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  Rundbrief Nummer 101  
San Francisco, den 24.03.2013


Abbildung [1]: Ein Privatauto mit pinkenem Schnurrbart fährt Taxigäste für einen guten Zweck.

Michael Wer schon einmal versucht hat, bei einem Platzregen in San Francisco ein Taxi zu ergattern, versteht, dass hier Engpässe herrschen wie im kaputtesten Sozialismus. Man sollte es kaum für möglich halten, aber in amerikanischen Großstädten wie New York City, San Francisco, Boston oder Chicago herrscht kein freier Markt für Taxifahrer. Vielmehr beschränken die Stadtverwaltungen die Anzahl der Taxis künstlich und verursachen dadurch Engpässe an Tagen mit hoher Nachfrage.

Abbildung [2]: Ein Schnurrbartauto auf der Guerrero-Street.

Die Städte geben eine beschränkte Anzahl sogenannter "Medallions" aus, ohne die kein Taxi fahren darf. Wie in einer Mafia-Organisation handeln dann reiche Mittelsmänner die limitierten Lizenzen untereinander für Millionenbeträge und verleihen sie für nicht unerhebliche Summen tageweise an Taxis. Die Fahrer müssen dann nicht nur die Tagesmiete für das Taxi bezahlen, sondern auch noch den Medallion-Besitzer ablöhnen, bevor sie von ihren Einnahmen auch nur einen müden Cent sehen. In New York zahlt ein Fahrer von den etwa $300 Einnahmen während einer 12-Stunden-Schicht etwa $150 an den Taxi-Feudalherren, der ihm das Fahrzeug mit eingebauter Medallion leiht.

Abbildung [3]: Die Lizenz zum Betreiben eines Taxis: Die Medallion. Foto: Sugar Sweet Sunshine

Naturgemäß verteidigen die großkotzigen Medallion-Besitzer dieses mittelalterliche Verfahren mit Klauen und Zähnen gegen Modernisierungsversuche. Wer gibt schon freiwillig eine Lizenz zum Gelddrucken ab? Aber auch die Taxifahrer sind nicht besonders daran interessiert, die freie Marktwirtschaft einzuführen. Mehr Taxis führen zu mehr Konkurrenz und damit zu sinkenden Stundenlöhnen. Die Dummen sind die Fahrgäste, die es sich abschminken können, an Tagen mit erhöhtem Fahrgastaufkommen mit dem Taxi von A nach B zum kommen. Wer schon einmal an Silvester mehrere Stunden auf ein Taxi gewartet hat und irgendwann entnervt aufgegeben hat, um anschließend stundenlang in überfüllten Straßenbahnen durch die halbe Stadt zu gondeln, kann davon ein Lied singen.

Abbildung [4]: Die Startup-Firma Uber versucht, mit Limousinen dem antiquierten Taxigeschäft das Wasser abzugraben.

Vor einiger Zeit schickte sich deshalb ein Startup-Unternehmen namens "Uber" an, Fahrgäste für etwa das Doppelte einer Taxifahrt in schwarzen Limousinen zu befördern. Die Autos der Marke Lincoln Town Car werden von livrierten Chauffeuren gefahren und nicht etwa herangewunken oder herbeitelefoniert, sondern per SMS oder einer App für's Handy binnen Minuten bestellt. Auf dem Handy kann der Kunde dann gespannt verfolgen, wie die Limo sich nähert. Bezahlt wird nach der Fahrt bargeldlos übers Handy, das Trinkgeld ist inbegriffen, der Kunde darf den Fahrer anschließend bewerten und die Rechnung kommt per Email. Da kein Bargeld im Spiel ist, fahren die Chauffeure sogar die sozialen Brennpunkte San Franciscos an, denen normale Taxifahrer wegen schlotternder Knie fernbleiben!

Naturgemäß entfachen die etablierten Taxi-Feudalherren in jeder Stadt, die Uber erobert, einen Rechtsstreit und legten im Mai 2012 Uber in Boston zeitweise lahm. Uber bewegt sich auf wackligem rechtlichem Boden und argumentiert, dass es nicht etwa mit Taxis operiert sondern eine ganz neue Art der Beförderung anbietet.

Abbildung [5]: Die iPhone-App von Lyft zum Anfordern von Autos mit dem pinkfarbenen Schnurrbart.

Ubers Heimat ist San Francisco, wo der Service sehr gut ankommt, aber vor kurzem unerwartet ein ganz neuer Konkurrent auftauchte: Privatautos, auf deren Kühler ein grotesk großer pinkfarbener Schnurrbart prangt. Schnurrbart heißt auf Englisch "Moustache", und weil der pinke Fummel auf Autos montiert ist, wird daraus "Carstache". Dahinter steckt eine weitere Startup-Firma namens "Lyft". Fahrgäste fordern die Wagen ebenfalls per Handy-App an, und zahlen am Ende der Fahrt mit einer Kreditkarten-"Spende", die mit etwa 20% weniger als eine entsprechende Taxifahrt vom Fahrer "vorgeschlagen" wird.

Fahrer und Fahrgast bewerten sich anschließend gegenseitig über die App, und damit ist sichergestellt, dass der Fahrgast "freiwilig" ordentlich zahlt und der Fahrer gut fährt. Lyft zahlt seinen angestellten Fahrern in den ersten paar Wochen einen Festlohn von $18 pro Stunde. Sobald sie sich die Fahrer einen festen Kundenkreis aufgebaut haben, dürfen sie statt dessen 80% der Einnahmen behalten. Es handelt sich fast ausschließlich um junge Leute, die sich ein paar Dollar dazu verdienen und die ihre Fahrgäste mit einem sogenannten "Fist-Bump" begrüßen, dem in urbanen Zentren zwischen Hipstern üblichen sanften Zusammenrempeln zweier rechter Fäuste.

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Letzte Änderung: 17-Aug-2013