Deutsch English

  Rundbrief Nummer 46  
San Francisco, den 08.10.2003


Kalifornisches Chaos - Der Recall

(Angelika) Wieso glaubt jeder dahergelaufene Schauspieler in Amerika, die Hollywood-Erfahrung befähige ihn dazu, ein politisches Amt zu bekleiden? Diese Frage quält mich, seitdem Muskelmann und Filmstar Arnold Schwarzenegger in das Rennen um den kalifornischen Gouverneurs-(Ministerpräsidenten)-posten eintrat.

Gestern, am 7. Oktober fiel die Entscheidung, dass die kalifornischen Wähler sich von dem amtierenden Gouverneur Gray Davis im Abwahlverfahren ("Recall") verabschiedeten und statt dessen "Arnie" an die Schalthebel ließen. Es ist kaum zu glauben: Die fünftgrößste Wirtschaftsnation der Welt und der bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA wird nun von einem politisch völlig unerfahrenen Hollywood-Star mit österreichischen Akzent geführt.

Ist den Kaliforniern die viele Sonne zu Kopf gestiegen? Vieles hängt damit zusammen, wie in Amerika der Wahlkampf läuft. Detailierte Informationen über das politische Programm der einzelnen Kandidaten gibt es kaum. Hingegen laufen im Fernsehen permanent kurze Wahlspots von den politischen Spitzenreitern. Mehr als Platitüden erfährt man dabei allerdings nicht. Arnolds Aussage war einfach: Die Politiker haben uns im Stich gelassen.

Cruz Bustamante, einziger demokratischer Kandidat sowie seines Zeichens Latino und deshalb bei der spanischsprechenden Bevölkerung beliebter amtierender Vizegouverneur, saß hingegen verkrampft lächelnd und eingerahmt von seiner Familie vor der Kamera. Er hatte es auch nicht ganz leicht, seinen Wahlslogan an den Mann zu bringen, denn er wollte, dass die Wähler gegen die Abberufung von Gray Davis stimmen und im zweiten Schritt für ihn, um sicherzustellen, dass Kalifornien nicht in die Hände eines republikanischen Gouverneurs fällt. Ich erwähnte das Wahlverfahren im letzten Rundbrief: Ein Wähler durfte selbst dann für einen Kandidaten stimmen, wenn er sich im ersten Schritt des Wahlverfahrens gegen den Rücktritt von Davis ausgesprochen hatte.

Abbildung [1]: Bräuchte ein Makeover: Der Demokrat Cruz Bustamante

In der Fernsehnation Amerika gibt es übrigens keine Wahlplakate, wie man sie in Deutschland kennt. In ganz San Francisco hang kein einziges. Dafür aber gab es die obligatorische Fernsehdebatte mit den wichtigsten Kandidaten, in der es dann tatsächlich auch um politische Konzepte ging. In Kalifornien wartete alles gespannt auf diese Debatte, denn die Wähler wollten vor allen Dingen sehen, wie Arnold sich macht, ohne einstudierte Sätze von sich zu geben. Nur leider enttäuschte das Format der Debatte. Die Diskussionsthemen wurden vorher bekannt gegeben, was unüblich ist, so dass die Kandidaten sich darauf vorbereiteten und die Teilnehmer durften sich gegenseitig unterbrechen. Viele ärgerte, dass die Veranstalter den amtierenden Gouverneur Gray Davis nicht einluden. Nur die Kandidaten, die in Umfragen Zustimmungsnoten von 10 Prozent (ganze fünf an der Zahl) vorwiesen, standen auf der Gästeliste und Gray Davis durfte nicht kandidieren.

Bei solchen Debatten fällt natürlich nicht nur ins Gewicht, was der Einzelne von sich gibt, sondern wie er sich verkauft. Das muss man Schwarzenegger lassen: Sich zu vermarkten, hat der Mann gelernt und das nötige Kleingeld besitzt er auch noch dazu. Natürlich kam ihm zugute, dass bei 135 Kandidaten vor allem die politischen Nicht-So-Bewanderten danach lechzen, ein bekanntes Gesicht zu entdecken und die Presse sich wie Geier auf ihn stürzte.

