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  Rundbrief Nummer 118  
San Francisco, den 22.12.2016


Abbildung [1]: Kaum eine Nachrichtensendung kommt ohne Neuigkeiten über Donald Trump aus.

Angelika Nach dem Wahlsieg Trumps befinden sich viele in San Francisco und Kalifornien, wo über 60% der Wähler für Hillary Clinton gestimmt haben, nun in einer Art Schockzustand. Am Mittwoch nach der Wahl am 10. November war der Wahlausgang überall Thema. Bei der Arbeit in meinen sozialen Gruppen führte ich einige Elterngespräche und selbst da musste jeder erst eine Bemerkung über die Wahl loswerden, bevor es um die Kinder und deren Fortschritte ging. Sicher seid ihr aus der Tagessschau und deutschen Zeitungen über die Demonstrationen überall in den USA schon bestens informiert, sodass ich mir die Berichterstattung darüber spare und statt dessen auf einige weniger bekannte Ereignisse eingehe.

Als die USA-Landkarte immer röter wurde am Dienstagabend und sich der Sieg Trumps abzeichnete, brach zum Beispiel die Webseite der kanadischen Einwanderungsbehörde zusammen, weil sich zu viele US-Bürger gleichzeitig über die Einwanderungsmöglichkeiten nach Kanada informierten. Nach dem Motto: Auf zum nördlichen Nachbarn und nichts wie raus aus Trumpistan.

Abbildung [2]: Ein Internet-Frührentner hisst die Nazi-Fahne mit Hakenkreuz auf seinem Millionenbunker in unserem Viertel.

Ein paar Straßen von unserer Wohnung entfernt hatte ein Anwohner auf einmal eine Hakenkreuzfahne auf dem Dach seines Hauses gehisst. Der Besitzer, der 48-jährige Frederick Roeber, ist ein Software-Ingenieur im Ruhestand, der in den 90ern bei Firmen wie Netscape und Google mitgemischt und sich dabei eine goldene Nase verdient hat. Er wollte mit der Aktion auf "ironische" Weise gegen Trump protestieren. Allerdings ging das gründlich in die Hose, denn keiner verstand sein Anliegen, und die Motivation, dies durch eine Hakenkreuzfahne auszudrücken. Die Fahne verschwand dann auch schnell wieder, denn er hatte ein Einsehen, nachdem seine Nachbarn, deren Verwandte den Holocaust überlebt hatten, ihn zur Rede stellten. Die Frage, die mich nun quält ist: Wieso hatte der Mann eine Hakenkreuzfahne in seinem Haus gelagert?

Abbildung [3]: In unserem Stadtteil ist Liebe stärker als Hass.

Tim Cook, der CEO von Apple und auch LinkedIn-Chef Jeff Weiner richteten sich an ihre Mitarbeiter am Mittwoch nach der Wahl und appellierten an alle, sich gegenseitig zu respektieren, unabhängig ihrer Hautfarbe, Herkunft, Religion, sexueller Orientierung, und auch unabhängig davon, für wen sie ihre Stimme abgegeben hatten. Ein interessantes Novum, dass Firmenchefs zu solchen Mitteln greifen, eine Wahl zu kommentieren und zur Ruhe zu mahnen.

Dann gab es in Kalifornien gleich Bestrebungen, einen Calexit, in Anlehnung an den "Brexit", vorzubereiten, also Kaliforniens Unabhängigkeit vom Rest der Vereinigten Staaten zu erklären. Der Plan ist, ein unabhängiger Bundesstaat zu werden. Realistisch ist dies natürlich nicht und auch juristisch nicht plausibel, denn dazu müsste nicht nur die kalifornische Verfassung geändert werden, sondern auch eine Zweidrittelmehrheit im amerikanischen Repräsentantenhaus sowie im amerikanischen Senat für den Austritt stimmen. Die kalifornische Verfassung legt fest, dass der Staat Kalifornien sich nicht abspalten darf. Dies gilt übrigens auch in allen anderen Bundesstaaten. Die "Yes California Independence Campaign" gab es allerdings auch schon vor Trumps Wahlsieg, nur hat sie jetzt wieder Auftrieb bekommen. Unabhängigkeitsbestrebungen der Bundesstaaten sind nichts Neues. Texas wagte einen Vorstoß, als Barack Obama zum Präsidenen gewählt wurde, und war damals kläglich gescheitert.

