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  Rundbrief Nummer 77  
San Francisco, den 20.11.2008


Abbildung [1]: Die Präsidentenwahl 2008 war mitreißend bis zum Schluß.

Angelika Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Die amerikanischen Wähler beförderten Barack Obama mit einer soliden Mehrheit ins Weiße Haus. Ab Januar hält dann endlich wieder ein Demokrat das höchste Amt im Staate inne. Und nicht nur das, die Demokraten bauten ihre Mehrheiten im Senat (6 Sitze) und Repräsentantenhaus (20 Sitze) weiter aus. Die Wähler straften endlich die verheerende Politik von George Bush und seiner republikanischen Partei ab.

Bis zum Schluss habe ich nicht an einen Wahlsieg Obamas geglaubt, obwohl die Umfragen schon vor dem 4. November darauf hindeuteten. Umfragen traue ich grundsätzlich nicht. Denn erstens machen doch nur immer ganz bestimmte Leute, die sonst nichts zu tun haben, bei Umfragen mit und zweitens kann der Befragte ja das Blaue vom Himmel herunterlügen, ohne dass es einer merkt.

Der sogenannte Bradley-Effekt schwirrte in meinem Kopf herum, nämlich die Tatsache, dass weiße Wahlberechtige nicht offen zugeben, dass sie nicht für einen schwarzen Kandidaten stimmen würden, weil das als rassistisch gilt. Der schwarze ehemalige Bürgermeister von Los Angeles, Tom Bradley, nach dem das Phänomen benannt wurde, trat 1992 in Kalifornien an, um Gouverneur zu werden und obwohl er nach den Umfragen vorne lag, verlor er die Wahl. Nun bin ich natürlich froh, dass mein pessimistische Prognose sich nicht bewahrheitete und wir das historische Ereignis, dass der erste schwarze Amerikaner zum 44. Präsidenten der USA gewählt wurde, live miterleben durften.

Abbildung [2]: Obama zieht ins Weiße Haus in Washington ein.

Das ganze Land war aus dem Häuschen und nicht nur im progressiven San Francisco tanzten die Leute vor Freude auf der Straße. Überschwengliche Gefühlsausbrüche der Massen betrachte ich immer mit etwas Skepsis, aber auch ich saß gerührt mit Tränen in den Augen vor dem Fernseher. Der Wahlsieg Barack Obamas verkörpert wohl wie kein anderer die amerikanischen Ideale und den amerikanischen Traum. Ein Mann mit einer weißen Mutter aus Kansas und einem afrikanischen Vater aus Kenia, den er eigentlich nie zu Gesicht bekam, der in Hawaii und Indonesien aufwuchs und einen selbst für amerikanische Ohren äußerst ungewöhnlich klingenden Namen hat, schafft es mit eisernem Willen und Disziplin, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Das durch Finanz- und Energiekrisen und dem Irakkrieg gebeutelte Land kann wieder an sich selbst glauben und sich neu erfinden.

Vielleicht fragt ihr euch auch, warum Barack Obama stets als erster schwarzer Präsident bezeichnet wird, denn eigentlich hat er ja einen multiethnischen Hintergrund (in Amerika ist der Begriff "biracial" üblich), mit einer weißen Mutter und einem afrikanischen Vater. In Amerika ist das ein heikles Thema. Während des Wahlkampfes kam es auch das eine oder andere Mal zu merkwürdigen Diskussionen, z.B. ob Barack Obama sich zu weiß oder zu schwarz präsentiert. Wenn Obama von sich selbst spricht, bezeichnet er sich als Schwarzen. Als "weiß" wurden vor zweihundert Jahren die Auswanderer europäischer Abstammung bezeichnet. Wer damals aber nur einen schwarzen Eltern-, Großeltern- oder Urgroßelternteil hatte, konnte ohne gültige Freilassungdokumente (Emancipation Papers) als Sklave verkauft werden und war deshalb "schwarz". Die meisten heute in Amerika geborenen Schwarzen haben übrigens irgendwo in ihrer Ahnenlinie einen weißen Amerikaner, die Gene haben sich im Laufe der Zeit durchaus vermischt.