Denn es gilt allgemein im amerikanischen Wahlkampf: Wer sich nicht medienwirksam zur Schau stellt, hat schon verloren. Arnold weiß um dieses Gesetz wie kein zweiter. So hielt er sich zunächst sehr bedeckt und rückte nicht damit heraus, ob er überhaupt kandidiert, nur um dann mit Fahnen und Trompeten in Jay Lenos Talkshow (ähnlich wie Harald Schmidt) sein Vorhaben zu verkünden, der nächste Gouverneur von Kalifornien zu werden.

Abbildung [2]: Arnold gibt bei Jay Leno bekannt, dass er kandidiert

Um sein schlechtes Image bezüglich der Behandlung von Frauen - gilt er doch als Frauenheld und "Busengrapscher" - aufzubessern, nistete er sich mit seiner Frau Maria Shriver bei der schwarzen Talkmasterin Oprah Winfrey ein und gab sich als fürsorgender Vater von vier Kindern sowie als liebevoller und aufmerksamer Ehemann. Dieser Auftritt brachte ihm sicherlich viele weibliche Wählerstimmen ein, denn die Sendung "Oprah" erzielt nicht nur traumhafte Einschaltquoten, sondern gilt auch bei vielen Frauen als "Gesetz".

Abbildung [3]: Arnold mit Maria bei Oprah

Getrübt wurde dieser PR-Erfolg aber dadurch, dass die Los Angeles Times nur einige Tage vor der Wahl die Geschichte von sechs Frauen veröffentlichte, die bestätigten, dass Schwarzenegger sie begrapschte, woraufhin Arnie sich zerknirscht für sein früheres flegelhaftes Benehmen vor laufender Kamera entschuldigte.

Die New York Times setzte gleich noch eins drauf und zitierte einige dümmliche Bemerkungen Schwarzeneggers: Er hatte sich in den Siebzigern einige Male bewundernd über Hitlers Aufstieg und dessen Redekünste geäußert. Frauenbelästiger und Nazi -- das kommt in Amerika nicht gut an. Nur wissen die Wähler auch, dass es zu jedem amerikanischen Wahlkampf gehört, schmutzige Wäsche zu waschen. Außerdem lieben Amerikaner jede Art von Verschwörungstheorie. So vermutete man gleich nach der Veröffentlichung des Artikels in der Los Angeles Times, dass hinter dieser Geschichte nur der politische Gegner stecken könne, der den "Terminator" damit kurz vor dem 7. Oktober in die Knie zwingen wollte, weil dieser in den Meinungsumfragen vorne lag.

Aber vergessen wir einmal diese Seifenopern-Dramen und konzentrieren uns auf das Politische: Arnold Schwarzenegger zählt zum moderaten Flügel der republikanischen Partei (Bitte nicht mit der deutschen republikanischen Partei verwechseln!!!). Er befürwortet nämlich das bestehende Abtreibungsrecht, in Amerika kurz "Pro Choice" genannt, um sich von der Bewegung der Abtreibungsgegner "Pro Life" abzugrenzen.

Abbildung [4]: Arnolds glückliche Klon-Familie

Er ist für die Kontrolle von Waffenbesitz und tritt für die Rechte von Homosexuellen ein. Alles Themen, hinter denen auch die große Mehrheit der kalifornischen Bevölkerung steht. Er kommt mit diesem liberalerem Gedankengut durchaus an demokratische Politiker heran. Auf der anderen Seite propagiert er, dass Kalifornier zu hoch besteuert werden und schwört, das kalifornische Haushaltsdefizit nicht mit Steuererhöhungen zu stopfen, was fast unmöglich erscheint, wenn man die Größe des Loches bedenkt.

Umweltschützer und Pazifisten hassen, dass er einen so genannten "Hummer" fährt, einen für den normalen Straßenverkehr umgerüsteten Militärjeep (genau wie der Krakeelfußballer Stefan Effenberg).

