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  Rundbrief Nummer 76  
San Francisco, den 23.09.2008


Abbildung [1]: In den Achtzigern wird das Telefonmonopol von AT&T in die "Baby Bells" zerschlagen.

Michael Die Geschichte der Telefongesellschaften reicht in Amerika bis ins Jahr 1875 zurück, als Alexander Graham Bell die "Bell Telephone Company" gründete, aus der später "Bell Systems" wurde. Für Ferngespräche über Bundesstaatsgrenzen hinweg (Long Distance) kam zehn Jahre später die Firma AT&T auf den Markt und schluckte Bell Systems im Jahre 1899. Beinahe hundert Jahre lang betrieb AT&T ein staatlich reguliertes Monopol, bis im Jahre 1984 ein Richter in einem Kartellverfahren entschied, dass der Koloss in die später sogenannten "Baby Bells" (Abbildung 1) aufzuteilen sei. Sie hießen "Pacific Bell", "Southwestern Bell", "US West", "Ameritech", "BellSouth", "Bell Atlantic" und "NYNEX". Die 50 Bundesstaaten wurden in sieben Bereiche aufgeteilt, in denen sich jeweils eines der neuen Kinder niederließ, um sich dort exklusiv um das Telefongeschäft zu kümmern.

Die Mutter AT&T blieb weiterhin im Ferngesprächsgeschäft und die Babys widmeten sich der lokalen Telefonie. 1996 entschied sich allerdings im "Telecommunications Deregulation Act", dass sich auch die Babys im Long-Distance-Geschäft engagieren durften.

Als wir 1996 nach Kalifornien zogen, hatten wir eine lokale Telefongesellschaft namens "Pac Bell", bei der wir etwa $20 im Monat für einen Telefonanschluss latzten. Damit waren Ortsgespräche ("Local Calls") bereits eingeschlossen, und für "Local Toll Calls", also Gespräche in der näheren Umgebung, berappten wir pro Minute einige Cents an Pac Bell.

Für Ferngespräche (long distance calls) konnten wir uns zwischen drei verschiedenen Anbietern entscheiden: AT&T, MCI und Sprint. Die konkurrierenden Telefongesellschaften versuchten auf Teufel komm raus, den Mitbewerbern Kunden abzuluchsen. Sie riefen die Kunden ihrer Mitbewerber zur Abendbrotzeit an, verwickelten sie in harmlos wirkende Gespräche und am Ende fand sich der Telefonkunde bei einer anderen Telefongesellschaft wieder. Dieses sogenannte Slamming war natürlich illegal und die Aufsichtsbehörde FCC schritt nach einiger Zeit ein, um den Telefongesellschaften auf die Finger zu klopfen.

Einer der drei Long-Distance-Anbieter, MCI, ging 2002 pleite. Ihr Chef Bernie Ebbers bekam wegen Betrugs 25 Jahre aufgebrummt und sitzt heute mit der Häftlingsnummer #56022-054 im Gefängnis in Oaksdale, Lousiana. Voraussichtliches Entlassungsdatum: 2028.

Und jetzt passt gut auf: Im Jahr 1995 benannte sich die für fünf Staaten rund um Texas zuständige AT&T-Tochter "Soutwestern Bell" in "SBC" um und kaufte 1996 "Pacific Bell", die Kalifornien und Nevada bediente. Später schluckte sie noch "Ameritech" und, haltet euch fest: die eigene Mutter AT&T.

Das muss man sich mal vorstellen: Eine Firma wird zwangsaufgesplittet und nach einigen Jahren kauft ein Kind die Mutter. Und nicht nur das, die wiedervereinte Familie benannte sich auch noch frech in AT&T um, beinahe so, als hätte die Zwangszerschlagung nie stattgefunden. Ein Video von Stephen Colbert illustriert die Geschichte anschaulich und humorvoll (Besten Dank an Rundbriefleser Daniel Scheibli für den Link).

Abbildung [2]: AT&T erläutert, dass jetzt nur noch eine Telefonrechnung kommt.