Abbildung [3]: Die meisten amerikanischen Schwarzen stammen von Sklaven ab, die vor 200 Jahren mit Schiffen aus Afrika verschleppt wurden.

Übrigens bin ich fest davon überzeugt, dass McCain auf dem Präsidentenstuhl sitzen würde, wenn die Finanzkrise sich nicht kurz vor der Wahl so dramatisch zugespitzt hätte und er sich mit besseren Beratern umgeben hätte. McCain gilt nicht gerade als Wirtschaftsfachmann, und er machte den eklatanten Fehler, dass er plötzlich die Steuersenkungen, die Bush einführte und die überproportional die Superreichen begünstigen, permanent machen wollte, obwohl er im Senat dagegen gestimmt hatte. Überhaupt warf er über Bord, was Leute an ihm schätzten: Seine Fähigkeit, mit Demokraten im Senat zusammen zu arbeiten und Ideen nicht am Parteibuch festzumachen.

Er war einer der wenigen Republikaner, der gegen das Bohren im "Arctic National Wildlife Refuge" stimmte, schrie dann aber während des Wahlkampfs "Drill, Baby, Drill" ("Bohre, Baby, bohre"). Auch hatte er geschworen, einen sauberen Wahlkampf zu führen. Als er aber in den Umfragen hinter Barack Obama zurücklag, tauchten die Schmierenkampagnen in Wahlkampfspots im Fernsehen auf. McCain befand sich in dem Dilemma, dass er die Nominierung seiner eigenen Partei nur gewann, indem er sich der erzkonservativen Basis anbiederte, die Wahl aber verlor, weil er die unabhängigen Wähler, ohne die es keiner ins Weiße Haus schafft, mit diesen radikalen rechten Ansichten nicht überzeugte und seine Glaubwürdigkeit verlor.

Letztendlich scheint auch die Rechnung mit Sarah Palin nicht aufgegangen zu sein. Ja, die Ultrakonservativen fliegen ihr noch immer zu, und ich befürchte, dass wir in Zukunft noch mehr von der Dame aus Alaska hören werden. Wahrscheinlich wäre McCain mit Joe Lieberman, dem Senator aus Connecticut, der offiziell als unabhängiger Demokrat im Senat fungiert, besser gefahren. Man munkelt, dass McCain Lieberman wollte, sein Beraterteam ihm dann aber Palin aufzwang.

Abbildung [4]: Wirtschaftskrise: "Going out of business" -- schon wieder geht ein Laden pleite.

Nun tritt Barack Obama wirklich ein schweres Erbe an. Die Wirtschaft ist in einem absolut desolatem Zustand, der Häusermarkt liegt brach, die amerikanische Infrastruktur pfeifft aus dem letzten Loch, das Haushaltsdefizit wächst von Tag zu Tag und die amerikanische Autoindustrie und das Gesundheitssystem stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Ganz zu schweigen von dem Chaos in Afghanistan und dem Irak und den bevorstehenden Herausforderungen bezüglich knapper und teurer werdender Energie. Auf den Mann kommt so einiges zu und die Erwartungen sind hoch. Wir hoffen ja, dass die in Washington endlich einmal etwas geregelt kriegen, denn günstiger könnten die Sterne nicht stehen: Senat, Repräsentantenhaus und Präsident in demokratischer Hand. Vielleicht bekommen wir doch noch eine Krankenkasse für alle. Die Zeiten erfordern auf jeden Fall radikale Veränderungen und große Ideen. Wir werden sehen, ob Barack Obama den nötigen Weitblick, Mut und gutes Durchsetzungsvermögen hat. Er gilt ja eher als Pragmatiker und als Mann der Mitte.

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