Immigranten, von denen es in Kalifornien gar viele mit amerikanischen Pass und somit Wahlrecht gibt, mögen, dass Schwarzenegger wie kein anderer den amerikanischen Traum verkörpert: Ein Niemand aus Österreich macht sich nicht nur als Bodybuilder einen Namen, sondern wird ein berühmter Filmstar trotz seines fürchterlichen Akzents und scheffelt Millionen. Zur Krönung heiratet er dann auch noch in den Kennedy-Clan ein, der wohl bekanntesten Familie in Amerika.

Dummerweise beging Gray Davis den Fauxpax, über Arnolds Akzent zu witzeln, indem er bemerkte, dass niemand Governeur werden sollte, der das Wort "Kalifornien" nicht richtig aussprechen kann. Da hatte er wohl kurzfristig vergessen, dass er einem Bundesstaat mit einer hohen Prozentzahl von Einwohnern vorsteht, die Englisch nicht als Muttersprache sprechen. Aber auch Schwarzenegger stapfte vor allen Dingen bei den mexikanischen Einwanderern ins Fettnäpfchen. Denn er prangerte ein neues kalifornisches Gesetz an, das Gray Davis just unterschrieben hat. Es erlaubt illegalen Einwanderen, den kalifornischen Führerschein zu erwerben.

Abbildung [5]: Der andere aufgestellte "Republikaner" (konservative Partei), Tom McClintock sieht aus wie Schönhuber

Das ganze "Recall"-Verfahren lässt sich übrigens als etwas typisch Kalifornisches charakterisieren, obwohl dieser politische Mechanismus auch in anderen Bundesstaaten zulässig ist. Kalifornien gibt sich gern als radikal demokratisch, frei nach dem Motto: Das Volk bestimmt. Und was könnte demokratischer sein als einen Politiker, der seinen Job nicht vernünftig macht, abzuwählen?

Nur ist das Ganze etwas kurzsichtig gedacht. Wenn ein Politiker immer in der Angst Entscheidungen trifft, dass ein Abrufverfahren auf ihn zukommt, stagniert irgendwann alles. Schon jetzt schwirren Drohungen herum, dass der nächste "Recall" Arnold Schwarzenegger droht.

Auch bremst das politische Geschehen in Kalifornien eine Variante in der kalifornischen Verfassung, von der ihr in Deutschland wahrscheinlich noch nichts gehört habt. Die Wähler können direkt mit Hilfe eines Volksbegehrens ("Initiative" genannt), Gesetze verabschieden oder wieder rückgängig machen ("Referendum" genannt). So gibt es hier andauernd irgendwelche Volksbegehren, die wenig durchdacht und kaum zu finanzieren sind -- außerdem widersprechen sie sich oft gegenseitig.

Eines der berühmtesten Volksbegehren, die so genannte Proposition 13, verabschiedeten die Wähler 1978, mit dem Ziel die "Property Tax" (vergleichbar mit der Grundsteuer in Deutschland) niedrig zu halten: Die "Property-Tax-Rate" ist seitdem auf 1 Prozent des geschätzten Besitzwertes begrenzt. Ihr werdet sagen: ein Traum für jeden Hausbesitzer. Nur muss man wissen, dass die rapide Verschlechterung der kalifornischen öffentlichen Schulen auf das Konto von Proposition 13 geht, denn örtliche Schulen werden zum Großteil durch die "Property Tax" finanziert. Und so schließt sich der Kreis: Weil Kaliforniens Haushalt durch Proposition 13 stärker von den Einnahmen der kalifornischen Einkommenssteuer abhängt, traf die allgemeine Verschlechterung der amerikanischen Wirtschaftslage und das Platzen der Dotcom-Blase Kalifornien besonders hart. Firmenschließungen, Entlassungen und die fehlenden Steuereinnahmen von verkauften Mitarbeiter-Aktienoptionen ließen das Haushaltsdefizit kräftig anwachsen, welches eines der Hauptargumente für den "Recall" war.

Abbildung [6]: McClintock Wahlspot: helptom.com!

