erhöht sich aber der Druck auf den Bürgermeister und die Stadtabgeordneten, denn keiner will in einer Stadt leben, in der es weder Kinder noch Alte noch Leute mit Berufen gibt, die die Versorgung einer Stadt aufrecht erhalten (wie zum Beispiel Feuerwehrleute, Polizisten, Krankenschwestern, Lehrer, Verkäufer, Müllmänner), Für diese ist San Francisco unerschwinglich geworden.

Abbildung [5]: Im Dogpatch-Viertel: Neubauten sehen mittlerweile alle gleich aus.

Die Stadt zwingt Bauherren sogar, 12% der neu errichten Wohnungen als Sozialwohnungen zu erschwinglichen Mieten anzubieten. Dabei kann der Bauherr die Wohnungen selbst bauen oder eine Gebühr an die Stadt zahlen, die das Geld nutzt, um selbst diese Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile hat sich eine Summe von fast 21 Millionen Dollar bei der Stadt angehäuft, aber es reicht halt nicht, das Geld einzusammeln und dann rumliegen zu lassen. Ich könnte mir mit meinem Gehalt mittlerweile kaum eine Wohnung allein in San Francisco leisten, obwohl ich Vollzeit arbeite. Viele meiner Kolleginnen wohnen deshalb entweder nach wie vor zu Hause bei den Eltern oder in Wohngemeinschaften.

PDF Drucken
RSS Feed
Mailing Liste
Impressum
Mike Schilli Monologues


Auf die Email-Liste setzen

Der Rundbrief erscheint in unregelmäßigen Abständen. Wer möchte, kann sich hier eintragen und erhält dann alle zwei Monate eine kurze Ankündigung per Email. Sonst werden keine Emails verschickt.

Ihre Email-Adresse


Ihre Email-Adresse ist hier sicher. Die Rundbrief-Redaktion garantiert, die angegebene Email-Adresse nicht zu veröffentlichen und zu keinem anderen Zweck zu verwenden. Die Mailingliste läuft auf dem Google-Groups-Service, der sich ebenfalls an diese Richtlinien hält. Details können hier eingesehen werden.
Alle Rundbriefe:
2024 153 154 155
2023 148 149 150 151 152
2022 143 144 145 146 147
2021 138 139 140 141 142
2020 133 134 135 136 137
2019 129 130 131 132
2018 125 126 127 128
2017 120 121 122 123 124
2016 115 116 117 118 119
2015 111 112 113 114
2014 106 107 108 109 110
2013 101 102 103 104 105
2012 96 97 98 99 100
2011 91 92 93 94 95
2010 85 86 87 88 89 90
2009 79 80 81 82 83 84
2008 73 74 75 76 77 78
2007 66 67 68 69 70 71 72
2006 59 60 61 62 63 64 65
2005 54 55 56 57 58
2004 49 50 51 52 53
2003 43 44 45 46 47 48
2002 36 37 38 39 40 41 42
2001 28 29 30 31 32 33 34 35
2000 20 21 22 23 24 25 26 27
1999 13 14 15 16 17 18 19
1998 7 8 9 10 11 12
1997 1 2 3 4 5 6
1996 0

Rundbriefe 1996-2016 als PDF:
Jetzt als kostenloses PDF zum Download.

Spezialthemen:
USA: Schulsystem-1, Schulsystem-2, Redefreiheit, Waffenrecht-1, Waffenrecht-2, Krankenkasse-1, Krankenkasse-2, Medicare, Rente, Steuern, Jury-System, Baseball, Judentum
Immigration: Visa/USA, Warten auf die Greencard, Wie kriegt man die Greencard, Endlich die Greencard, Arbeitserlaubnis
Touren: Alaska, Vancouver/Kanada, Tijuana/Mexiko, Tokio/Japan, Las Vegas-1, Las Vegas-2, Kauai/Hawaii, Shelter Cove, Molokai/Hawaii, Joshua Nationalpark, Tahiti, Lassen Nationalpark, Big Island/Hawaii-1, Big Island/Hawaii-2, Death Valley, Vichy Springs, Lanai/Hawaii, Oahu/Hawaii-1, Oahu/Hawaii-2, Zion Nationalpark, Lost Coast
Tips/Tricks: Im Restaurant bezahlen, Telefonieren, Führerschein, Nummernschild, Wohnung mieten, Konto/Schecks/Geldautomaten, Auto mieten, Goodwill, Autounfall, Credit Report, Umziehen, Jobwechsel, Smog Check
Fernsehen: Survivor, The Shield, Curb your Enthusiasm, Hogan's Heroes, Queer Eye for the Straigth Guy, Mythbusters, The Apprentice, The Daily Show, Seinfeld
Silicon Valley: Netscape-1, Netscape-2, Netscape-3, Yahoo!
San Francisco: SoMa, Mission, Japantown, Chinatown, Noe Valley, Bernal Heights
Privates: Rundbrief-Redaktion
 

Kommentar an usarundbrief.com senden
Lob, Kritik oder Anregungen? Über ein paar Zeilen freuen wir uns immer.

In der Textbox können Sie uns eine Nachricht hinterlassen. Wir beantworten jede Frage und jeden Kommentar, wenn Sie ihre Email-Adresse in das Email-Feld eintragen.

Falls Sie anonym bleiben möchten, füllen Sie das Email-Feld bitte mit dem Wort anonym aus, dann wird die Nachricht dennoch an uns abgeschickt.

Ihre Email-Adresse


Nachricht

 
Impressum
Letzte Änderung: 20-Sep-2014