So flatterte bei uns denn auch bald ein Schreiben (Abbildung 2) ins Haus, das erklärte, dass demnächst nur noch eine Rechnung für Telefon, Long Distance und Internetanschluss (war früher ebenfalls bei Pac Bell) zu bezahlen sei. Die auf der Rechnung (Abbildung 3) angegebenen drei verschiedenen Telefonnummern für die drei Angebote geben aber einen Vorgeschmack darauf, dass es sich sehr wohl um drei verschiedene Firmen unter einem Deckmantel handelt. Und als ich neulich einmal unseren Long-Distance-Sparplan etwas umändern wollte (man zahlt ein paar Dollar im Monat vorab und kriegt dann die Minuten nach z.B. Deutschland günstiger), bekam ich das Ausmaß des Chaos in diesem Laden zu spüren.

Abbildung [3]: Auf der Telefonrechnung wird offenbar, dass man in Wirklichkeit mit vier verschiedenen Firmen zu tun hat.

Das fängt damit an, dass man eine kostenlose 1-800-Nummer wählt, einer Automatenstimme erzählt, was man möchte und dann eine Stunde lang Idiotenmusik hört, bis ein Mensch an die Leitung kommt. Ich übertreibe nicht, ich habe mitgestoppt.

Wo kommt man raus? In Indien oder Mexiko, wie man am Akzent des Sprechers leicht erkennen kann. Also erklärte ich mein Begehr und man sagte mir, dass der Plan nicht bei "AT&T Legacy" ("AT&T Altlast"), bei dem ich meinen Long-Distance-Plan hätte, verfügbar wäre, aber dass ich den Plan gerne beim neuen AT&T bekommen könne. Also gut, sagte ich, wurde durchgestellt und erklärte einem neuen Sachbearbeiter mein Anliegen. Alles klar, sagte der, dann werde er die Ferngespräche auf das neue AT&T mit dem von mir gewünschten Sparplan umstellen, und damit auch alles mit rechten Dingen zugehe, würde er mich jetzt an eine "Third Party" (unbeteiligten Dritten) weiterleiten, der das bestätigen solle und dann wäre alles im Lack. Das leuchtete mir ein, diese Regelung wurde eingeführt, um dem "Slamming" einen Riegel vorzuschieben.

Es knackste in der Leitung und ein total genervter Herr mit roboterhafter Stimme erzählte mir, dass er mir jetzt einige Fragen stelle, die ich nur mit "ja" oder "nein" beantworten dürfe. Ob ich meine Long-Distance-Calls umstellen wolle. "Ja". Ob ich meine "Local Tolls" umstelle wolle. "Nein", sagte ich, denn davon hatte mir der Fritze vorher überhaupt nichts erzählt. Na dann könne er nichts machen, sagte der unfreundliche Herr, man hätte mich wohl mit falschen Informationen zu ihm gesandt. Schnell warf ich noch ein, ob er mich denn zurück zu dem Planverkäufer verbinden könne, damit ich nicht nochmal eine Stunde in der Leitung warten müsse. Nein, sagte das Monster und hängte den Hörer auf. Wahnsinn!

Ich rief nicht noch einmal an, denn eine Stunde später mussten wir los zum Flughafen. Nach einer Woche kamen wir aus dem Urlaub zurück und ich rief nochmals an. Der AT&T-Verkäufer sagte mir, dass mein Auftrag auf Eis läge, da die Bestätigung ausgeblieben war und erklärte mir, dass "Long Distance" und "Local Toll" zugleich vom neuen AT&T übernommen werden, stellte mich nochmals zur "Third Party" durch, wo ich auf alle Fragen mit "ja" antwortete und ich bekam meinen gewünschten Plan.

Abbildung [4]: AT&T schickt verwirrende Kärtchen heim.

Das ist halt das Problem mit Monopolen: Der Kunde sieht in die Röhre. Oder die Postkarte in Abbildung 4, die wir neulich im Briefkasten fanden. AT&T sandte uns da eine wirre Nachricht und auch ein Anruf unter der angegebenen Nummer löste bei mir nur Lachkrämpfe aus. Zu eurer Unterhaltung habe ich die Navigation durch das Telefonlabyrinth aufgezeichnet und ins Internet gestellt. Völlig irre!

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