Aber zurück zu Arnold: Ich bin ja nur froh, dass der Mann nicht auch noch Präsident werden kann, denn in der amerikanischen Verfassung steht, dass man dafür in Amerika geboren sein muss. Bloß gibt es schon seit geraumer Zeit Vorstöße von einigen Politikern, die Verfassung diesbezüglich zu ändern. Der folgende Vorschlag des republikanischen Senators Orrin Hatch aus Utah, angeblich ein Freund Schwarzeneggers, kursiert zur Zeit: Ein amerikanischer Staatsbürger, der schon seit 20 Jahren die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, sollte sich auf das Präsidentschaftsamt bewerben dürfen. Und ratet mal, wann Arnold Schwarzenegger seinen österreichischen Pass gegen den amerikanischen eintauschte. Vor 20 Jahren!!! Ein Elend!

PDF Drucken
RSS Feed
Mailing Liste
Impressum
Mike Schilli Monologues


Auf die Email-Liste setzen

Der Rundbrief erscheint in unregelmäßigen Abständen. Wer möchte, kann sich hier eintragen und erhält dann alle zwei Monate eine kurze Ankündigung per Email. Sonst werden keine Emails verschickt.

Ihre Email-Adresse


Ihre Email-Adresse ist hier sicher. Die Rundbrief-Redaktion garantiert, die angegebene Email-Adresse nicht zu veröffentlichen und zu keinem anderen Zweck zu verwenden. Die Mailingliste läuft auf dem Google-Groups-Service, der sich ebenfalls an diese Richtlinien hält. Details können hier eingesehen werden.
Alle Rundbriefe:

Rundbriefe 1996-2016 als PDF:
Jetzt als kostenloses PDF zum Download.

Spezialthemen:
USA: Schulsystem-1, Schulsystem-2, Redefreiheit, Waffenrecht-1, Waffenrecht-2, Krankenkasse-1, Krankenkasse-2, Medicare, Rente, Steuern, Jury-System, Baseball, Judentum
Immigration: Visa/USA, Warten auf die Greencard, Wie kriegt man die Greencard, Endlich die Greencard, Arbeitserlaubnis
Touren: Alaska, Vancouver/Kanada, Tijuana/Mexiko, Tokio/Japan, Las Vegas-1, Las Vegas-2, Kauai/Hawaii, Shelter Cove, Molokai/Hawaii, Joshua Nationalpark, Tahiti, Lassen Nationalpark, Big Island/Hawaii-1, Big Island/Hawaii-2, Death Valley, Vichy Springs, Lanai/Hawaii, Oahu/Hawaii-1, Oahu/Hawaii-2, Zion Nationalpark, Lost Coast
Tips/Tricks: Im Restaurant bezahlen, Telefonieren, Führerschein, Nummernschild, Wohnung mieten, Konto/Schecks/Geldautomaten, Auto mieten, Goodwill, Autounfall, Credit Report, Umziehen, Jobwechsel, Smog Check
Fernsehen: Survivor, The Shield, Curb your Enthusiasm, Hogan's Heroes, Queer Eye for the Straigth Guy, Mythbusters, The Apprentice, The Daily Show, Seinfeld
Silicon Valley: Netscape-1, Netscape-2, Netscape-3, Yahoo!
San Francisco: SoMa, Mission, Japantown, Chinatown, Noe Valley, Bernal Heights
Privates: Rundbrief-Redaktion
 

Kommentar an usarundbrief.com senden
Lob, Kritik oder Anregungen? Über ein paar Zeilen freuen wir uns immer.

In der Textbox können Sie uns eine Nachricht hinterlassen. Wir beantworten jede Frage und jeden Kommentar, wenn Sie ihre Email-Adresse in das Email-Feld eintragen.

Falls Sie anonym bleiben möchten, füllen Sie das Email-Feld bitte mit dem Wort anonym aus, dann wird die Nachricht dennoch an uns abgeschickt.

Ihre Email-Adresse


Nachricht

 
Impressum
Letzte Änderung: 24-Apr-2017