Unabhängigkeitsbetrebungen hin oder her, die Amerikaner, die wir kennen und mit denen wir in San Francisco verkehren, können sich auch nicht erklären, wieso Trump gewonnen hat. In San Francisco bekam Trump nur knapp 10 Prozent der Stimmen. In den amerikanischen Medien kommt nun immer wieder die Meinung hoch, dass die liberalen Hochburgen an der Ost- und Westküste in einer Blase leben und nicht verstehen, wie es in den Leuten im Landesinneren geht. Man könnte natürlich aber auch behaupten, dass die Leute in den republikanischen Hochburgen in ihrer eigenen Blase verweilen. Wie unser ehemaliger Bürgermeister und jetziger "Lieutenant Governor" (Vizegouverneur) Gavin Newsom richtig bemerkte, repräsentiert Kalifornien das Amerika der Zukunft: innovativ mit einer facettenreichen und bunt gemischten Bevölkerung.

Abbildung [4]: In der BART-U-Bahnstation an der 24th Street hat jemand seinen Unbill gegen Trump zum Ausdruck gebracht.

Dass in Kalifornien die Uhren in der Regel ein wenig anders ticken, zeigte sich auch im Ergebnis der ebenfalls zur Abstimmung aufgestellten Referenden. In vielen Bundesstaaten, einschließlich Kalifornien, stimmten die Wähler am 9. November nämlich nicht nur über den Präsidenten ab, sondern wählten auch Senatoren und Richter und konnten sich für oder gegen eine Unmenge sogenannter "Propositions" entscheiden. Das sind entweder Volksbegehren, die durch Unterschriftenaktionen in Kalifornien auf dem Wahlzettel landen, oder das kalifornische Parlament braucht die Zustimmung seiner Bürger für bestimmte Beschlüsse durch eine offizielle Abstimmung. Dabei gibt es Gesetzesinitiativen, die für ganz Kalifornien gelten oder lokal, auf Stadt oder Landkreis begrenzte. Volksbegehren anzuleiern ist in Kalifornien Volkssport.

Abbildung [5]: Kalifornien hat den Gebrauch von Marihuana als Genussmittel legalisiert. Foto: Thomas Hawk

In San Francisco musste der Wähler am 9. November neben dem Präsidenten über 17 bundesstaatliche und 25 regionale Wahlinitiativen abstimmen. Es waren wichtige Themen vertreten, denn bei einer Präsidentschaftswahl kriegt man in der Regel mehr Wähler an die Urnen. So befürworteten die kalifornischen Wähler die Legalisierung von Marihuana. Nicht nur aus medizinischen Gründen darf Cannabis in Kalifornien künftig konsumiert werden sondern auch zum Freizeitvergnügen. Über weitere Details schreibt Michael am Schluss des Rundbriefs. Auch das Plastiktütenverbot bestätigten die Wähler in Kalifornien. Weiter sprachen sie sich für die Verschärfung der kalifornischen Waffengesetze aus: Künftig ist der Besitz von Magazinen, die große Mengen an Patronen fassen, verboten. Wer Munition kaufen will, kann dies nur nach vorheriger Überprüfung ("background check") tun. Die Todesstrafe wählten die Kalifornier allerdings nicht ab, sondern sprachen sich im Gegenteil dafür aus, dass Todesurteile künftig schneller vollstreckt werden, was in er Praxis aber sicherlich schwer umzusetzen ist, denn bei Berufungsverfahren hat nicht allein der Bundesstaat das letzte Wort.

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Letzte Änderung: 07-May-2017